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Wolfram Lotz
Fusseln
Zweimal gedachte Gedanken
Kritik |
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Wolfram Lotz
Fusseln
parasitenpresse, März 2012
16 Seiten, 5 €
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„… Ungeschriebene Tagebücher. Häuser, die nicht mehr da sind. Das Warten der Heringe im Kühlschrank. Die verschlafenen Erdbeben. Haut, junge und alte. Vom Licht gelöschte Filzstiftzeichnungen. …“
Besondere Texte benötigen nun mal besondere Verlage und so ist es nur folgerichtig, dass die parasitenpresse als Herausgeber der „Fusseln“ von Wolfram Lotz fungiert. Seit dem Jahr 2000 gibt es den Kölner Kleinstverlag, der Kleinstbücher produziert, die fast immer als 16-seitige Hefte aus recycelten Briefumschlägen daher kommen. Ein Format, das für Lotz' neusten Text prädestiniert scheint. Viel konkreter als mit „Text“ kann man die „Fusseln“ kaum beschreiben. Verleger Adrian Kasnitz versucht es trotzdem, nennt das ganze im Untertitel „Liste“ und der Autor ist einverstanden, ja froh, dass er die Gattungsfrage nicht beantworten muss.
„… Der traurige Gesang der Kaffeemaschine. Unvollständige Enzyklopädien. Hingesagtes. Auf Stadtplänen zurückgelegte Wege. Buchführung über Regentage. …“
Eine Liste also. Keine Lyrik, keine Prosa und schon gar kein Drama, wie man es vom 1981 geborenen Lotz am ehesten gewohnt ist. „Fusseln“ lässt sich vielleicht als geformtes, aber keinesfalls geordnetes Notizbuch verstehen. Dahingeschriebenes, das aus irgendeinem Grund mal gedacht wurde – nur warum? Lotz' Liste ist vollkommen zweckbefreit und erinnert an DADA. Lotz' Liste ist aber auch eine Hommage an das Fragmentarische und daher völlig berechtigt. Lotz' Liste ist ein Steinbruch voller Anknüpfungspunkte und Sackgassen. Anknüpfungspunkte an Erinnerungen, Notizen, Gedichte, Erzählungen – Dramen. Sackgassen, die ausbremsen und all das Angeknüpfte wieder unterbrechen.
„… Einzelne Bäume. … Immerhin. … Eines Tages. … Glück, ja, auch das. … 1987. …“
Warum 1987, wurde Lotz gefragt. Seine Antwort: „Weil mir zu diesem Jahr so gar nichts einfällt.“ Ist die Liste deshalb beliebig? Sie ist, so viel kann man sicher sagen, ein ewiger Ausschnitt dessen, was ist. Zwölf Seiten einer ewigen Liste, deren Anfangs- und Endpunkte nicht einmal zu erahnen sind. Abgebildet hat Lotz die Fusseln. Fusseln, die man unter dem Sofa findet und deren Wiederentdeckung einen den Tag retten kann. Fusseln, die man aus dem Bauchnabel pult und vor dem Wegschnipsen genau beäugt. Später vielleicht vermisst.
„… Beim Aufwachen gelöschte Träume. Länder, die ich aus dem Atlas kenne. Der Preis, den Marie Curie bezahlte. Unterschiedliche Joghurtsorten. Zweieinhalb Minuten Schweigen. Eine im Knopfloch verwelkte Blume. Alles, was man sagt, ist man selber. Die vergessene Zeit im Mutterleib. Vorige Woche. Schwarzer Anzug (dringende Anschaffung). Gelegentliche Stummheit. Tabellarische Lebensläufe. Das Geräusch der Sanduhr. …“
Ein geformtes, aber ungeordnetes Notizbuch. Eine ungeordnete Liste. Ein fruchtbares Paradox. Mit seinen Fusseln fordert Lotz den Leser heraus und den Kritiker gleichermaßen. Sie führen dazu, dass man absurde Sätze denkt, wie: Mit seinen Fusseln fordert Lotz den Leser heraus und den Kritiker gleichermaßen. Doch man sollte seine Liste nicht als Herausforderung verstehen, sondern allenfalls als Aufforderung seinen Gedanken hin- und wieder eine ästhetische Form zu verpassen. Oder zumindest seinen Blick für die Details zu schärfen.
„… Das Wachsen der Bäume, mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen. Nicht mehr benutzte Ameisenstraßen. Etwas Licht, schwimmend auf der Pfütze in der Unterführung. Zeit, die der Regen zum fallen benötigt. …“
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Mario Osterland
Prosagedichte
Gespräch
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