Das erste Kapitel eines „noch unveröffentlichten Episodenromans“ versprach ein Flyer, der am 15. Dezember 2009 zur Lesung mit Clemens Meyer einlud. Nach den Erfolgen des Debutromans Als wir träumten (2006) und der Storysammlung Die Nacht, die Lichter (2008) ist es für den 32- jährigen ein Kinderspiel in seiner Heimatstadt einen Saal zu füllen. Es überraschte daher nicht, dass der Publikumsandrang im Haus des Buches entsprechend hoch war. Doch all jenen, die begierig auf die Neuerscheinung des Autors warteten, wurde gleich zu Beginn des Abends ein Dämpfer verpasst. Die Story mit dem Titel Treffpunkt erschien vorab in einer minimalen Auflage von 100 Exemplaren in der Reihe Stich-Wort des Leipziger Bibliophilen-Abends und ist natürlich längst vergriffen. Die Buchgestaltung wurde in die Hände von Studenten der HTWK gelegt. 16 Entwürfe gingen aus diesem Projekt hervor, welche man sich mit etwas Glück am hart umkämpften Auslagentisch ansehen konnte. Versehen wurde der Text zudem mit sechs Linolschnitten von Stefanie Schilling. Eine zweite kleine Enttäuschung folgte, als der Autor vor Lesebeginn klarstellte, er arbeite zwar an neuen Texten, welche die Form eines Episodenromans annehmen könnten, dieser erscheine jedoch frühestens 2012. So blieb dem Großteil des Publikums nichts weiter übrig, als den Text besonders aufmerksam zu hören und möglichst lange im Gedächtnis zu behalten. In Treffpunkt liegt ein angeschossener Protagonist allein auf einer verlassenen Straße. Es ist dunkel, kalt und nass. Sirenengeheul in der Ferne. Er versucht zu rekonstruieren, wie es soweit kommen konnte, dass er sich in einer solchen Situation wiederfindet. Im Gedankenstrom, der sich dabei entwickelt, wird ein Milieu von Boxern, Huren und deren Zuhältern, Kleinkriminellen und Verlieren durchlaufen. Eine Umgebung also, die Clemens Meyer in beiden bisherigen Veröffentlichungen schon mehrmals zum Schauplatz gemacht hat. Im Osten nichts Neues sollte man meinen. Was der Autor bietet, ist ein gut gemachter Text, der aufgrund des ungewöhnlichen Du- Erzählers handwerklich überzeugt. Es wird hier eine interessante Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz zum Protagonisten geschaffen, die allerdings nur selten Spannung erzeugt. Inhaltlich wirkt Treffpunkt allzu vertraut, so dass Überraschungen weitgehend ausbleiben. Das mag vor allem daran liegen, dass Meyer den Stoff seit Ende der 90er Jahre bearbeitet hat und dieser teilweise schon in Als wir träumten eingeflossen sein dürfte. Von einem Kapitel kann man jedoch nicht vorschnell auf den ganzen Roman schließen. So bleibt abzuwarten, wie sich der Gesamttext bei Erscheinen gestalten wird. Dass Clemens Meyer in seinem Schreiben durchaus wandlungsfähig ist, beweist er immer wieder. So erscheint im März 2010, dies die gute Nachricht des Abends, ein neues Buch mit dem Titel Gewalten. Ein Tagebuch. Ein Genre, das man von Meyer sicher nicht unbedingt erwarten würde.
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Mario Osterland
Gespräch
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