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Lydia Haider
Kongregation

Sprach-Apokalypse im Gebirge
Lydia Haiders wüster Debütroman
  Kritik
  Lydia Haider
Kongregation
Roman
müry salzmann, Salzburg 2015
288 Seiten


Und es begab sich aber zu der Zeit, irgendwo auf einem Dorf in Österreich, umgeben von ödem Gelände, dass Gott sieben jener Jungen strafte, die sich gegen das Althergebrachte erhoben hatten mit lästerlichen Reden, losen Sitten und einer Verachtung des Kreuzes und der Kirche, die es bis dahin nicht gegeben hatte in diesem Landstrich. Jedem Rechtschaffenen war klar, dass Simon nicht im Sägewerk zu Bretterlänge zerschnitten, Franz nicht durch Bierflaschensplitter inwendig verblutet und Thomas nicht im Taufbecken ertrunken war, weil es sich um Unfälle handelte, wie Polizei und Staatsanwalt das wissen wollten, Vertreter einer säkularen Welt, die sich im ländlichen Österreich nie hat etablieren können, sich auch in der zukünftigsten Zukunft nicht dort etablieren wird können, und wenn selbst die gesamte rebellische Jugend, Tausende und Abertausende von Halbwüchsigen, sich eine Goisererkrawatte1 umbinden und sich damit in die Ställe und Scheunen begeben sollten, hin zu Nägeln und Haken. Denn so geschah es in besagtem Dorfe, in dem nur die juvenilen Duckmäuser und Anpasser überlebt haben, die seither, in beständiger Angst vor Gottes rächender Hand, sich mit Mistgabel und Melkmaschine zufriedengeben.
  Ein paar Dörfer weiter aber, schon zwischen finsterem Gefels, nahmen sich ein paar Heranwachsende die hingemähten Aufrührer zum leuchtenden Vorbild, das ihnen nicht erlaubte zu warten auf das verbriefte Recht und auf die Justiz, und so wollten sie zum heiligen Osterfeste Gerechtigkeit üben am Eggerbauern, dem Übelsten von allen, dem Auftrumpfer und Wirtshausmächtigen, der seinen eigenen Sohn sexuell missbraucht hat, und dieser Sohn ist ein Dorfprophet geworden und der Enkel etwas Abartiges zwischen Mann und Frau, aber auch kein Engel, und, wie sein Vater und Großvater, schlimmster Verbrechen verdächtig, wert also, gerichtet zu werden, doch die zürnende Jugend kam zu spät, dreimal gerade noch zu spät, und sah die drei unseligen Eggers, die sich von eigener Hand derart blutig entleibt hatten, dass Grauen und Wahnsinn in die jungen Rächer eingingen und sie allesamt in einer Anstalt landeten.
  Als dann der Sommer kam, waren es wiederum junge Leute aus jener Gegend, diesmal von einem Ort an den Ufern eines Sees, die der Erhängten und Weggesperrten gedachten und der Meinung waren, dass sich etwas ändern müsse bei ihnen daheim, aber sie waren nicht wie ihre Vorbilder, waren so unentschlossen, dass sie sich lieber Abend für Abend besoffen und bekifften, und immer nach solchen Orgien, an deren Ablauf sie sich nie im allergeringsten erinnern konnten, immer nach diesen Orgien, musst du wissen, fand sich irgendwo im Dorf ein Toter, an eine massive Balkendecke genagelt oder auf einen Fahnenmasten gespießt, und es ist nicht schwer zu erraten, wer sich sowas Grausliches hat einfallen lassen, aber es geht ja in diesem Buch weniger um das, was passiert, sondern mehr um die Art, wie es beschrieben ist, und das wirst du nur dann wirklich verstehen, wenn du diese Kritik ganz zu Ende gelesen, bis du endgültig begriffen hast, dass auch die österreichischen Aufrührer, Rächer und Zombies ihren Heiligen haben: O Heiliger Thomas von Ohlsdorf2, bitte für uns und unsere schreibenden Nachkommen: Gib, dass sie sich nicht mit lauem Realismus zufriedengeben, sondern sich gelegentlich wüst und anarchisch in der Sprache wälzen, und, wenn es denn unbedingt sein muss, auch in Blut und Erbrochenem, denn, O Heiliger Thomas, vieles kann der Leser ertragen, nicht aber eine Sprache, die ihm langweilig ist.
  Was du sonst noch wissen musst, das mit der Bibel und das mit dem Brennerduktus, das bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung mehr, außer vielleicht, dass das alles gar nicht schlecht zusammenpasst und dass es irgendwie etwas Neues ergibt und auch etwas Ureigenes und gleichzeitig sehr Österreichisches, aber die Sprache ist ja dann doch nicht alles, und die vielen Gerichteten verlangen nach immer neuen, immer kleinteiliger Zertrennten, Zerstückelten und Erschlagenen, da weißt du dann irgendwie recht schnell, dass der nächste Tote vielleicht schon auf der nächsten Seite hängen wird, einen Strick aus einem einzigen langen Satz um den Hals, sowas von fest gefügt und solide, dass du nicht recht weißt, ob du dich über den schön geschlauften Knoten wundern sollst oder über den satt und solide gesetzten Punkt.
  Aber all die Hingemetzelten, die künden nur etwas an, etwas, das du schon lange nicht mehr so gelesen hast, an das du dich vielleicht gerade noch erinnerst, an Blut und Zorn und Untergang, ganz hinten in der Bibel, das hast du vielleicht in deiner Jugend mit Grauen und Faszination verschlungen, und jetzt hast du Gelegenheit zu erfahren, wie es aussieht, wenn etwas Ähnliches auf dem österreichischen Dorf geschieht, irgendwo zwischen öder Hügelgegend, Seeufer und finsterem Gefels, und das zu lesen lohnt sich wirklich, weil, so eine derartige Lust an Untergang und Übertreibung, die ist ganz selten geworden, selbst in der österreichischen Literatur, und so ein Zorn und so eine Sprache, die gibt es eigentlich schon längst nicht mehr.
  Herausgekommen ist das Buch in Salzburg, in einem Verlag, der erst seit ein paar Jahren existiert und der trotzdem schon von sich reden macht. Salzburg, wirst du jetzt denken, da gibt es doch anstelle von gescheiten Köpfen bloß Mozartkugeln und deswegen auch bloß Bücher mit süßlich-klebrigen Sachen darin. Da täuscht du dich aber, weil es dort durchaus Publikationshäuser mit hehren Ansprüchen gibt, Jung und Jung zum Beispiel, Otto Müller oder eben Müry Salzmann, und in Salzburg, wirst du dich vielleicht jetzt erinnern, hat ja auch der Heilige Thomas von Ohlsdorf sein Martyrium begonnen und der Wolf Haas hat dort seinen Zivildienst als Rettungssanitäter abgeleistet, und die vielen, vielen Kirchen stehen dort immer noch so eng beisammen, dass dir bei ihrem Anblick ganz biblisch-katholisch zumute wird, und das alles miteinander ist, wie die junge Frau Haider wüst beweist, gar kein so schlechter Boden für gute Literatur.


1Lokaler Ausdruck für einen Strick mit Galgenknoten, benannt nach einem oberösterreichischen Ort mit hoher Selbstmordrate.
2 Bauerndorf in Oberösterreich, ab 1965 Wohnort Thomas Bernhards.

 
Christian Lorenz Müller     28.02.2016    

 

 
Christian Lorenz Müller
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