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Gisela Trahms

Günter? Oskar!
Zum 80. Geburtstag von Günter Grass

Guenter Grass
© Florian K.
Großliterat Grass begeht am 16. Oktober 2007 seinen achtzigsten Geburtstag. Nicht nur Danzig und Lübeck feiern, nicht nur Horst Köhler und Siegfried Lenz applaudieren, auch der Poetenladen trommelt und präsentiert eine wohlmeinend respektlose Laudatio auf den nobilitierten Herrn mit Schnäuzer.
Als Günter Grass 60 wurde, feierte er sich und seine Leser mit einer Veranstaltung in der Berliner Akademie der Künste. Das Podium, auf dem Grass mit zwei Kollegen und Libuše Moniková saß, stand mitten im ausverkauften Saal. Jeder der drei Gäste sprach herzliche Worte, bevor er / sie ein paar Seiten aus einem der Bücher des Jubilars las. Zum Abschluss trug Grass das erste Kapitel der Rättin vor. Nur nebenbei erwähnte er in seiner Einführung die miserablen Kritiken – überzeugt, dass der Text über die veröffentlichte Meinung triumphieren und bei den hier Versammelten Beifall finden würde. Er las gut, und am Ende stand er da in seinem braunen Cordanzug und verbeugte sich ungelenk und gerührt zu den standing ovations seines Publikums, dessen Sympathie mit Händen zu greifen war.

Das war 1987, in einer fernen und, wie uns jetzt scheinen will, sehr übersichtlichen Welt. ‚Stellvertreter Goethes auf Erden‘ nannte man ihn in beinahe liebevollem Spott. Schwerfällig und unerschütterbar saß er auf seinem Thron, princeps und praeceptor, obwohl seit Jahren keines seiner Bücher die Erwartungen der Leser, der Kritik erfüllt hatte.

Vorbei, verweht. Die Welt ist eine andere. Die zarte Libuse Monikova ist tot, ihre Bücher vergessen. Die Zweiteilung Europas brach zusammen, die Mauer fiel, und Grass schrieb Romane, die von diesen Umwälzungen erzählten. Ein weites Feld zum Beispiel, 781 Seiten lang. Iris Radisch eröffnete ihre Rezension in der ZEIT mit dem Satz: „Wer soll das lesen?“ Ja, ob das Buch gelesen wurde, weiß niemand, gekauft wurde es zu Tausenden. Und obwohl die meisten Rezensenten wieder einmal kein gutes Haar daran ließen, waren vier Jahre später Freude und Zustimmung groß, als Grass den Nobelpreis für Literatur erhielt. Na endlich, war der Tenor, wurde auch Zeit. Und konnte man diesen Nobelpreis nicht als versöhnlichen Ausklang des für und durch Deutschland so entsetzlichen zwanzigsten Jahrhunderts betrachten? Mit Grass wurde immer auch das demokratische Deutschland und seine Gedenkkultur geehrt. Später erfuhren wir dann, dass das Gedenken oder vielmehr das freimütige Sprechen, was Grass selbst betraf, so lückenlos nicht gewesen war. Die dadurch ausgelösten Wortlawinen waren so gewaltig, dass man zu diesem Thema keinen Satz mehr hören noch äußern möchte. Fragen wir lieber, wie es mit Grass' Büchern weiterging im neuen, unübersichtlichen Jahrhundert.

Im Krebsgang war ein Novum insofern, als hier von deutschen Opfern des Krieges erzählt wurde. Eine wiederbelebte Tulla Pokriefke wurde uns vorgeführt, deren schrille Eigenschaften sich zu keinem Charakter zusammenschlossen, dazu ihr Sohn, eine Nullfigur, in einer Sprache, die sich rechtschaffen um das Rechte mühte und uns vorschrieb, was wir fühlen sollten. Ein Roman, geschrieben mit der Asche des einstigen Feuers, grau in grau. Und im letzten Jahr dann die Zwiebel, fast begraben unter Geschrei, und in diesem Frühjahr des Autors Replik, Dummer August, ein Buch, das man stapelweise in den Buchhandlungen liegen sieht und gar nicht erst aufschlagen will.

Guenter Grass | Die Vorzüge der Windhühner

Die Vorzüge
der Windhühner

Mit den Vorzügen der Windhühner war Grass 1956 eine öffentliche Figur geworden. Das war vor der Errichtung der Mauer, vor den Beatles, vor der Mondlandung. Heute, zwei Generationen später, ist er immer noch der top-player – welchem Autor würde die FAZ wohl eine mehrseitige Sonderbeilage widmen wie letztes Jahr der Zwiebel? (Nein, Martin, dir nicht!) Andererseits: Als der Irak-Krieg begann, sah man im Fernsehen Grass, für einen amerikanischen Sender befragt von einer jungen amerikanischen Reporterin. Ungläubig, mit abwehrend zurückgebogenem Kopf, starrte sie auf diesen most famous German writer, der etwas von „Bush war criminal“ ins Mikro stammelte. Auch wer seine Meinung teilte (alle, denke ich), fragte sich, was er mit solchen Auftritten bezweckt. Immer noch einmal Engagement beweisen, die Stimme erheben, mahnen? Längst weiß man doch schon vorher, was er sagen wird. Günter Grass: Das bedeutet heute, neben aller Würdigung seiner Verdienste, auch Befremden, Entnervung, Verschleiß durch jahrzehntelange lautstarke Anwesenheit. Ein so herzliches, unkompliziertes Einverständnis wie 1987 gibt es nicht mehr.

Vielleicht wäre es zuträglicher für ihn, den Autor, für uns, die Leser und für die literarische Szene in Deutschland, ihn ein wenig in Frieden zu lassen, nicht bei jeder seiner Äußerungen ein solches Geschrei zu erheben, den Hype auf kleiner Flamme zu halten. Statt jetzt, zum Achtzigsten seines Schöpfers, sollte man vielleicht lieber in zwei Jahren die Schlegel ergreifen, wenn Die Blechtrommel Geburtstag hat und 50 wird. Da ist jeder Trommelwirbel gerechtfertigt, und das ist der tröstliche Kern des Grassschen Zeterlebensmärchens. Für die deutsche Literatur ist Oskar aus Danzig die bleibende Figur der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht mehr in der Anstalt trommelt er, sondern im Olymp: vital, ungebärdig, unvergesslich.

Gisela Trahms   09.10.2007

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