Erst einmal, sofern wir fremd in Oberrüsselbach und auch sonst ganz unfränkisch, stellen sie uns auf die Knobel- und Entschlüsselungsprobe. Was ist ein waddezimmä? Ein fussl vom schaked? Na, geschenkt, das errät jeder. Aber ein foäbloon? Oder uän? Oder gar deoodä? Ach du heiliger Fitzgerald! Hier hilft die alte Einsicht, dass eine schmutzige Tasse, in schmutziges Wasser getaucht, sauber herauskommt. Rätselhafte Wörter, zu rätselhaften Wörtern gesellt, machen sich gegenseitig klar. Fahrplan, Uhren, Theater – darum handelt es sich. Ja, hätte er das nicht sofort und hochdeutsch sagen können, der Dichter? Warum dieses exotische Idiom? Vergleichen wir Original und Übersetzung:
Links zum Entzücken, rechts nur hübsch. Warum? Weil die Buchstaben tanzen und Hochzeiten feiern, die wir gar nicht für möglich gehalten haben. Für des Deutschen nicht Kundige mag wiedergekriegt schon mühsam genug sein, aber was ist das gegen das Gewitter von widdägräichd! Da wird dem Nichtfranken schon schwindlig vom Hinsehen, die Zunge legt sich quer und wills gar nicht erst probieren. Ein Wort, das mit chd aufhört, das darf doch nicht sein! Doch, es darf, es nimmt sich einfach die Freiheit, und das erfreut. Gewöhnlich zieht ja die Sprache den Dialektkittel nur für die mündliche Rede an. Da umschließt er wie angegossen, was Sprecher und Zuhörer einander mitteilen wollen und verbindet sie fürs Leben. Schreibt man die Oberrüsselbacher Worte und Wendungen dagegen auf (und was für ein Ohr gehört dazu, diese Laute in Lesbares umzusetzen!), rücken sie von uns ab, spazieren befremdlich über die Seiten, schillern, überraschen, erstaunen und erheitern, selbst wenn ihr Sinn, wie in diesem Buch, selten heiter ist. Fitzgerald Kusz ist einer der meistgespielten Theaterautoren Deutschlands, der auch Prosa und Lyrik schreibt. Du, horch heißt beispielsweise ein Band mit Szenen und Kurztexten. Horchen: Das tut er, das verlangt er. Und zwar nicht nur auf Volkes Stimme, wie es das Klischee nahelegt, das man mit „Dialekt“ assoziiert. Kusz horcht auf die stummen Lebewesen, die Dinge, die Wörter. Da entschuldigt er sich bei einem Baum, weil er ihn nur im Herbst wahrnimmt, wenn er mit bunten Blättern prunkt, anstatt sich das ganze Jahr an ihm zu freuen. Er verfasst ein Preislied auf die Fahrpläne, eine hinreißende Tüten-Etüde (diidn) oder eine Aufforderung zum Flanieren (flaniän). Und jede Menge Gedichte über Gedichte, geschriebene und ungeschriebene. Wie schön wäre es doch, stellt er sich vor, Wörter auf Wolken zu schreiben, bis sie sich zu einem Gedicht zusammenfügen, des am himml dähiizäichäd / bis vo selbä / widdä väschwindäd. Oder er träumt von einem Gedicht, des einfach oofangäd / und nie meä aufhöräd / und middndrin iich. Welchem Autor spräche er damit nicht aus der Seele? Hier schiebt der Dialekt dem Seufzer die nötige Ironie unter, und so seufzen wir aus vollem Herzen mit. Leise Töne, scharfe Blicke, sehr konkrete Befunde über die Zustände zuhause und in der Welt, auch die politischen, und ein wenig Melancholie, kind of blue. Und der Dialekt: Passt scho, wie des Franken Nachbar sagt. Werden wir also zu Nürnbergern, wenigstens für ein Stündchen, und gönnen wir Kusz auch den Stolz, der aus dem Titelgedicht spricht:
Gisela Trahms 05.07.2007
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Gisela Trahms
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