Felix Steiner lebt im Jahr 2030 in einer Welt, in der er arbeitslos ist, der Konzern „Mr. Suko“ beinahe jeden Lebensbereich gestaltet und Menschen auf unerklärliche Weise verschwinden oder bestialisch zerstückelt werden. Doch das ist nicht die Welt, welche den Rahmen für Bastian Wierziochs Dystopie „Doch Dunkel“ bildet. Denn eines Tages verschwindet Steiner selbst und findet sich in einem totalitären Staat wieder, in dem Überwachung und Militarismus den Alltag der Menschen bestimmen. Bald schon wird ihm klar, dass es sich um eine Parallelwelt handelt, in der sein Alter Ego einen festen Platz im System hat. Fortan muss er sich in Acht nehmen, nicht durch unbedachte Äußerungen als Spion diffamiert zu werden. Steiners größtes Problem ist es jedoch wieder in die alte Welt zurückzukehren. Mit „Doch Dunkel“ reiht sich Bastian Wierzioch eindeutig in die Traditionslinie der großen Utopisten wie Aldous Huxley und George Orwell ein. Allerdings gelingt es dem Autor dabei nicht immer, abseits der ausgelatschten Wege zu gehen. Allzu vertraut wird mit Motiven wie Entfremdung und Verrat umgegangen, wenn beispielsweise der eigene Sohn den Protagonisten ans Messer liefert. Auch die Beschreibungen von Todesstreifen und totaler Abriegelung des Staates lassen schnell erkennen, welche historischen Ereignisse als Vorlage dienen. Stärkstes Gestaltungsmittel ist zudem die (nicht neue) Frage: Was wäre, wenn der Nationalsozialismus nie geendet hätte? Die Antwort kann nur ein pervertiertes Deutschland sein, in dem die Verehrung für den Führer und das Militär fast schon Fetischcharakter bekommen. Bemerkenswert ist hingegen die Verflechtung verschiedener Erzählebenen im Text. Durch Steiners Erinnerungen an sein bisheriges Leben werden die Parallelwelten denkbar einfach, dennoch äußerst geschickt miteinander verknüpft. Zudem tauchen in der neuen Welt immer wieder Personen auf, welche Steiner zu kennen glaubt. Diese Alter Egos sollen für ihn noch eine entscheidende Bedeutung bekommen. Gleichfalls erhält der Protagonist Unterstützung von einer fiktiven Heldin namens Kito, welche ihm aus seiner intensiven Comiclektüre bestens bekannt ist. Durch das Abtauchen Steiners in eine fiktionale Welt innerhalb der Erzählung bekommt der Text einen doppelten Boden, ohne den er doch eher unspektakulär erscheinen würde. Wenn auch auf inhaltlicher Ebene nicht immer originell, so gelingt es Wierzioch durch einen formalen Trick den Leser neu zu fordern. Denn streng genommen ist „Doch Dunkel“ kein Roman, sondern ein gedrucktes Hörspiel, welches auf auktoriales Erzählen verzichtet. Stattdessen nimmt der Leser die Perspektive des Protagonisten an und folgt ihm bis tief in seine Gedankenwelt. Auch wenn die Transkription von Steiners Gedanken nicht immer authentisch klingt, bisweilen sogar unfreiwillig komisch erscheint durch häufige Wendungen wie „Nein! Doch!“, so erzeugt diese Innensicht ein intensives Mitfühlen mit dem Protagonisten. Der Verzicht auf erklärende und allzu detaillierte Beschreibungen führt dann auch zu einem rasanten Erzähltempo, welches nur manchmal etwas gehetzt wirkt. Durch die schnelle Folge von Konfliktsituationen im Text fällt es nicht schwer „Doch Dunkel“ als einen Film wahrzunehmen und somit in einem Stück zu lesen. Hier offenbaren sich Wierziochs Qualitäten als Hörfunkautor, der es glänzend versteht den Hörer bzw. Leser eng an seine Story zu binden. Von einer Sperrigkeit, welche Anna Dumange dem Text in der „Jungen Welt“ attestierte, kann daher keine Rede sein. Auch wenn „Doch Dunkel“ inhaltlich nicht immer überrascht, so ist das Buch letztendlich doch gelungen. Mit viel Gefühl für dialogisches Erzählen hat Bastian Wierzioch eine Geschichte geschrieben, deren Vertonung sich förmlich aufdrängt.
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Mario Osterland
Prosagedichte
Gespräch
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