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Aloysius BertrandGaspard de la NuitEine Entdeckung: die Prosadichtungen von Aloysius Bertrand Kritik
Die Behauptung, der Verlag Reinecke und Voß habe eine Perle der Französischen Literatur für den deutschen Leser geborgen, greift zu kurz. Hier wird ein zentraler Text zugänglich gemacht, und einer der schönsten, die mir begegnet sind, zumindest wirkt er in der Gestalt, die Buchmann ihm gegeben hat, schier unermesslich (man verzeihe mir die Superlative, aber an dieser Stelle kann ich nicht anders, als staunen, wie ein Schuljunge). Zentral ist der Text vielleicht nicht hinsichtlich seiner Wirkung auf den Fortgang der Literatur zum Zeitpunkt seiner Entstehung, aber beeindruckend in der Vorwegnahme all dessen, was danach geschah. Beinahe gespenstisch. Gespenstisch aber auch, dass ich von Autor und Buch vorher nie etwas gehört hatte. Gut, ich bin kein Romanist, aber ich meine zumindest, die bedeutenderen Autoren des Nachbarlandes zu kennen, nicht die gegenwärtigen vielleicht, aber die klassischen. Auch wenn ich nicht von allen etwas gelesen habe, so hatte ich doch schon einmal die Namen gehört. Nicht aber von diesem: Wir sprechen hier von dem Buch „Gaspard de la Nuit“ von Aloysius Bertrand. Bertrand lebte von 1807 bis 1841. Ein Romantiker, könnte man meinen, wenn er nicht die ganze Romantik so weit hinter sich ließe. Und wenn er seinem Text den Untertitel „Phantasien in der Manier Rembrandts und Callots“ gibt, ist das keine rückwärtsgewandte Ästhetisierung, sondern weist auf kommende Transmedialität hin, wie sie die Moderne und Postmoderne teilweise zelebriert. Das Buch beginnt mit einem Vorwort, in dem der Autor, ganz im Sinne Cervantes die Autorschaft bestreitet. Beschrieben wird, wie er von einem Fremden, einem scheinbar wirren ältlichen Typen, eben jenem „Gaspard de la Nuit“ das Buch empfängt. Dieser ist, wie sich später herausstellen wird, der Teufel, und als solcher natürlich Dialektiker. Denn kurz bevor er den Text übergibt, referiert er dessen Entstehungsbedingungen, noch ganz in einem romantischen Sinne, aus einem Vorgestellten mittelalterlichen Dijon und der Natur. In die Erzählung hinein ragt jedoch immer wieder die Frage Autors, was denn nun mit der Kunst sei, und kurz vor seinem Verschwinden (dem Verschwinden des Autors letztlich) wird deren Überleben konstatiert. Im Gegensatz zum dadaistischen Diktum, dass die Kunst tot sei, wird also hier von ihrem Überleben der Vorzeit ausgegangen, der letzte Satz der Vorrede lautet: „Wenn Gaspard de la Nuit in der Hölle steckt, so soll er nur weiter dort schmoren: ich drucke sein Buch.“ Ein interpretationsfähiges Ende. Und diesem Ende schließt sich ein Text an, in dem so einiges beginnt. Im Nachwort, einem instruktiven und wunderschönen Essay „Versuch über Bertrand“ schildert Buchmann zum Beispiel, wie Baudelaire in der Auseinandersetzung mit dem „Gaspard de la Nuit“ zu seinen eigenen Prosadichtungen fand, und wie der Text verdeckt 150 Jahre wirkte, bis eine offene Rezeption einsetzte. Über den Autor Bertrand hingegen erfahren wir, dass über ihn nicht allzu viel herauszufinden ist. Buchmann zitiert einen Chasle Pavie: „Nach seinem Tode ist trotz aller Nachforschungen die Angestellt wurden, nicht ein einziger Zeuge seines Lebens erschienen, der gesagt hätte „Ich habe ihn gekannt, ich bin ihm unter diesen oder jenen Umständen begegnet, das und das hat er gesagt oder getan.“ Ich muss zugeben, auch mich beschlich im Verlauf der Lektüre hin und wieder der Gedanke, Autor und Buch könnten eine geniale Erfindung des Übersetzers sein. Aber wir leben im Internetzeitalter, und ich glaube nicht, dass man die Datenflut beherrschen kann; rückwirkend ein Werk von Ravel zu erfinden (Maurice Ravel: Gaspard de la Nuit, 3 poèmes pour piano d'après Aloysus Bertrand), funktioniert, denke ich, nicht. Ich empfehle von ganzem Herzen ein jedem, dieses wundervolle Buch zu lesen. Es nicht zu tun, wäre Verzicht.
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Jan Kuhlbrodt
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