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Dagmara Krauskummerangnach vielen zunden, vielen abern Eine Begegnung
Die Kirchenglocken lärmen gewaltig, dennoch schläft die westfälische Stadt an diesem Sonntagmorgen noch. Dagmara Kraus strahlt und ist überaus wach. Vor ein paar Tagen ist sie aus New York zurückgekehrt, wo sie Joshua Daniel Edwin von der Columbia University bei der Übersetzung ihres Gedichts „kummerang“ zur Seite stand. Der „kummerang“ wird in der englischsprachigen Welt als „gloomerang“ durch die Luft sausen, da legt der Kummer sozusagen die Seufzer ab und hüllt sich in unheilschwangeren Glanz. Wer Kraus' Gedichten zum ersten Mal begegnet, ist geneigt, sie ihres Vokabulars wegen für unübersetzbar zu halten. Das Gedicht „genfer see“ etwa leitet erwartungsgemäß den Blick übers Wasser, über Schiffe und Möwen. Doch nicht von Booten ist die Rede, sondern von „pardune“, „bilge“, „tartane“, „schlenge“ – keine Neologismen, sondern maritimes Fachvokabular, wie die Landratte googelnd entschlüsselt. Um sich am Ende zu fragen, wie wichtig die neu gelernten Bedeutungen überhaupt sind. Ob die Entschleunigung des Leseprozesses durch Rätselwörter das Ziel ist. Und was für eine Rolle die Tatsache spielt, dass Elisabeth von Österreich auf der Genfer Uferpromenade von dem bettelarmen Luigi Lucheni mit einer Feile erstochen wurde. Zwar düstert ein „totmann“ und eine Leiche wird aufgebahrt. Dennoch spielen die historischen Hinweise eher Versteck als Zeigefinger. Distanz statt Drama, Andeutung statt Gemälde, Collage statt Geschlossenheit: das versteht sich, als Regel des poetischen Verfahrens, heute von selbst. Statt der bis zum Überdruss betexteten kaiserlichen Ikone weitere Verse an den Rocksaum zu heften, lenkt die Autorin das Interesse auf Wörter, die wie fremdartige Schwimmkörper gegeneinander klackern („möwengepudel / kostal vor der bilge“).
Kraus wurde in Wroclav geboren und sprach ausschließlich Polnisch, bis sie 1988 mit sieben Jahren nach Deutschland kam. Von einem Tag auf den anderen in eine unverständliche Klangwelt versetzt, durchlief das Kind zum zweiten Mal den Prozess der Sprachaneignung. Diese Erfahrung bestimmt noch heute Kraus' poetische Arbeit. Immer noch liest und liebt sie Wörterbücher und ist fasziniert von Dialekten und Fachidiomen, von Rotwelsch und Jiddisch beispielsweise. Als Sammlerin, die Gedichte „baut“, hält sie Ausschau nach Sprachmaterial, das Bedeutungen konzentriert und generiert. „Epoptik“ beispielsweise: Goethe benutzt den physikalischen Terminus in seiner Farbenlehre, „Epos“, „Epik“, „Optik“ klingen an, aber natürlich auch „Pop“, das dem Wort seinen munteren kleinen Knall beschert. Ein zauberhaftes kleines Gedicht trägt das Wort im Titel („eratos kleine epoptik“), die erste Strophe lautet: im grastaft, im zitzkattun: die geglückte käferkaptur Ganz sinnlich ist das, sommerlich heiter und klangsatt. Unbefangen tauscht Kraus die Ebenen, wechselt von Gelehrtensprache zu Kalauern, scheut weder Satire noch Slam – alles ist erlaubt, kann benutzt und transformiert werden. Erschöpfend im mehrfachen Sinn wird das vorgeführt in dem langen Titelgedicht, einer Art Box, bis zum Bersten gefüllt mit dem, was sich zu „kummerang“ assoziieren lässt. Der Kummer verliert da seine Schwere. Überhaupt durchwandern diese Gedichte eher die Sprache mit ihren vielfachen Tröstungen als die verworrenen Zustände, in denen die Sprechenden feststecken. Es gibt Glanzstücke an Witz und Erotik, „voyeuse klinkt nicht“ beispielsweise, wo fröhlich durchs Schlüsselloch gespäht und zeitgemäße Liebesgewohnheiten geschildert werden: „die osrams aus und zack.“ So ist es, und nicht unbedingt ein Grund zur Klage. Spricht sich in solchen Texten ein zur Identifikation einladendes Subjekt aus, was wir bei Liebesgedichten ja irgendwie immer noch erwarten? Kraus antwortet, sie wisse es nicht, doch so, wie sie es sagt, klingt es eher nach Nein. Kein Ich also, verrätselte Semantik, Verständlichkeit beiseite gelassen: ein harsches Konzept, wie es scheint. Aber ein ganz eigenes, nachdrückliches und lohnendes. Der Gott der Dichtkunst, im ersten Gedicht mit „ey phoebus“ ekstatisch angerempelt und mit Bitten berannt („hymne mich“), hat seine Gunst reichlich gewährt.
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Gisela Trahms
Interview
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