Norbert Hummelts Gedichte wirken wie Besuche in solchen Räumen. Sie gehen gleichsam auf Zehenspitzen, leise und sehr ebenmäßig, was sich schon optisch zeigt. Zeilen von gleicher Länge formen Textblöcke, die strikte Kleinschreibung egalisiert die Wörter und das abkürzende ‚u.‘ verleiht ihnen den täuschenden Charakter flüchtiger Notate. Hat man sich an diese für Hummelt typische Textgestalt gewöhnt, erweisen sich die einzelnen Gedichte als überraschend konkret. Schlichte Aussagen reihen sich aneinander: »stau war nur bei köln«, heißt es da, oder »als wir uns endlich eingeschifft hatten, die räder an deck...« Steigerungen, dramatische Höhepunkte gibt es kaum in diesem fließenden Erzählen, aber ein Sog bildet sich, in den besten Texten eine Art Magie, weil diese Details in einer Weise gegengeschnitten werden, die ihnen die Banalität nimmt und eine Tür öffnet in einen neuen Bedeutungsraum. Der Titel der Sammlung klingt düster, doch im Gedicht gleichen Namens begegnen wir nicht den grinsenden Gerippen des Mittelalters, sondern der Erinnerung an die Scheune, die einst als Disco diente. Das ausgelassene Treiben der Freunde (»man kennt sich gut u. wird sich immer fremder«) hat nun, aus der Distanz, etwas Gespenstisches. Andere Gedichte erzählen von Sterben, Tod und Verlust, doch ihr Tenor ist nicht Verzweiflung, sondern ein natürlicher Ernst. Immer besitzen die Gedichte mehrere Zentren, die auch verschiedene Perspektiven eröffnen. Eines dieser Zentren ist Trauer, ein anderes Empathie, ein drittes Schönheit, ein viertes Staunen. Wer lebt, geht ja unablässig dem Tod entgegen, und wer das wirklich verstanden hat, zeugt ein Kind. Diese Bewegung vollzieht die Anordnung der Texte nach anhand unspektakulärer Erfahrungen – in inbild wird zum Beispiel einfach geschildert, wie ein Vater seine kleine Tochter aus dem Kindergarten abholt, sie läuft ihm entgegen, er hebt sie hoch: »das bild fällt tief in mich hinein«, und der Leser füllt die Szene unwillkürlich mit dem Bild des eigenen Kindes. Der sarkastische oder bittere Ton ist Hummelt fremd, er scheut sich nicht, Provinz (d.h. Orte und Landschaften des Niederrheins) und katholische Wurzeln erstaunlich zornlos zu schildern. Das scheint manchmal geradewegs in die Enge zu führen, und wer eine andere Kindheit erlebte, mag da vielleicht nicht immer folgen. Hummelt hat diese Bindung an die Herkunft in dem Gedicht Schillerstraße selbst thematisiert: »in diesem vor bildern engen zimmer / ein säugling, vor zeiten dort abgestellt, hörte / die schwer isolierbaren stimmen, ihr steigen / und fallen, das war die welt.« Aber dann kann mitten in diesem begrenzten Kosmos ein Zitat von T.S. Eliot aufleuchten, dessen Four Quartets Hummelt übersetzt hat. Oder der »wiege in bingen« entsteigt der ‚Seher‘ Stefan George, ein Provinzler der pompösen Art, der sich den »wespenpulli« Thomas Klings überstreift, mit dem Hummelt befreundet war. Solche Verschlingungen sind brillant gemacht und sehr komisch. »Dichtung«, schreibt Hummelt im 25. Jahrbuch der Lyrik, »ist Lichttherapie, auch wenn sie dunkel ist.« Dunkel ist seine Dichtung nicht. Eher herrscht in ihrem Haus ein auf menschliches Maß gedimmtes Licht. Anrührende Stimmen durchziehen die Räume, in denen man stillsteht, lauscht und sich abwechselnd fremd fühlt und selber begegnet.
Gisela Trahms 24.04.2007
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