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Georg Klein
Gespräch mit Gisela Trahms für den poetenladen
»Ich bin dafür, dass gestorben wird!«
Gespräch |
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Georg Klein im Gespräch mit Gisela Trahms
poet nr. 17
Thema der Gespräche: Literatur & Vergänglichkeit
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Georg Klein, 1953 in Augsburg geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Soziologie und lebt heute in Ostfriesland. Sein Roman Libidissi gilt als eine der wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres 1998 und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Im Jahr 2000 erhielt er für einen Ausschnitt aus der »Detektivgeschichte« Barbar Rosa den Ingeborg-Bachmann-Preis. Sein Roman unserer Kindheit wurde 2010 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman Die Zukunft des Mars (Rowohlt 2013).
Gisela Trahms: Im Sommer kommen die Rolling Stones nach Deutschland und geben zwei Konzerte. Begegnen wir da der Vergänglichkeit?
Georg Klein: Zumindest erschreckt mich die Vorstellung, ich müsste zwei, drei Stunden zusammen mit den gegenwärtigen Stones und den Songs ihrer Jünglingsjahre, den Liedern meiner Jugend, in einem Stadion ausharren. Eine derartige Teilhabe empfände ich als gespenstisch, ja als nahezu frevelhaft. Wird da nicht falsche Gegenwart herbeigelogen und grober Unfug mit verjährter Leiblichkeit getrieben? Diese Popmusiker haben zweifellos eine große Zeit gehabt, Mick Jagger war ein Gott des jungen Fleisches. Schallplatte und Film vermitteln uns noch eine Ahnung von dem, was da anmutig, sexy und jünglingsklug in einer Gestalt inkarniert war. Pop kommt, Pop geht. Das Schwinden und Verschwinden jugendlicher Schönheit aber ist vielleicht durch die Jahrhunderte hindurch die stärkste Erfahrung von Vergänglichkeit geblieben, zumindest wenn der jeweilige Zeitgenosse die kulturelle Muße hat, dies an anderen und an sich selbst zu beobachten und zu bedenken.
G. Trahms:Gehen Sie gern in Museen?
G. Klein: Die Idee des Archivierens, des Sammelns, des bewahrenden Anhäufens von altem Kram aller Art in Kellern, Lagern, Depots ist mir eher antipathisch. Müssen wir den Dingen, die wir doch schon recht rabiat in die von uns gewünschte Form gezwungen und ausgebeutet haben, auch noch zu diesem traurigen Fortdauern verurteilen? Wenn eine sparsame Auswahl präsentiert wird, von kluger Hand arrangiert, dann setze ich mich dem schon ab und zu ganz gern aus. Die übervollen Speicher, die dunklen Stauseen der Museen, bleiben mir aber unheimlich. Da habe ich gelegentlich das Gefühl, die eine oder andere britische Luftmine hat für uns Nachgeborene auch ein bisschen Atemluft geschaffen. Eine bis heute ambivalente Schlüsselerfahrung war für mich in meinem letzten Grundschuljahr ein Besuch im Augsburger Stadtmuseum, wo wir Knirpse vor ein Holzmodell des gotischen Rathauses geführt wurden und unser Lehrer uns erklärte, dass die stolzen Augsburger Bürger, die reichen Handelsleute, dieses Rathaus niedergerissen hätten, um einen prächtigen Renaissance-Bau an seine Stelle zu setzen. Damals hat es mich verblüfft, dass man ein so schönes, properes Gebäude einfach abträgt und die Ziegel wie Lego-Steine neu verwendet. Aber heute, aus späterer Perspektive, würde ich sagen: Doch, doch, restlos Wegreißen hat schon was.
G. Trahms: Heute restauriert man ja eher und versucht alle Gebäude, die ein gewisses Alter erreicht haben, bis in Detail zu bewahren.
G. Klein: Architektonische Artefakte können uns auf den ersten Blick eine sagenhafte Haltbarkeit vorgaukeln. Die sogenannten Pyramiden sollen ja schon seit Jahrtausenden rumstehen … Und die Achtung, ja Ehrfurcht, die wir unwillkürlich empfinden, hat sicher mit dem ahnenden Wissen zu tun, dass diese Gebilde Stürme des Wandels, Orkane des Vergehens überstanden haben. Wie alt, gemessen in Jahren, müssen sie sein, um uns derart zu beeindrucken? Als ich in die Volksschule kam, war das Gaswerk, das in der Nähe unserer Neubausiedlung stand und am Anfang des ersten Weltkriegs errichtet worden war, für mich ein im monumental einschüchternden Sinne uraltes Gebäude. Hätte sich da unten am Hang zusätzlich noch eine Pyramide erhoben, so eine ägyptische, hätte ich zwischen beiden in puncto Schwervergänglichkeit keinen Unterschied gemacht.
G. Trahms: Zunächst denkt man bei Museen an Bilder und Skulpturen, aber es existieren ja auch Museen für Literatur, und es gibt Schriftsteller, die bereits ihren Vorlass nach Marbach verkaufen.
G. Klein: Im schönsten Fall lässt der Text alles, was zu ihm geführt hat und was im Kielwasser der Niederschrift mitschwamm, hinter sich, und dieses Hinter-sich-Lassen ist für mich ein Akt der Befreiung, ja der Erlösung. Warum aufbewahren, was den Schaffensprozess als Gerüst oder Krücke begleitet hat? Notizen, ältere Fassungen, die Brille, durch die man auf Papier oder Bildschirm linste, die Schnupftabakdose oder die Kokaintütchen? Auch den Leser meiner Texte stelle ich mir am liebsten als einen vor, den es nicht notwendig nach einer biographischen Beilage oder einem Nachschlag aus der Werkstattküche gelüstet. Aber ich will, was die möglichen Lektüren angeht, keine Reinheitsgebote errichten. Und was sich beiläufig erhält, bei mir oder in fremden Schubladen und Mailordnern, mag übrigbleiben, so wie es sich ergibt.
G. Trahms: In Ihrem Essayband Schund & Segen findet sich ein kurzer Text über ein Arno Schmidt – Zitat aus Das steinerne Herz von 1954, das von der »Ostzone« handelt und von einem »HO«-Schriftzug aus blauen Neonröhren. Sie stellen sich einen imaginären Leser des Romans im Jahr 2054 vor und schätzen ihn glücklich, weil er diese Bezeichnungen nicht mehr versteht. Ähnlich wird es Ihrer Meinung nach den Bezeichnungen der »Interzone« aus Burroughs Naked Lunch gehen. Sie schreiben: »Und eine Zeitlang gedeihen dann die Namen aus beiden Büchern in jenem Zwielicht, in jener Dämmerzone, in der die Namenwörter sich der Kontrolle fester Zuschreibung entziehen und ihre Kraft aus Ahnungen und Assoziationen saugen.«
G. Klein: Ja, in dieser Zeit erleben die Bücher eine besondere Blüte, vielleicht nicht, was ihre Popularität angeht, aber das Glück ihrer Lektüre erreicht womöglich einen Gipfel.
G. Trahms: Danach, wenn sie sich »wie alte Ölgemälde unrettbar zu verdunkeln beginnen, hebt die trostlose Ära der historisch – kritischen Ausgaben an.«
G. Klein: Gar nicht schlecht geschrieben!
G. Trahms: Duchaus!
G. Klein: Wie alt war der Autor damals?
G. Trahms: Der Artikel heißt Die schlechte Versternung des Himmels und erschien 2001 in der FAZ, ist also selbst schon historisch, aber was Sie dort schrieben, gilt noch. Damals schon und immer noch befinden wir uns in der Zeit der kommentierenden Ausgaben, die ja eine Art Textmuseum darstellen.
G. Klein: Es gibt Institutionen, die solche Ausgaben zu ihrer Ehrenpflicht rechnen und zur Legitimation ihrer eigenen Existenz pflegen. Und es gibt unglaublich fleißige und kundige Philologen. Ich kenne auch Leser, die den akribischen Aufwand problemlos genießen können. Selber schweife ich ungern aus einem poetischen in einen wissensorientierten Text ab. Jedes Wissen hat sein eigenes Pathos, und leider tendiert die Gestimmtheit, die aus Wissen erwächst, nicht selten dazu, andere Stimmungen schulmeisterlich zu dominieren..
G. Trahms: Sie würden also dafür plädieren, die Vergänglichkeit des Textes zu akzeptieren und damit zu leben, ja einen besonderen Reiz darin sehen. Ist das eine Einsicht, die ein Autor mit steigendem Lebensalter gewinnt?
G. Klein: Das haben auch junge Autoren im Blick. Nicht wenige haben recht ausgenüchterte Vorstellungen von der Verweilzeit ihrer Texte im Licht der Aufmerksamkeit und dem Fortbestand ihrer Bücher auf Erden. Autorschaft bezieht sich ja auf beides, auf das erste In-die-Welt Kommen des Textes und auf dessen weiteren Weltgang als Buch. Seit es bürgerliche Literatur gibt, ist es die Regel, dass die meisten Schreibenden das Vergehen ihrer Autorschaft miterleben. In mehrfacher Hinsicht: Sie erleben, dass ihre Bücher immer schwieriger, schließlich gar nicht mehr erhältlich sind. Sie machen dazu die Erfahrung, dass das soziale Umfeld, das für Geld und Geltung sorgen kann, also bei uns der so genannte Literaturbetrieb, das Interesse an jener Autorenfigur verliert, die eine Zeitlang mit der Person des Schreibenden zusammenfiel. Und dann kann hinzukommen, dass sich der Prozess des Schreibens mühseliger, irgendwann vielleicht sogar überhaupt nicht mehr in Gang setzen lässt. Auch wenn's schlimm grausam klingt: Als Autor zu vergehen, widerfährt uns meist bereits zu Lebzeiten.
G. Trahms: Vergänglichkeit ist nicht nur etwas, dem Autoren oder Bücher unterliegen, sie ist auch ein Thema der Literatur, das man mit bestimmten Epochen assoziiert, zum Beispiel mit den barocken Klagen in Sonettform.
G. Klein: Wenn man die Wörter abhorcht, sei's das Adjektiv »vergänglich«, sei's das Nomen »Vergänglichkeit«, spürt man einerseits: Diese Vokabeln sind momentan nicht im Schwange. Gleichzeitig merkt man aber noch: Diese Wörter hatten sehr lange einen weiten und tiefen Echoraum, zumindest so lange das Christentum den Ton angab. Es ist ein Unterschied, ob man zu »Vergänglichkeit« einen starken Gegenbegriff hat, also unwillkürlich »Ewigkeit« hinzu assoziiert, oder ob da bloß eine schwarze Leerstelle ist. Just wegen dieses schwarzen Lochs sollen angeblich viele Leute Angst vor dem Tod haben. Statt in die Schwärze wegzusterben, möchten sie lieber immer weiter wursteln, mit Erinnerungen aus mehr als hundert Jahren putzmunter in die nächste Runde der Erfahrung starten, als kenne das, was da erinnert und erfährt, keine Ermüdung, kein Verhärten, keine Sättigung, keinen sinnfälligen Niedergang, kein allmählich Unrettbar- Böse-Werden. Ich kann mir das hundertzwanzigjährige Hirn nur als etwas Monströses vorstellen. Ich bin dafür, dass gestorben wird! Und falls das Bei-Zeiten-Sterben demnächst durch den Fortschritt der Medizintechnologie aus der Welt geschafft werden sollte, schließe ich mich auf meine alten Tage noch der »UFVI«, der »Untergrundarmee für die Vergänglichkeit des Individuums«, an …
G. Trahms: Merkwürdig ist, dass wir bei Vergänglichkeit vorwiegend das Wehmuts- und Jammergefühl haben – es ist doch positiv, dass auch üble Dinge vergehen. Aber daran denkt niemand.
G. Klein: Obwohl diese Beobachtung im gesunden Menschenverstand, in der Küchenweisheit des Alltags durchaus zu Wort kommt. Jede Mutter sagt dem Kind mehr als einmal: »Das geht vorbei!« Dass auch die Zeit des Bösen abläuft, ist schon toll. Allerdings, und das ist der Wehmutstropfen, so haltbar wie das Gute, das wir erleben dürfen, kann das Schlimme meist auch sein. Zwölf Jahre Nazizeit war schon ein arger Batzen, für meinen Vater lang genug, um ihm durch Terror, Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung die existenzielle Spanne gründlich zu verfinstern.
G. Trahms: Warum sperrt man sich so gegen Vergänglichkeit, warum sehnt man das Unvergängliche herbei?
G. Klein: Wahrscheinlich aus Angst, aus Angst vor den für unser kleines Ich unheimlich komplexen, überwältigend riesigen dynamischen Phänomenen. Im Deutschen wird der Verlauf der individuellen Existenz, aber auch das vermutlich schon viele Millionen Jahre währende Dasein der stoffwechselnden Natur in der Regel mit ein und demselben Wörtchen »Leben« abgedeckt. Hat sogar unsere Sprache Angst? Sieht so aus. Die Vorstellung, auf einem Hochplateau der Freude, der Lust oder auch bloß des behaglichen Bescheidwissens zu verweilen, scheint in diesem Zusammenhang etwas notwendig Entlastendes zu haben. Es gibt dieses angstvolle Verlangen nach ewigem Anhalten und maßloser Dauer, nach einer Art übererigierter Gegenwart, obwohl es unseren Erfahrungen in der existenziellen Selbstbeobachtung wie in der Naturschau widerspricht.
G. Trahms: Früher, als meine Kinder klein waren, schauten manche Leute in den Kinderwagen und seufzten: »Ach, wenn sie doch immer so blieben!« Ich fand die Vorstellung gruselig.
G. Klein: Vielleicht gilt Ähnliches auch innerhalb der Kunst: Ich weiß nicht, ob jemals einer von uns Schreibenden ernstlich ins Auge gefasst hat, dass eines seiner Werkstücke ewig sein könnte. Wenn die Bibel einen einzigen Autor hätte, sein Name trüge einen gewaltigen Buckel aus Schuld durch die Zeit. Das, was man geschenkt bekommen kann an Aufmerksamkeit, Zuwendung, Respekt, Liebe, auch für ein künstlerisches Werk, das muss man zu Lebzeiten erfahren. Traurig, wer auf Nachwelt hoffen muss! Todtraurig, wer von ewigem Nachruhm träumt. Oder: »Eternity sucks!« So kurz und bündig habe ich es unlängst im Internet, auf der Seite einer amerikanischen Autorin gelesen. Wie könnte man das übersetzen? Vielleicht: »Ewigkeit geht auf den Geist!«
G. Trahms: Schön gesagt und guter Schluss!
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Gisela Trahms
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