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Fitzgerald Kusz
Muggn

Summen aus Südost

Fitzgerald Kusz | Muggn
Fitzgerald Kusz
Muggn
Gedichte
ars vivendi 2006

Manche Menschen, zum Beispiel die aus Oberrüsselbach, sind Franken. Die kennen sich aus mit Muggn. Die meisten Menschen sind keine Franken. Sie kommen nicht gleich darauf, was muggn bedeuten könnte. Mücken vielleicht? Falsch. Auf dem Cover sieht man eine Fliege. Nicht gerade ein besonders beliebtes Tier. Wenn Gedichte unter einem solchen Titel einschweben – was wollen sie? Nerven? Oder nur ein bisschen summen und dann sind sie wieder weg?

Erst einmal, sofern wir fremd in Oberrüsselbach und auch sonst ganz unfränkisch, stellen sie uns auf die Knobel- und Entschlüsselungsprobe. Was ist ein waddezimmä? Ein fussl vom schaked? Na, geschenkt, das errät jeder. Aber ein foäbloon? Oder uän? Oder gar deoodä? Ach du heiliger Fitzgerald! Hier hilft die alte Einsicht, dass eine schmutzige Tasse, in schmutziges Wasser getaucht, sauber herauskommt. Rätselhafte Wörter, zu rätselhaften Wörtern gesellt, machen sich gegenseitig klar. Fahrplan, Uhren, Theater – darum handelt es sich. Ja, hätte er das nicht sofort und hochdeutsch sagen können, der Dichter? Warum dieses exotische Idiom? Vergleichen wir Original und Übersetzung:
schnäi

Mei frau houd haid
iän gräinä hendschä
widdägräichd
wous gesdern
innerm kaufhaus
väluän houd:
edz kann
dä windä kummä
  schnee

meine frau hat heute
ihren grünen handschuh
wiedergekriegt
den sie gestern
im kaufhaus
verloren hat:
jetzt kann
der winter kommen


Links zum Entzücken, rechts nur hübsch. Warum? Weil die Buchstaben tanzen und Hochzeiten feiern, die wir gar nicht für möglich gehalten haben. Für des Deutschen nicht Kundige mag wiedergekriegt schon mühsam genug sein, aber was ist das gegen das Gewitter von widdägräichd! Da wird dem Nichtfranken schon schwindlig vom Hinsehen, die Zunge legt sich quer und wills gar nicht erst probieren. Ein Wort, das mit chd aufhört, das darf doch nicht sein! Doch, es darf, es nimmt sich einfach die Freiheit, und das erfreut. Gewöhnlich zieht ja die Sprache den Dialektkittel nur für die mündliche Rede an. Da umschließt er wie angegossen, was Sprecher und Zuhörer einander mitteilen wollen und verbindet sie fürs Leben. Schreibt man die Oberrüsselbacher Worte und Wendungen dagegen auf (und was für ein Ohr gehört dazu, diese Laute in Lesbares umzusetzen!), rücken sie von uns ab, spazieren befremdlich über die Seiten, schillern, überraschen, erstaunen und erheitern, selbst wenn ihr Sinn, wie in diesem Buch, selten heiter ist.

Fitzgerald Kusz ist einer der meistgespielten Theaterautoren Deutschlands, der auch Prosa und Lyrik schreibt. Du, horch heißt beispielsweise ein Band mit Szenen und Kurztexten. Horchen: Das tut er, das verlangt er. Und zwar nicht nur auf Volkes Stimme, wie es das Klischee nahelegt, das man mit „Dialekt“ assoziiert. Kusz horcht auf die stummen Lebewesen, die Dinge, die Wörter. Da entschuldigt er sich bei einem Baum, weil er ihn nur im Herbst wahrnimmt, wenn er mit bunten Blättern prunkt, anstatt sich das ganze Jahr an ihm zu freuen. Er verfasst ein Preislied auf die Fahrpläne, eine hinreißende Tüten-Etüde (diidn) oder eine Aufforderung zum Flanieren (flaniän). Und jede Menge Gedichte über Gedichte, geschriebene und ungeschriebene. Wie schön wäre es doch, stellt er sich vor, Wörter auf Wolken zu schreiben, bis sie sich zu einem Gedicht zusammenfügen, des am himml dähiizäichäd / bis vo selbä / widdä väschwindäd. Oder er träumt von einem Gedicht, des einfach oofangäd / und nie meä aufhöräd / und middndrin iich. Welchem Autor spräche er damit nicht aus der Seele? Hier schiebt der Dialekt dem Seufzer die nötige Ironie unter, und so seufzen wir aus vollem Herzen mit. Leise Töne, scharfe Blicke, sehr konkrete Befunde über die Zustände zuhause und in der Welt, auch die politischen, und ein wenig Melancholie, kind of blue. Und der Dialekt: Passt scho, wie des Franken Nachbar sagt. Werden wir also zu Nürnbergern, wenigstens für ein Stündchen, und gönnen wir Kusz auch den Stolz, der aus dem Titelgedicht spricht:
muggn

däi frau vuä miä
in dä schdraßnbohn
wou zeä rolln gloobabiä
zum schboäbreis umarmdt
wous hadn däi dou
in meim gedichd väluän?
edz is drin:
ä muggn im bernschdein
  fliege

die frau vor mir
in der straßenbahn
die zehn rollen klopapier
zum sparpreis umarmt
was hat die denn
in meinem gedicht verlorn?
jetzt ist sie drin:
eine fliege im bernstein
Fitzgerald Kusz (eigentlich Rüdiger Kusz) wurde 1944 in Nürnberg geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete zehn Jahre als Lehrer und lebt seit 1982 als freier Autor in Nürnberg. Er wurde durch mehrere Theaterstücke (Schweig, Bub!, 1976) bekannt sowie durch seine mittelfränkischen Mundartgedichte.

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Gisela Trahms   05.07.2007

Gisela Trahms
Interview
Bericht
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