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Adrian Kasnitz

Wodka und Oliven

Neudeutsche Lebenswege

Kritik
  Adrian Kasnitz
Wodka und Oliven
Roman
180 S.,16,95 EURO
Ch. Schroer, 2012


Was bleibt von den Orten der Erinnerungen, wenn sie nicht mehr existieren? Es bleibt die Sprache und das Erzählen, das die Erin­nerungen aufrecht erhält. Zugegeben, diese Erkenntnis ist nicht gerade eine neue, an Aktualität verliert sie aber kaum. In Zeiten, in denen der Familien­roman Kon­junktur hat, erst recht nicht. Zwar ist das Prosa­debut von Adrian Kasnitz sicher keine klas­sische Familien­saga, doch im Zentrum von Wodka und Oliven stehen die Lebensläufe zweier Familien und das Erzäh­len ihrer Schicksale durch den Prota­gonisten Moritz.
  Moritz ist auf der Flucht. Ziel- und ruhelos streunt er durch Berlin, lernt hier und da ein paar Menschen kennen und erzählt ihnen von einem Haus in der westfä­lischen Provinz. Es ist das Haus in dem er aufwuchs, das Haus, das von den Planier­raupen verschont wurde und trotzdem nicht mehr da ist. Vergessen kann und will er aber nicht, also erzählt er. Einem Kneipenwirt erzählt er von malochenden Vätern im Ruhrpott. Einem Kind erzählt er von seinem Bruder und den Spielen, die er mit den anderen Kindern im Haus spielte. Einer Rentnerin erzählt er von seinen griechischen Nachbarn, die einer auf­ziehenden Militär­diktatur ent­gangen sind. Warum er das jedem erzählt, vor allem Wildfremden, wird Moritz natürlich gefragt. „'Warum, warum', schrie er, als sei er von etwas gestochen worden, 'das weiß der Himmel. Ich muss einfach. Es ist in mir drin. Aber niemand hat eine Ahnung davon. Ich bin der Einzige, der es weiß. Wenn ich es nicht tue, wer dann?'“
  Moritz ist allein. Allein in Berlin, allein in der Welt. Der Kontakt zu Eltern und Angehörigen ist abgerissen. Als er die junge Kellnerin Ella kennen­lernt, schöpft er neuen Mut. In ihr findet er jemanden, der ihm zuhört. Er erzählt ihr nächte­lang vom Haus seiner Kindheit und seinen Bewoh­nern, bei Wodka und Oliven. Und er erzählt ihr von Angiliki, dem Nach­bars­mädchen, die er ebenfalls aus den Augen verloren hat. Ella gegenüber kann er sich end­lich öffnen und ihr die ganze Geschichte erzählen.
  Adrian Kasnitz' Wodka und Oliven erscheint als #1 der Reihe neudeutsch im noch jungen Verlag CH. SCHROER, in dem aus­schließlich Debut­romane verlegt werden sollen. So ist es Kasnitz, der bisher vor allem als Lyriker und Ver­leger der parasi­ten­presse bekannt ist, zu ver­zeihen, dass er auf dem Terrain der Prosa stilistisches Ver­besserungs­poten­tial aufweist. Vor allem die Rahmen­hand­lung, die Moritz' Gemüts­zustand und sein Verhältnis zu Ella erzählt, ist an manchen Stellen zu kontrol­liert, zu konstruiert, sodass sie dem Leser hier wenig Spiel­raum zur eigenen Inter­pretation lässt. Dieser Umstand soll allerdings nicht über die durchaus anspre­chenden Pas­sagen der Erin­nerungen des Prota­gonisten hinweg­täuschen. In atmo­sphärischen, dichten Episoden, die die Rahmen­handlung so nicht kennt, werden die Schick­sale zweier Familien nach­gezeichnet, die aus Polen bzw. Griechenland nach Deutschland einge­wandert sind. Kasnitz erzählt hier facetten­reich und ein­fühlsam, so dass der Leser doch noch die Chance bekommt, eine eigene Bin­dung zu den Figuren inklusive des Prota­gonisten Moritz aufzubauen. So ist Wodka und Oliven ein stiller Roman, der entdeckt werden will.

 

Mario Osterland    11.11.2012   

 

 
Mario Osterland
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