Gisela Trahms
Kling – Körper oder: „das gellen der tinte“
Ein dreitägiges Symposion erprobt die Annäherung an Thomas Kling
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Franz Josef Czernin, Hubert Winkels, Heinrich Detering
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„Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?“, wollte Ingeborg Bachmann in ihrem berühmten Gedicht „Erklär mir, Liebe“ wissen. Thomas Kling hätte wohl einfach die Schultern gezuckt. Denken, schreiben, lieben, performen, polemisieren, Sprache speichern, installieren, umgraben – eins nicht ohne das andere und alles zugleich. Vermisst wird er, und von vielen heftig, seit er vor fünf Jahren starb.
Zu einer ausführlichen Würdigung Klings trafen sich etwa zwanzig Wissenschaftler, Dichter und Kritiker auf der Raketenstation Hombroich nahe Neuss / Düsseldorf, wo Kling seine letzten Jahre verbrachte. Ein Ort mit militärischer Vergangenheit, fast unerreichbar für Nichtmotorisierte, eine vom Lärm der nahen Autobahn durchrauschte Walachei. Klings Witwe, die Malerin und Fotografin Ute Langanky, wohnt immer noch dort. Sie verfolgte aufmerksam die Reden und Widerreden der Germanisten, kommentierte, fotografierte. Manchmal fiel ihr das Sprechen schwer.
Thomas Kling der performer, der Dichtung auch als Rettung der Oralität, also des Lebendigen begriff, der lustvoll mit eigenen Schreibweisen die Regeln der Orthographie durchbrach und für den die Tinte „gellen“ sollte, Kling, der Schamane der „schädelmagie“ – wurde sein vitaler, tönender Sprachkörper nun endgültig zum Leichnam, zum Objekt philologischer Sezierübungen?
Thomas Kling
gesammelte gedichte
Hrsg. von Marcel Beyer
und Christian Döring
Köln: DuMont 2006
Hubert Winkels
Der Stimmen Ordnung
Über Thomas Kling
Köln: DuMont 2005
Vierzehn Vorträge zu sehr unterschiedlichen Themen wurden gehalten, meist Aspektabarbeitungen nach dem Muster „Kling und…“. Kluge, erhellende Bemerkungen gab es die Menge, manchmal aber auch den wissenschaftlichen Detailbeschuss, dessen erbsenkleine Munition den Zuhörer nicht erreicht.
Die Frage nach der Beziehung von Text und Metatext stellt sich den Germanisten bei jeder Beschäftigung mit Dichtung. Mangelnde Reflexion ihres Tuns kann man Theorievirtuosen wie Markus May oder Peer Trilcke gewiss nicht vorwerfen. Der „Abwehrzauber“ der Wissenschaft, die durch Methodik und Rationalität das Inkompatible des Sprachkunstwerks scheinbar kompatibel macht und damit das Flimmern und die Unberechenbarkeit der Texte verfehlt, wurde von den Philologen selbst beschworen. In dieser Hinsicht ist ihren Bemühungen das Scheitern eingeschrieben, dafür aber erzeugen sie eine andere Lebendigkeit, eben die der Auseinandersetzung mit dem Werk, was ja auch einen Erkenntniszuwachs bedeutet. Klings vibrierende Textkörper sollten in Hombroich nicht unter den gelehrten Erläuterungen verschüttet, sondern zum Leuchten gebracht werden, so die Hoffnung.
Am glänzendsten erfüllte sich dieser Anspruch dann aber doch in der abschließenden, „unwissenschaftlichen“ Podiumsdiskussion. Hubert Winkels, mit Kling befreundet und Autor einer Anleitung zum Verständnis seiner Gedichte, moderierte ein Gespräch zwischen dem österreichischen Lyriker Franz Josef Czernin und Heinrich Detering, Professor in Göttingen. Alle drei sind auch Kritiker, Czernin unterrichtet, Detering schreibt Gedichte. Spürbar ging es allen drei Rednern nicht um die Demonstration der eigenen Analysekompetenz, sondern um eine Annäherung an Klings Werk und Person, die bewusst fragmentarisch blieb und trotz aller Empathie kritische Anmerkungen nicht ausschloss.
Detering berichtete vom „Schock“ der Begegnung mit Kling, der sich in den Begegnungen mit den „Etablierten“ als der „wahre“ Hüter der Tradition inszenierte, als lebender Sprachspeicher, der Sprache und Sprachen beherrschte wie kein anderer. Unverhohlen aggressiv, besonders in seinen Anfängen, gefiel er sich darin, „Vicious Kling“ zu sein und Kanonisierungen zu attackieren. Ingeborg Bachmanns Texte beispielsweise gehörten für ihn zur „Vierfruchtmarmelade der Fünfziger Jahre“.
Später, als arrivierter Suhrkamp – Autor, wandelte er sich zum Sprach-Archäologen, wollte den Toten eine Stimme geben und selbst zu jenem Hallraum zu werden, wo er mit ihnen Wörter tauschte. Ihn faszinierten Epochen wie Antike oder Barock, deren Mimesis er betrieb. Er sah sich als „memorizer“, der die sprachlichen Sedimente von Jahrhunderten für die gegenwärtige Gesellschaft bewahrte, und zwar auf eine offene, provokante Weise, im Unterschied zu seinem Lieblingsfeind Durs Grünbein.
Die „eigentliche“ Lektüre dieses widerborstigen Poeten gleiche einem „Erweckungsdiskurs“, meinte Winkels, sie brauche keine Wissenschaft. Und die „eigentliche“ Antwort auf ihn sei die kreative. Aber dann, nachsichtig mild, konzedierten die Diskutierenden doch den Nutzen der literaturwissenschaftlichen Rezeption als produktives Durchgangsstadium.
Beendet wurde die Veranstaltung mit einer Performance von Klings Mit-Rezitator und Schlagzeuger Frank Köllges. Während er trommelte und allerlei Gedichtzeilen ins Mikro stöhnte und flüsterte, begann der Staub der Historie sacht zu rieseln. Mit jenem Ratinger Hof in Düsseldorfs Altstadt, wo Kling seine Karriere begann, ists lange vorbei und Kling selbst läse heute wohl anders als vor fünfundzwanzig Jahren. Wie sehr er aber lebt, lässt sich z.B. daran ermessen, dass er in Thomas Geigers schöner Anthologie „Laute Verse“, die den Untertitel „Gedichte aus der Gegenwart“ trägt, ganz selbstverständlich dabei ist, und nicht alle dort Versammelten können sich gegen seinen Schatten behaupten.
Das dreitägige Symposion wurde ausgerichtet vom Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf sowie den Germanistischen Seminaren der Universitäten München und Göttingen. Nähere Informationen findet man hier. Ein Sammelband der Vorträge ist geplant.
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Gisela Trahms 15.03.2010
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Gisela Trahms
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