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Theo Breuer
americana»The poem enters on tiptoe«Amerikanische Lyrik im Christian Lux Verlag Nun habe ich John Updikes pulsierende Gedichte in dem im November 2008 im Wiesbadener Christian Lux Verlag erschienenen Lyrikband americana. Reisegedichte gelesen. Wie schon bei Craig Arnolds Fleisch geworden / Made Flesh (that was the root / of cruelty and tenderness / worming ist way in), Hart Cranes Weiße Bauten (There are no stars tonight / but those of memory) und Arielle Greenbergs Stadt aus Papier / City of Paper (I just sing the beautiful letters) empfinde ich dieses feine haptische Vergnügen beim Lesen der Gedichte, beim Umblättern der Seiten, die eine fesselnde Formulierung nach der anderen bereithalten. Achtzehn mal fünfzehn Zentimeter großes Format sowie typographische und bildnerische Gestaltung lassen schon von weitem erkennen, mit welchen Büchern ich es zu tun habe: mit luxbooks eben, die die buchkünstlerische und editorische Handschrift von Annette Kühn und Christian Lux tragen. Der anspruchsvolle Bücherwurm kommt hier voll auf seine Kosten, wird zum Lesen verführt von Versen, zum Schauen von Farben und Formen. The laugh is always on the loser Der Sound dieser mit faß- und greifbaren Spurenelementen aufgeladenen total amerikanischen Gedichte in Updikes americana setzt sich im Ohr fest, wirkt vollkommen natürlich, kraftvoll, wohltuend: Ich habe ja gut sitzen hier zuhause, muß mich diesem aus den Versen strömenden Gewusel, diesem Lärm, diesen Massen nur lesend aussetzen und darf schmunzeln, sooft und solange ich will. The laugh is always on the loser, no, Mr Updike? Der wiederum läßt sich, als Lyriker wohlgemerkt, nicht aus der Fassung bringen: Ein mörderisch treffendes Wort folgt entspannt dem anderen, die Grimm, Groll und Gehässigkeit zum Trotz leichthin schwingenden Sätze fliegen in gelungenen Spannungsbögen über viele (meist zehnsilbige) Verse hinweg, erzählen, mich fesselnd, von beiläufigen Eindrücken, gewöhnlichen Episoden, belanglosen Erlebnissen eines Menschen auf amerikanischen Reisen - alles nicht der Rede wert, alles foobar alltäglich, muß aber einmal zur Sprache gebracht werden - und wie: The Overhead Rack Worst of all, and most hated by me Der der angloamerikanischen – monosyllabischen – Sprache angeborene Beat (ich vergleiche etwa kill, kill, kill mit der unumgänglichen deutschen Version) und die ihr innewohnende Melodie, denen der Popsong seinen weltweiten Erfolg verdankt, der unnachahmliche Klang sowie der geschmeidige Rhythmus tun ein übriges, aus diesen weltgewandt gefügten, freimetrischen Versen nichts weniger als beseelte, atmosphärisch dichte sprachliche Kunstwerke entstehen zu lassen: This poem again, its kiss of ecstacy / among waste spaces, airy corridors / to somewhere else, where all men long to be. Wie Updike, gleichsam en passant schlagend, in der banalen Situation irgendeines Hotelzimmers im Morgengrauen am Ende des Gedichts Bad Night in New York State Macbeth aufscheinen lässt – nicht nur diese temperamentvolle Sequenz zeigt den Meister: and killed the radio, wishing instead / to kill the man, long gone, who had murdered sleep. Die Floskel killed the radio, analog der Wendung ›kill the engine‹, bedeutet nichts weiter, als daß man das Gerät gleichsam abwürgt. Hier wird im Amerikanischen ein bitterböses Spiel mit dem Wort kill getrieben, das in dieser außerordentlichen Bandbreite innerhalb von vier Buchstaben im vorliegenden Kontext unnachahmlich bleibt. (Bei der Übersetzung erwäge ich ein Wortspiel mit ›abwürgen‹, das unmittelbar eine Assoziation zu ›erwürgen‹ hervorruft). Überhaupt zeigen die Gedichte mit der leicht dahinfließenden Sprache die Macht des Banalen (unter anderem dargestellt durch die Farbe Grau, die das metalyrische Titelgedicht americana leitmotivisch durchzieht), das im Gedicht immer wieder (unaufdringlich) zum Besonderen verdichtet wird. Das ist die Kunst des ironisch-sarkastischen, grollend lakonischen, lyrisch durch Alliteration, Binnenreim und andere Ingredienzien angereicherten Parlandos, das Updike so leichtfüßig mühelos beherrscht. The poem enters on tiptoe Ich beglückwünsche Annette Kühn und Christian Lux zu der Entscheidung, amerikanische Lyrik zweisprachig zu edieren und auf diese Weise Leserinnen und Lesern, die die englische bzw. amerikanische Sprache lieben, den unmittelbaren Genuß der Originale möglich zu machen: Mit ausgewählten Gedichten eines mit sinnlichen, spannungsreichen Double- Alle diese mit farbigen Autorenporträts von Bruno Zaid sowie starken Bildern verschiedener Künstler geschmückten, oft mit Nachworten versehenen Bände sind 2008 erschienen (2009 erwarten uns Rae Armantrout, John Ashbery, Mary Jo Bang, Dan Chiasson, Hilda Doolittle, Ben Lerner, Sarah Manguso und Matthew Zapruder), und ich befasse mich mit ihnen – nach- und nebeneinander lesend, Wörter, Formen, Verse vergleichend, hin- und herblätternd, Bilder betrachtend – wie im Rausch. Was für ein kühner Start ins Lux-Verlag-Leben. Die Auflagen mögen vorsichtig kalkuliert sein, wie ich in einem Zeitungsartikel lese, aber gleich im ersten Jahr diese hochinteressante Auswahl vitaler amerikanischer Lyrik anzubieten, das ist einmalig in der vielgestaltigen Literaturwelt des deutschen Sprachraums. Lesegewohnheitstier Der Verleger gehört selbst zum ständig wachsenden Team der für die Reihe luxbooks-americana gewonnenen Übersetzer im Verlag, zu dem Johannes Beilharz (dessen kongeniale Übertragungen der Gedichte von Barbara Guest ich sehr gelungen finde), Annette Kühn, Jan Volker Röhnert, Peter Rehberg, Ulrike Almut Sandig, Barbara Thimm und Ron Winkler gehören. In Heinrich Deterings Besprechung von Hart Cranes Weiße Bauten lese ich, wie überzeugt dieser im Ganzen von der Luxschen Umsetzung ins Deutsche ist. Mit Margitt Lehbert, seit vielen Jahren Übersetzerin von Les Murray und Verlegerin der in Südschweden beheimateten Edition Rugerup (in der die amerikanischen, australischen, britischen, irischen, kanadischen Lyrikbücher von Don Coles, John Montague, Les Murray, Gabriel Rosenstock, Iain Crichton Smith und anderen ebenfalls zweisprachig erscheinen – genauso wie in Ralf Zühlkes Stadtlichterpresse, die ebenfalls ein imposantes Repertoire amerikanischer Lyrik von Franco Beltrametti, Gray Snyder, Philip Whalen und anderen zu bieten hat) sprach ich bei ihrem Besuch im Oktober 2008 auch über Lesegewohnheiten. Wir waren uns einig darin, daß wir bei zweisprachig edierter englischer oder amerikanischer Lyrik naturgemäß die originalen Fassungen lesen. Warum sollen wir uns, fragten wir, mit der Übersetzung befassen, wenn die Originale greifbar sind, die in der Sprache geschrieben sind, in deren Wörtersound wir uns so gern versenken? Trotzdem führt der Blick über den Seitenrand auch schon einmal mitten in die Übersetzungen hinein. Pars pro toto Seit zwei Tagen mache ich mir Gedanken über die deutschen Versionen der Updike-Gedichte, die ebenfalls von Christian Lux stammen. Die amerikanische Fassung auf der linken Seite lesend, schweift der Blick gelegentlich nach rechts. Dabei nehme ich nach und nach auf den verschiedenen Ebenen von Lexik und Wortwahl, Kollokation und Kookkurenz, Sprachebene und Satzbau, Kontext und Stil eine Reihe von Dingen wahr, die von meinem Sistiger Sehepunkt aus die eine oder andere Frage aufwerfen, vor allem dort, wo ich die Wiedergabe der lexikalischen, lyrischen und stilistischen Essenz der Originale gefährdet sehe. Ich benenne, pars pro toto, diese Beispiele: In Flight to Limbo heißt es toddlers (u.a. von Updike wohl bewußt ohne Pronomen gesetzt, um die Distanz zwischen Mutter und Kind noch krasser darzustellen), in der Übersetzung steht dagegen nicht einfach „Kleinkinder“, sondern ihre Säuglinge, obwohl ›toddler‹ im Gegensatz zu ›baby‹ das ›Kleinkind‹ ist, das bereits laufen kann – was es im Gedicht auch tut, wenn auch von der gehetzten Mutter hinter sich her gezerrt. Die mehrdeutig schwingenden letzten Wörter a sorry state am Ende des Gedichts Near Clifton, Perhaps werden kümmerlich übersetzt – wenn überhaupt mit einem Wort (ich spiele aus dem Stegreif mit ›kein Staat zu machen‹ und ›trauriger Zustand‹), möchte ich ›bedauerlich‹ vorschlagen. Das wegen der wahnsinnigen Wut des Wetterers hier so witzig wirkende formelle Verb excrete wird derb mit scheißen, eat mit plattem fressen wiedergegeben, das binnengereimte, feinklingende Pärchen eat / excrete kurzum auf den Highway to Hell befördernd. Updikes homogener, musikalischer Parlandostil wirkt nie antiquiert, pathetisch und allenfalls auf amerikanisch lässige Weise vulgär (ich denke an das mit crammed, crushed, constipated, cannot, crushed alliterierende, auf rack vokalgereimte crap), er bedient sich nicht der Elision oder Ellipse oder vollzieht ironisch gemeinte Stilbrüche: Es scheint aus ihm herauszubrechen, ist jedoch wohlkalkuliert und manches Wort hier und dort sehr bewußt wohltemperiert. Dagegen werden in den stilistisch auffallend heterogenen deutschen Versionen sehr unterschiedliche Register gezogen. Im Auftakt von Island Cities wird aus dem in der ersten Person Plural daherkommenden We shrugged ein unpersönliches Schulterzucken, für You see them from airplanes (wodurch der Leser durch das als direkte Anrede empfundene Personalpronomen unmittelbar in den Gedichtkontext hineingezogen wird) steht (lexikalisch korrekt, aber neutral) Man, das mich, in diesem Gedicht zumal, kalt läßt. Reading, PA beginnt mit dem Nomen Munificence (das Lexikon bietet ›Freigebigkeit‹ an) und wird mit Üppigkeit übersetzt. Das klanglose Wort steht in diesem Gedicht, als Auftakt zumal, auf verlorenem Posten: Die Ausdruckskraft ist minimal, kein Bildablauf wird in Gang gesetzt: ›Überfluß‹ wäre eine Möglichkeit. Aus dem mit zwei Nomen gebildeten The line didn't move, though there were not / many people in it wird Nicht viele standen an, und doch ging es / nicht vorwärts. Das klingt gut im Deutschen, vermittelt aber weder den Zeilensprung – nach not – noch Updikes prosanahe Syntax. Übersetzen heißt, das zu übertragen, was das Original vorgibt, und nicht, was vielleicht dort stehen sollte, zumal ›Die Schlange bewegte sich nicht‹ eine Lösung für die deutsche Version wäre – ›bewegte‹ mit dem ›Weg‹ in der Mitte. So kämpfen Original, Übersetzer und Leser um die eine geglückte Version (von denen es allezeit diverse gibt). Good luck Bei Nina Shevchuk-Murray lese ich: I have been translating a lot of poetry lately – a secretly pleasurable and highly frustrating pastime, mercurial, moody. On the one hand, there is the guilty pleasure of coming to the table with the hard work already done for you; no birthing pains, no self-doubt, the original author has already done all that and the poem is right there, under your nose, perfect. On the other hand, that's exactly where it is – right under your nose – staring back at you, daring you, and wondering how you could be so dumb as not to be able to come up with perfect equivalence for its every backflip and somersault. You become nervous. You are faced with a work of an utterly foreign mind veiled in formal play wrapped in verbal brilliance contained in a past and distant context. Good luck. Neben den leichtfüßigen englischen bzw. amerikanischen Originalen hat es die schwerblütige deutsche Sprache in der Übersetzung, zumal von hochkomplexen Gebilden wie Gedichte es sind, immer sehr, sehr schwer. Kopfschüttelnd sehe ich mir die aufgeblähten deutschen Verse neben den schlanken englischen an. Dagegen kommt der einfühlsamste Übersetzer kaum an. Wie viele Aussagen sind dazu bereits gemacht, wie viele Aufsätze verfaßt, wie viele Bücher geschrieben worden? Poetry is what gets lost in translation, lese ich, beispielsweise, bei Robert Frost, and that's that. Bei aller Ähnlichkeit (die das Interferenzproblem beim Übersetzen nicht kleiner macht: Weshalb, zum Beispiel, bedeutet idle nicht ›eitel‹?) haben wir es auch mit zwei grundsätzlich sehr verschiedenartigen Sprachen zu tun. Wer sich da ans Übersetzen begibt, weiß, daß er sich auf etwas einläßt, dessen Ergebnis ihn selten glücklich machen wird. Mit Wehmut denke ich in diesem Augenblick an A Streetcar Named Desire. Wie meint der Italiener: traduttore, traditore. Als ich die Gedichtbände Tree und Black Light ins Deutsche übertrug, vereinbarten Richard Burns und ich jeweils einwöchige Arbeitsbesuche: Er kam für Tree, das in Baum verwandelt werden sollte, in die Eifel, ich machte mich für Black Light auf nach England, um meinen Versionen von Schwarzes Licht die Seele des in Cambridge lebenden Autors einhauchen zu lassen. An den Endfassungen, die schließlich veröffentlicht wurden, habe ich viele Monate gearbeitet, immer wieder an Versen und Formulierungen fast verzweifelnd. Aching to read Ohne die Auseinandersetzung mit den deutschen Fassungen hätte ich John Updikes amerikanischen Gedichte nicht dermaßen intensiv über drei Tage hinweg gelesen und wieder gelesen, gleichzeitig die kongenialen Kohlezeichnungen von Annette Kühn betrachtend, die das einsame Graue/n hinter den vordergründig lapidaren Updikeschen Bildern – The poem evaporates – eindringlich betonen. Per aspera ad astra. (Unübersetzbar.) Hingerissen, hergerissen, americana möchte ich nicht mehr missen. Nach dieser wirkungswundervollen Beschäftigung, diesem kiss of ecstacy among waste spaces, bleibt mir die Qual der Wahl: Welches Luxbook nehme ich nun zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal zur Hand? So sehe ich mich auf Zehenspitzen ins Lyrikzimmer gehend, das beglückende Buch von Lowell sehend: I am so aching to write / That I could make a song out of a chess-board / And rhyme the intrigues of knights and bishops / And the hollow fate of a checkmated king, das be[d]rückende Buch von Powell – winter moon summer moon budding moon barley moon – flehend: Ach, zieh mich raus, zieh mich raus. Es ist erst der Leser, der das Buch zum Buch macht, indem er es liest. Luxbooks' Eleven
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