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Constantin Göttfert
Satus Katze

Unheimliche Katzen in der Kälte
Constantin Göttferts Debütroman
  Kritik
  Constantin Göttfert
Satus Katze
Ch. Beck, München 2011
Euro 17,95


Waren Sie schon einmal in Finnland? Wenn nicht, haben Sie viel­leicht ähnlich kli­schee­behaftete Vor­stellungen vom euro­päischen Norden wie der Rezensent: Ob der vielen Wälder und Seen leben die Menschen dort oben sehr gesund und natur­ver­bunden; sie sammeln Pilze und Beeren, gehen Wandern oder Lang­laufen und ent­span­nen sich in der Sauna.
  Nichts davon ist wahr, glaubt man Constantin Göttferts Roman „Satus Katze“. Die Geschichte eines Wiener Schriftstellers, der von einer Professorin in den hohen Norden eingeladen wird, spielt vor allem im Winter, und so sind für dieses Buch Dunkel­heit und Kälte prägend. Dazu kommt noch der Schnee, der die Stadt Oulu wie ein White Cube umschließt. Diesem architek­toni­schen Prinzip zufolge sollten Aus­stellungen stets in weiß gekalkten, von jeglichem baulichem Zierrat befreiten Räumen statt­finden, um dem Besucher einen möglichst ablenkungsfreien Genuss der präsentierten Plastiken oder Gemälde zu ermöglichen. Bei Gött­fert ist das auf den ersten Blick ganz ähnlich, nordisch nüchtern fügt er einen kurzen Satz an den nächsten. Die eisige Unwirt­lichkeit der Natur wird kaum einmal ausführlich beschrieben; sie teilt sich dem Leser über die Figuren mit, die sämtlich in einer Art emotio­naler Winter­starre gefangen scheinen. Allein der Alkohol vermag sie für kurze Zeit so zu er­wärmen, dass sich ihre Zungen lösen.
  Doch aus dem, was sie erzählen, ergibt sich keine erhel­lende Geschichte; zunächst bleibt im Dunkeln, was genau Dr. Karja­lainen, eine Pro­fessorin an der Uni­versität Oulu, dazu bewogen hat, den Schrift­steller in den Norden zu locken. Sie über­reicht ihm bei seiner Ankunft ein Manu­skript, ver­fasst von einem gewissen Satu Keinänen, das sie ihn zu lesen auf­fordert. Das Bemer­kens­werteste an diesem Text ist wohl eine schwarze Katze, eine Unheils­botin von schauer­licher Größe. Sie ist ganz und gar kein anschmieg­sames Tier, es wohnt ihr auch nicht die räube­rische Eleganz ihrer Gattung inne, sondern etwas ganz Anderes, Unheim­liches, das offenbar aus dem finni­schen National­epos Kale­vala her­stammt. Dr. Karjaleinen nämlich erzählt dem Schrift­steller während eines Ausflugs auf eine Insel im gefro­renen Bott­nischen Meerbusen von der Hexe Louhi, die ihre Gefan­genen in einen Wagen sperrt, welcher von einer rie­sigen Katze gezogen wird. Da der Schrift­steller ein Kätzchen, das er vor einigen Wochen aus einer Müll­tonne geret­tet hat, scheinbar zufällig auf den Namen Louhi getauft hat und auch in jenem Teil des Romans, der in Wien spielt, dämo­nische Katzen­tiere ihr Unwesen treiben, scheint an diesem Punkt das Grusel­setting komplett. Der Wald rund um die ver­wahr­loste Hütte, in der die Profes­sorin und der Schrift­steller Unter­schlupf finden, belebt sich mit Geistern und Fabel­wesen, obwohl der Autor dafür nur minimalen sprachlichen Aufwand treibt.
  Göttfert baut durch mehrere klug miteinander verflochtene Handlungs­stränge nach und nach Spannung auf. All das Rätselhafte, Übersinnliche, das in den Wiener Passagen des Buches kaum Wirkung zu erzeugen vermag, gelangt im frost­starren Oulu zu archai­scher Kraft. Die Psycho­logie Sigmund Freuds, die dem Menschen rationale Gründe für seine Ängste und Neurosen liefert, hat in der Wild­nis des Nordens keine Gültig­keit, ja sogar der Kern der christliche Lehre, der Glaube an einen Erlö­sung gewährenden Gott, verliert alle Bedeutung. Was den Menschen vom Chaos trennt, ist allein die dumpfe Ahnung, dass alles schicksal­haft mit­einander verknüpft ist. Hexen und Geister hausen nicht in einer halb ver­gessenen mythi­schen Welt, sondern treiben sich mitten unter uns herum und wissen uns für ihre Zwecke einzuspannen.
  Der düstere Reiz dieses Romans würde entfernt an die Schauer­geschichten eines E.T.A. Hoffmann erinnern, hätte Constantin Gött­fert nicht diese knappe, nüchterne Sprache gefun­den. Das Archaische, Irrationale ist auch in einer Welt, in der Kurz­mit­tei­lungen selbst auf einer ent­legenen finni­schen Insel empfangen werden können, stets gegenwärtig. Das Eiland, auf dem die Profes­sorin und ihr Schrift­steller eine Nacht voll frostiger Erotik ver­bringen, gibt es übrigens wirk­lich, es ist ein belieb­tes Touristen­ziel in der Region Oulu. Ein Grund mehr für den Rezen­senten, end­lich einmal nach Finnland zu fahren. Zu hoffen ist allerdings, dass ihm bei dem Versuch, Göttferts lite­rarische Welt mit der Wirk­lichkeit zu vergleichen, keine schwarzen Katzen über den Weg laufen werden.
Christian Lorenz Müller     04.10.2012    

 

 
Christian Lorenz Müller
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