14. OPEN MIKE
Warum nicht mal ein gutes Jahr?
Drei Preisträger, drei Favoriten –
der 14. Open Mike ist unentschieden ausgegangen
„Es war kein schlechtes Jahr“, resümierte Piper- Lektor Thomas Tebbe kurz vor der Preisverleihung des 14. Open Mike, der am 4. und 5. November im Prenzlauer Kulturzentrum Wabe stattfand. Aus 670 Einsendungen hatten sechs Lektoren jeweils drei Autoren bestimmt, die zum Wettlesen um drei mit insgesamt 4.500 Euro dotierte Plätze antraten. „Der Open Mike ist das Tor zum Literaturbetrieb“, schrieb Volker Weidermann am Wochenende in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, eine Prämierung öffnet die Türen zu den Verlagen, aber selbst eine Teilnahme gibt den Finalisten bereits die Chance, im mit Lektoren, Agenten und Medienvertretern gefüllten Saal der Wabe auf sich aufmerksam zu machen und die eine oder andere Visitenkarte einzustecken. Aber wie kann es sein, dass die besten Texte aus 670 Einsendungen lediglich als nicht schlecht zusammengefasst werden können? Gab es in diesem Jahr keinen Favoriten, keinen herausragenden Autor, keinen wirklich bemerkenswerten Text?
Die Jury jedenfalls, so hat es den Anschein, konnte sich nicht einigen: Anstatt drei Plätze zu vergeben oder sich zumindest für einen ersten Platz zu entscheiden, prämierte jedes Jurymitglied lediglich seinen eigenen Favoriten. Zwei Tage lang thronten die Schriftsteller Maxim Biller, Barbara Köhler und Christoph Geiser hinter ihrem rotbetuchten Tisch und sahen gewählt gelangweilt aus. Vor allem Maxim Biller gelang es meisterlich, die Langeweile in seiner Haltung auszudrücken, indem er einfach in die Luft starrte und dabei die Hände hinter dem Kopf verschränkte, einmal verließ er während der Lesung sogar den Saal. Wirkliche Begeisterung war keinem Jurymitglied anzumerken. Im Wort der Jury vor der Preisverleihung kritisierte Maxim Biller dann die diesjährigen Texte auch heftig. Dass elf der fünfzehn Prosabeiträge im Präsens geschrieben seien, störte ihn sehr, denn das Präsens sei eine artifizielle Form des Erzählens. Es fehlten die Konflikte, meinte Biller, er habe lediglich beschreibende Geschichten gehört an diesem Wochenende, Geschichten, die nichts mit Deutschland zu tun haben.
|
|
Drei gleichwertige Preise für die Autorinnen Luise Boege, Katharina Schwanbeck, Julia Zange |
Die letztliche Entscheidung der Jury für drei gleichwertige Preise an Luise Boege, Katharina Schwanbeck und Julia Zange machte den Eindruck, dass ein tatsächliches Gespräch zwischen den Jurymitgliedern gar nicht stattgefunden und jedes Mitglied lediglich sein kleinstes Übel gewählt hatte. Angesichts Billers Worte verwunderte die Wahl der Preisträger ein wenig: Drei Geschichten wurden ausgewählt, die im Präsens verfasst waren, und ein zeitpolitischer Bezug war höchstens in Zanges Text Küsst euch auf die Münder, Kinder! zu erkennen. In ihren Begründungen übte sich die Jury in Floskeln, „ein großes Versprechen“ war der eine Text, „perfekt gebaut und erotisch“ der zweite und der dritte wie eine „ironisch-kalte Explosion mit anarchischer Kraft“.
Boeges Text Der Optophonet hätte mehr Worte der Jury verdient als die bloße Feststellung, dass für die Prämierung „keine Begründung nötig“ sei. Denn Boege gelingt es, einen künstlerischen Traum – den Traum der Optophonetik, des mit den Augen Hörens, mit den Ohren Sehens – in die Realität ihres Textes einzubauen und so einen kafkaesken Weltausschnitt zu beschreiben, der trotz des von Biller gescholtenen Präsens in keinster Weise artifiziell wirkt. Ganz natürlich, ohne irgendein Hinterfragen, tritt der Optophonet in das Leben der Erzählerin: „Ich habe ihn letzte Woche gefunden, da lag der ohnmächtig auf einer Grasfläche und mit allem, mit drüber Himmel und drunter Gras, Narzissen, roter Klee, drumherum Kreisverkehr.“ Der Optophonet zieht in die Wohnung der Erzählerin ein, sie schenkt ihm einen senfgelben Schlafanzug, und er möchte den optophonetischen Apparat bauen, doch er verzweifelt an der Realität. „[...], aber die Worte, spricht der Optophonet, lägen überall herum und seien gesperrt, weil wenn, dann, weil, und, oder, vielleicht, und so weiter, so was könne es gar nicht mehr geben, und das da nicht und das dann und das dazwischen und überhaupt.“ Der Optophonet ist mehr als ein Stück Kurzprosa, der Text erzählt nicht nur auf eine spielerische Art und mit komischen Elementen eine Geschichte, sondern lässt auch Ansätze einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Sprache erkennen.
Die weiteren prämierten Beiträge sind thematisch auf einem sichereren Fundament gebaut: Katharina Schwanbeck erzählt in ihrem prämierten Text Jargo die inzestuöse Beziehung zwischen zwei Geschwistern, und Julia Zange berichtet in Küsst euch auf die Münder, Kinder! von einer Bombenexplosion in einem neu eröffneten Einkaufszentrum. Auch sprachlich sind diese beiden Gewinnertexte konventionell in einem positiven Sinne, sie sind durchaus bemerkenswert geschrieben, aber sie ragen doch nicht über andere, nicht prämierte Texte hinaus – nicht prämierte Texte, die zumindest eine lobende Erwähnung verdient hätten, aber lobende Erwähnungen sprach die Jury in diesem Jahr nicht aus. Dabei wurden vor dem großen Saal in den Pausen und bis zur Preisverleihung Namen geraunt: Martin Lechner, hörte man dort, Carsten Schneider, hörte man, und man hörte: Andreas Stichmann. Das Publikum schien sich relativ einig zu sein, dass zumindest einer dieser drei Autoren einen Preis bekommen sollte. Dass letztendlich alle drei leer ausgingen, ist unverständlich.
|
|
Drei Autoren, deren Texte optimistisch stimmten: Martin Lechner, Carsten Schneider, Andreas Stichmann |
Vor allem Martin Lechners Text Am Heckerdamm erfüllte die Forderungen der Jury sowohl in sprachlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht: In einem einzigen Satz mit einem stakkatohaft-fließenden Rhythmus erzählt er, wie eine Schülerin von fünf Klassenkameraden vergewaltigt wird und die Fotos von dieser Tat anschließend in Schulhof und Klassenzimmer von Handy zu Handy fliegen. Die Vergewaltigung wird nur bruchstückhaft beschrieben, doch sind gerade diese Bruchstücke so überzeugend gewählt, dass der Zuhörer die Bilder, die vor seinen Augen entstehen, nicht verhindern kann. Das ist Literatur: Der Leser kann sich gegen die Eindringlichkeit der beschriebenen Bilder nicht mehr wehren. „Deutschland brennt“, sagte Maxim Biller in der Rede der Jury, und genau dies stellte Lechner da: ein brennendes Deutschland, und, wenn man bei dieser unschönen Juryformulierung bleiben möchte, auch in einer brennenden Sprache.
Im Sommergarten von Carsten Schneider – ein Monetgemälde, wie Kiepenheuer-Lektor Gunnar Cynybulk den Text in seiner Anmoderation beschrieb – war eine wohltuende Abwechslung in der glasklaren Sprache, der genauen Beobachtung und der kopflastigen Analyse, von denen viele Texte in diesem Jahr und, ganz nebenbei, auch in den Jahren zuvor, geprägt waren. „Zufrieden entfalte ich die Zeitung. Meine Frau hat die schlimmsten Nachrichten bereits ausgeschnitten. Die Welt kann so schön sein.“, beginnt Schneiders Text harmlos und steigert sich schließlich über voltigierende und imkernde Nachbarn bis hin zu Fruchtbarkeitsritualen im Garten nebenan. Auch wenn die eine oder andere Pointe etwas zu flach gewählt ist, hätte Im Sommergarten eine Anerkennung verdient, denn hier wird eine Idylle einmal nicht über kalte Wortlosigkeit oder lange Blicke in die Ferne entlarvt, sondern durch eine übersprudelnde Fantasie.
Und natürlich Andreas Stichmann. Natürlich Andreas Stichmann, in dessen Text Alleinstehende Herren sich Sätze finden, mit denen man sofort seine Wohnung schmücken möchte, als Trost für die kommenden Wintertage. „Steck eine Münze in den Tag“, heißt es da, oder: „Ihr Mund ist wie eine Blume und ihre Augen sind wie zwei schöne Blumen. Ihr setzt euch auf ihre linksradikale Couch.“, oder: „Montagabend, Gedichtegruppe. [...] Paul kaut Bleistift und dichtet ganz wacker. […] Auch du bist ganz Zeilenbruch und Anapher.“, und vor allem: „Senioren diffundieren frei durch die Thermalsituation.“ Stichmanns Prosa ist klar, ohne durchschaubar zu sein, ist rund, ohne glatt zu sein, mit einigen angenehm angreifbaren Ecken. Politische Themen werden hier nicht berührt, aber beim Open Mike geht es in erster Linie doch um Literatur und nicht um Weltverbesserung.
Diese drei Texte stimmten am Wochenende des 14. Open Mike in Bezug auf die viel gescholtene junge Prosa optimistisch: Sie zeigten drei ganz unterschiedliche sprachliche Ansätze, mit einem literarischen Stoff umzugehen. Und sie bewiesen gleichzeitig, dass die Themen der jungen Literatur breit gefächert sind, dass es nicht immer um die Liebe gehen muss. Nein, es war kein schlechtes Jahr, der vierzehnte Open Mike. Es gab drei Preisträger, und es gab drei Favoriten, und das sind immerhin schon sechs Texte, die überzeugten – wen auch immer. Es war ein Jahr, das gespalten hat. Mit etwas mehr Wohlwollen könnte man es auch einfach als ein gutes bezeichnen.
open-mike 2005 | Bericht von Ulrike Sandig
open-mike 2007 | Bericht von Anjo Schwarz
pdf-Download der Preisträgertexte
Katharina Bendixen 06.11.2006
|
Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch
14. open mike
|