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Jonas Lüscher
Denkmal fürs Wasser
Börsenabsturz zwischen Dattelpalmen
Jonas Lüschers beeindruckende Debütnovelle
Kritik |
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Jonas Lüscher
Novelle
Frühling der Barbaren
C.H. Beck, München 2013
EUR 14,95
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Mögen auch anderswo die Börsenkurse abstürzen und ganze Volkswirtschaften kollabieren, einen Ort gibt es auf diesem Planeten, der selbst dann noch eine Oase genannt werden kann, wenn die Welt längst wüst und leer geworden ist. Die Rede ist von der Schweiz, die der 1976 geborene Autor dieses bemerkenswerten Debüts zur Heimat hat. Böse Zungen behaupten allerdings, dass die Einwohner der Eidgenossenschaft sich in politischen Zweifelsfällen stets auf ihre immerwährende Neutralität berufen. Ganz wie der Held dieser Novelle, der Unternehmer Preising, hält man sich raus, auch wenn man sich durchaus seiner feigen Unentschlossenheit bewusst ist. Dabei ist Preising eigentlich kein Geschäftsmann, sondern der Erbe eines Familienunternehmens, dessen operative Geschäfte er längst nicht mehr führt. Hochsensibel und ohne seine Haushälterin nicht fähig am alltäglichen Leben teilzunehmen, wird er von den eigentlichen Strippenziehern zum Repräsentieren vorgeschickt. So auch nach Tunesien, wo sich ein Zuliefererbetrieb seiner Firma befindet.
Bis hierher ist diese Geschichte an sich nichts Ungewöhnliches, so oder so ähnlich läuft es in der Wirtschaftswelt wohl öfters ab. Allein Lüschers Sprache lässt bereits aufhorchen. Versehen mit zahllosen hochpräzisen Kommagelenken, windet sie sich über die Seiten, dergestalt, dass dem Leser nicht selten kleistisch zumute wird. Aber wie schon angedeutet, Preising ist kein Empörer wie Michael Kohlhaas, sondern ein stark verzärteltes, Leidenschaften eher abgeneigtes Wesen. Nach den Begebenheiten in einer tunesischen Oase, über die noch zu sprechen sein wird, lässt er sich in eine geschlossene Anstalt einweisen, wahrscheinlich in der friedlichen Schweiz. Dort erzählt er, den Kies des Innenhofes durchschlurfend, einem anderen Patienten seine Geschichte, die dieser wiederum an den Leser weitergibt.
Diese Konstellation erlaubt es dem gelernten Philosophen Jonas Lüscher, die ansonsten streng personal geführte Erzählung um einige auktoriale Ausreißer zu bereichern, etwa wenn er die Lebensgeschichte eines tunesischen Poolwächters fabuliert. In der Oase nämlich, in die Preising von seinem örtlichen Geschäftspartner verfrachtet wird, gibt es alle Annehmlichkeiten, die der wellness-verwöhnte Mitteleuropäer braucht, unter anderem natürlich auch einen Pool. Um diesen gruppiert sich eine Horde junger Leute aus dem Londoner Finanzbusiness, die das Oasenresort für eine aufwändige Trauung ausgesucht hat. Am Hochzeitsabend, zu dem auch Preising geladen ist, verschwinden die edlen Häppchen eines „jungen, wilden Kärntners“ hinter geweißten Gebissen, und als Pippa, die Mutter des Bräutigams, auf die Bühne steigt, um ein Gedicht vorzutragen, blicken zunächst alle aufmerksam zu ihr hinauf. „Pippa schrieb es der Kraft der Poesie zu, weil sie nicht wusste, dass diese jungen Leute genau darauf konditioniert waren, selbstsichern Leuten zu lauschen, die etwas zu verkünden hatten.“ Wer spricht hier? Preising wohl kaum, denn dieser ist so sehr auf Konfliktvermeidung bedacht, dass er sich selten ein Urteil erlaubt. Ist es jener Patient, an dessen Seite sich der Schweizer durch den Innenhof der Anstalt schleppt? Oder doch eher der Autor selbst?
Die Art, wie Lüscher auf den verbleibenden dreißig Seiten erzählt, legt zunächst die Vermutung nahe, dass er ab diesem Zeitpunkt die Distanz zu manchen seiner Figuren verliert, nein, dass er ihr Verhalten kommentiert, weil sie kein Eigenleben haben. Die jungen erfolgreichen Leute nämlich sind nichts weiter als jung und erfolgreich, sie sind Abziehbilder, die der Autor zwischen die Oasenpalmen geklebt hat. Das Beklemmende daran ist, dass Lüscher darüber bestens Bescheid weiß. Keinen Augenblick lässt er den Leser darüber im Zweifel, dass all jene Absolventen aus Havard oder Oxford, die zu hervorragenden Bedingungen in Industrie oder Politik unterkämen und dennoch ein Leben als Hochrisiko-Trader vorziehen, tatsächlich nichts weiter als pure Gewinnmaximierung im Kopf haben. Damit ist es vorbei, als das britische Pfund direkt nach dem Hochzeitsfest ins Bodenlose stürzt. Der Premier gibt den Staatsbankrott bekannt, der auch den Ruin für die Trader bedeutet. Als sie begreifen, dass sie alles verloren haben, zeigen sie ihr wahres Gesicht. Der oben erwähnte Poolwächter wird um sein Leben gebracht, eine Ehe kommt an ihr Ende, und schließlich wird beim Versuch, ein Kamel zu braten, die ganze Oase abgefackelt. Bemerkenswerterweise sind Lüschers weit gespreizte Sätze elastisch genug für diesen wüsten Showdown, dem Preising knapp entkommt. Da sich auch in Tunesien ein politischer Umsturz ankündigt, gelangt er über Umwege zurück in die Hauptstadt, um nach einem weiteren Erlebnis, das ihm die globalen Verwicklungen seines eigenen Unternehmens aufzeigt, in jener Schweizer Nervenheilanstalt zu landen.
Jeder halbwegs kluge mitteleuropäische Leser, der nicht zum Spekulieren an der Börse neigt, wird nicht umhin können, den einen oder anderen Aspekt von Preisings Verhalten auf sich selbst zu beziehen. Wohlsituierte Sicherheit erst ermöglicht es, sich in luxuriöser Verstörung zu ergehen. Nie war die Einsicht in globale Zusammenhänge größer als in der Gegenwart, selten aber auch der Mangel an alternativen Ideen, an Mut und Zuversicht. Selbst im Angesicht der Katastrophe fällt es dem Wohlstandsverwöhnten nicht ein, die Initiative zu ergreifen. Er ist so sehr an ordnende Regeln und Gesetze gewöhnt, dass er sich eine Welt, die durch die Kraft einer Idee verändert wird, nicht mehr vorzustellen vermag. Das ist der eigentliche erschreckende Schluss, der aus diesem Buch gezogen werden kann: Nicht, dass die Kinder der Londoner City, die Trader, mit dem Feuer spielen, ist der Skandal, sondern dass sich kein Erwachsener findet, der es ihnen entschlossen wegnimmt.
Christian Lorenz Müller 12.03.2013 |
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Christian Lorenz Müller
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