Viel weißer Raum also um das Schwarz der Sätze, und so fällt es uns leicht, Seite für Seite der erdschwarzen Füchsin durch den Schnee zu folgen, zusammen mit Pfarrer Baldur, einem fanatischen Jäger. Im Dorf wird er Skugga-Baldur (= Schatten- Die Geschichte spielt im Januar 1883. Der Pfarrer jagt die Füchsin, weil ihr Fell gutes Geld bringt. Gierig, wie er ist, lässt er sich auch von einem Schneesturm nicht aufhalten. Und bedenkt nicht, wer ihn auf die Füchsin aufmerksam machte und ins eisige Verderben schickte. Fridrik war es, der den Pfarrer hasst. Fridrik hat Kummer: Sein Pflegling Abba, eine junge Frau mit Down- Handelt es sich um einen Kriminalroman? Nein. Um Abbas Leben, Leiden und Sterben? Nur begrenzt. Um eine Verfolgungsjagd mit symbolischem Charakter? Schon eher. »Dunkles Geheimnis«, munkelt der Schutzumschlag. Das lockt. Nur: Worauf zielt die Geschichte ab, was sollen wir eigentlich fühlen? Mitleid mit Abba, klar. Aber wir begegnen ihr so selten. Trauer mit Fridrik, auch klar, aber so sehr traurig scheint er gar nicht zu sein. Abscheu gegenüber dem Pfarrer? Dass er ein Bösewicht ist, erfahren wir erst spät, da haben wir schon mit ihm gejagt und gefroren. Was wir im Kopf behalten, gleicht einer Sammlung von film-stills: Abba, angekettet wie ein Tier / Die zusammengerollte Füchsin, wachsam schlafend / Der Pfarrer, nackt im Schnee usw. Sehr effektvolle Bilder, zweifellos. Und so isländisch. Sjón hat an Dancer in the Dark von Lars von Trier mitgearbeitet, er schrieb die Songtexte für Björk. Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände, außerdem Stücke und Erzählungen. ‚Sjón' ist das isländische Wort für Vision. Nun, darum handelt es sich hier nicht. Sondern um ein Stück Prosa, das aus sehr disparaten Elementen gemixt wurde. Dokumentarisches, Mythisches, Phantastisches, Historisches, Lokalkolorit, alles drin. Der liebe Gott kommt vor, die Elektrizität und Mallarmé. Zusammengehalten wird das durch einen gewissen lakonischen Ton: »So sah er aus, der Mann in der Schneewehe.« Ja, sah er wohl. Dazwischen Pathos: »Es ist der Frühling vor der Ankunft des Menschen.« Na schön. Was fehlt, ist das Gefühl, dass sich der Autor wirklich der Geschichte annimmt, die er da erzählt. Dass er nicht nur Bravourstückchen abliefern will. Nicht nur Puzzleteile »aus kostbarem Treibholz« wie jene schwarzen Stäbe, die Abba ihr kurzes Leben lang mit sich schleppt und die, zusammengefügt, einen Sarg ergeben, den ein Ovid-
Gisela Trahms 16.05.2007
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Gisela Trahms
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