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Shūsaku Endō
Schweigen

Geschlossene Grenzen für Christen
Ein Klassiker der japanischen Literatur als Lektüreempfehlung
für Donald Trump
&xnbsp; Kritik
Shūsaku Endō
Schweigen
Roman, 312 Seiten, 22,90 Euro
Neu überarbeitete Übersetzung
von Ruth Linhart
Mit einem Vorwort von Martin Scorsese und einem Nachwort von William Johnston
Septime Verlag, Wien 2015


Sehr geehrter Herr Trump,

Sie fordern, die Grenzen Ihres Landes für Muslime zu schließen. Amerika sei in einer Notsituation und müsse sich deshalb an Politikern wie dem allseits ver­ehrten Franklin D. Roosevelt orien­tieren, der während des Zweiten Weltkriegs sämt­liche Japaner, die sich auf dem Terri­torium der USA befunden hätten, vorsorglich in Lager gesteckt habe.
&xnbsp; Mein lieber Herr Trump, ist Ihnen bewusst, dass die damaligen Feinde Amerikas, die heute zu den treuesten Verbündeten der USA im pazi­fischen Raum gehören, im 17. Jahrhundert ihre Grenzen für Christen schlossen? Schon seit dem Jahr 1549 exis­tierten katho­lische Gemeinden auf den japanischen Inseln, zunächst rund um die Handels­nieder­lassungen portu­giesi­scher Seefahrer. Portu­gie­sische Jesuiten vor allem waren es, die in den fol­genden siebzig Jahren Priester­semi­nare und Studien­häuser grün­deten, regionale Fürs­ten zum Katho­lizis­mus bekehrten und ins­gesamt um die 300.000 Seelen sammelten. Dies ist der histo­rische Hinter­grund für Shūsaku Endōs Roman Schweigen, dessen Lektüre ich Ihnen drin­gend empfeh­len möchte.
&xnbsp; Endō beginnt mit dem Aufbruch des portu­gie­sischen Mis­sionars Sebastião Rodrigues nach Japan. Er hofft, dort auf seinen ehe­maligen Lehrer Cris­tóvão Ferreira zu treffen. Wie brief­lich be­richtet worden ist, soll Ferreira nach der berüch­tigten Gruben­folter seinem Glauben abge­schwo­ren haben. Rodrigues vermag sich nicht vor­zu­stellen, dass sein hoch­verehrtes, stets für Jesus glü­hendes Vor­bild Apos­tasie begangen haben soll. Ferreira selbst ist es gewesen, der ihn von der Not­wen­dig­keit überzeugt hat, die Flamme des Glaubens gerade dorthin zu tragen, wo tiefste Nacht herrscht.
  Mein lieber Herr Trump, Schweigen ist kein helles, licht­erfüll­tes Buch. Es schlägt seinen Schatten tief in das Gemüt eines jeden Lesers, ob er nun ein Christ sein mag oder nicht. Denn gläu­big sind wir im Grunde alle auf irgend­eine Art; wir sind nur allzu gerne bereit, uns an charis­mati­sche Gestalten zu klammern, im reli­giösen wie im alltäg­lichen Leben. Hat nicht zum Beispiel Barak Obama zu Beginn seiner ersten Amts­zeit alle nur denkbaren Erlö­sungs­sehn­süchte auf sich gezogen? Ich sehe Sie heftig nicken, Herr Trump.
&xnbsp; Aber ich schweife ab. Ich wollte Ihnen eigent­lich von dem Stimmungs­um­schwung im dama­ligen Japan erzäh­len, von den hollän­dischen und engli­schen Kauf­fahrern, die in Konkur­renz zu den Portu­giesen standen und diese bei der er­star­kenden Zen­tral­regierung in Miss­kredit brachten. Die Regie­rung hatte den Macht­zuwachs der Jesuiten schon seit längerem arg­wöh­nisch beobach­tet und beschloss nun, alles „Unja­panische“ mit Stumpf und Stiel auszurotten.
&xnbsp; Als Endōs Held Rodrigues in Japan landet, weiß er, dass er der Polizei auf gar keinen Fall in die Hände fallen darf. Auf einen Padre ist ein Kopfgeld ausgesetzt, das eigent­lich für jeden einfachen Gläubigen ver­lo­ckend sein müsste. Die Christen, meist Bauern, leben in Armut und Hunger, weil ihnen ihre Feudal­herren un­mensch­li­che Tri­but­leis­tungen ab­pressen. Dennoch verrät keiner von ihnen den einge­schmug­gelten Missionar, auch nicht, als drei Gläubige vor die Wahl gestellt werden, auszusagen oder den Kreuzes­tod zu sterben.
&xnbsp; Schwarz rollt die Flut in die Bucht, in der die Pfähle mit den Verurteilten stehen. Von seinem Versteck aus schaut Rodri­gues ver­zwei­felnd zu, wie die Bauern über Tage hinweg mit den Wellen, die in ihre Münder schwap­pen, kämp­fen, bevor sie sterben.
&xnbsp; Ganz recht, Herr Trump, es geht in diesem Buch um die Frage, warum Gott, wenn er schon das Leid so vieler Menschen zulässt, nicht wenigstens dem ster­benden Märtyrer ein Zeichen geben kann, einen Posaunen­stoß vielleicht, den ein Engel vorraus­schickt, bevor er leuchtend her­nieder­steigt, um die See­le des Gepei­nig­ten mit sich zu nehmen. Wie leicht tun wir uns doch mit allen Arten des Glaubens, wenn wir uns wohl befinden, wenn wir der Über­zeugung sind, in einem Land zu leben, das großartig ist und noch viel groß­artiger wäre, wenn es von den richtigen Politikern, oder am besten von einem Nicht-Poli­tiker wie Ihnen, regiert würde. In dem Moment aber, in dem wir auf frei­willige oder unfrei­willige Weise unsere Heimat verlassen und in einer Kultur ankommen, in der es andere An­sichten als die unseren gibt und einen anderen Glauben, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit.
&xnbsp; Aber ich schweife schon wieder ab. Ich wollte Ihnen dieses Buch auch deswegen empfehlen, weil es so klug aufgebaut ist, weil Endō nicht gleich mit der Türe ins Haus fällt, sondern mit einem nüchternen Prolog beginnt, in dem von der Reise des Sebastião Rodrigues nach Macau die Rede ist. Danach erst nähert sich der Autor dem Innen­leben seines Prota­gonisten an, indem er ihn Briefe an seine Mit­brüder in Portugal schreiben lässt. Unter anderem berichtet Ro­drigues über Kichijirō, einen Säufer und Speichellecker, dem er sich notge­drungen anver­traut, weil er der einzige Japaner auf Macau zu sein scheint. Kichijirō wird, nachdem er den Padre auf das Insel­reich gelotst hat, seinen christlichen Glauben mehrmals mit Füßen treten. Eine verstö­rende Mi­schung aus Ver­schlagen­heit und tiefer seeli­scher Zer­knir­schung, wird er sich selbst dann noch an die Fersen des Padres heften, nachdem er ihn verraten hat. Als Rodrigues im Kerker sitzt, wechselt Endō in die dritte Person und dringt nach und nach tief in das Herz des Pries­ters vor. Wieder spielt die Farbe Schwarz eine große Rolle, als ein Blut­streifen zum Beispiel, der nach der Hin­richtung eines Christen auf weißem Staub zurück­bleibt. Haben Sie schon einmal japanische Tusche­zeich­nungen bewun­dert, Herr Trump? Wenn ja, dann werden Sie ver­stehen, wie Endō schreibt. Er ist sparsam. Seine Sprache ereifert sich nicht, auch dann nicht, als der Padre dazu auf­gefordert wird, seinem Glauben abzu­schwören, als er einer Art von Folter ausgesetzt wird, mit der er nicht gerechnet hat.
&xnbsp; Lieber Herr Trump, als Japan seine Grenzen für Christen schloss, begann sich jene kulturelle und politische Dünkelhaftigkeit herauszubilden, die letzt­endlich dazu führte, dass die gottkaiserlichen Flug­zeuge im Zweiten Weltkrieg Pearl Harbor bombardierten. Vier Jahre später zerstörte eine ameri­kanische Atom­bo­mbe das einstige Zentrum des christlichen Glaubens auf dem Insel­reich, Nagasaki. Was dies alles für ein Ameri­ka, das Muslimen die Ein­reise verwei­gert, bedeuten könnte, werden Sie spätestens dann ver­stehen, wenn Sie den Roman selber lesen. 1966 ent­standen, ist er längst ein Klas­siker der japa­nischen Lite­ratur. Wenn Sie keine Zeit zur Lektüre haben sollten, dann schauen sie sich wenigstens den Film an, den ihr Lands­mann Martin Scorsese gerade dreht. Silence ist seit vielen Jahren sein Herzens­projekt und kommt voraus­sicht­lich im Frühjahr 2016 in die Kinos.

Mit freundlichen Grüßen
Christian Lorenz Müller
Salzburg
Christian Lorenz Müller &xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;16.12.2015&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp; Druckansicht&xnbsp;&xnbsp;Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

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Christian Lorenz Müller
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