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Theo Breuer
›Wunderbar‹Kleine Geschichte um Almuts GedichteKleine Geschichte
Die beiden Männer, die aus dem Dickicht hervorgekommen sind, Ich schreibe das Wörtchen ›wunderbar‹, das sogar klingen läßt, was ›eigentlich‹ gar nicht zusammenklingen kann: der weiße Nebel wunderbar, nie nieder, ohne vorher zu überlegen, ob ich das Wort, allen Bedenken zum Trotz, doch noch einmal verwende. Stets unvermutet höre ich während des inneren Disputs Bensch und Kraus das Wort wunderbar murmeln, und die Skrupel werden vollkommen eingenebelt, für den Augenblick jedenfalls. Und siehe da, unverhofft findet sich das schöne Wort ›wunderbar‹ auch nach 2000 noch in hochmodernen Gedichtkontexten: Verliebt, so / heißt es, ist man immer wunderbar, lese ich in Matthias Göritz' Opel Ascona im Jahrbuch der Lyrik 2011. Ich lasse die Katze stracks aus dem Sack: Während ich die Gedichte in Ulrike Almut Sandigs Gedichtbuch Dickicht (Anfang 2011 bei Schöffling & Co. in Frankfurt am Main erschienen) lese, denke ich von Beginn an (auf fast jeder Seite, obstinat) das Wort: wunderbar. Im Dickicht von Almuts Wortwald – auf keiner gültigen Karte verzeichnet – sehe, höre, fühle, schmecke, rieche ich: Äste · Wind · Äpfel · Polarlicht · Scherenschnitte · sperrangelweite · Himmel · Blauglockenbäume · Flurlicht · Weißtannen · Gedichte · Nüsse · Schaumgras · Möwen · Gänse · Monde · Sonnen · Putzkolonnen · Eisengeländer · Marder · Haareverknoter · Brustbeine · Schnee · Windfelder · Büchsenlicht · Knochen · Nebel · Tiere · Eis · Laternenalleen · Windlöcher · Wasser · Scheinwerferlicht · Schattenverstecker · Herzschrittmacher · Vogelbeerbäume. Zu guter Letzt habe ich mich zwischen den Wurzeln der Wörter schrecklich verirrt, und, nein, ich habe den Rückweg nicht markiert. – – – Die kleine Geschichte um Almuts Gedichte beginnt am 24. Dezember 2007, als ich (wie das Tagebuch verrät, dessen Eintrag die lebendige Erinnerung bestätigt) mit beständiger Begeisterung das Lyrikband Streumen lese. – Ich springe an den Bodensee, zurück zum Nachmittag des 20. November 2010. Am 6. Dezember 2010 notiere ich aus der Erinnerung fürs Konstanzer Tagebuch: Von wegen ausschlafen nach einer langen Nacht: Um 8 Uhr sitze ich mit Andrea Heuser und Karin Fellner, die beide schon wieder abreisen müssen, am mehr als reichlich gedeckten Frühstückstisch, und wir lassen den vergangenen Abend Revue passieren. Nun ist der 24. Februar 2011, in der Nacht hat's geschneit, und ich unterbreche, nachdem ich das Gedicht schwere tiere gelesen habe – wunderbar schlichte Sätze: eben noch Radio gehört. du schaust geradeaus. der Motor macht leise Geräusche –, einmal die (wie Ulrich Koch es hinsichtlich des gelungenen Gedichts formuliert) "auf unwiderstehlich sanfte Art und Weise traurig machende" Lektüre der mild, ruhig, sanft, zart klingenden Wörter, Verse und Strophen, deren Grundierung, Tiefenstruktur naturgemäß immer wieder auch ganz anders ist als ›mild‹, ›ruhig‹, ›sanft‹ und ›zart‹, um dem ›vermaledeiten‹ Wort, das als freche Flipperkugel durch den Kopf springt, nachzugeben, indem ich es niederschreibe, so hat es den Willen und ich die Ruhe, na wunderbar (von wegen). Nun höre ich in ›wunderbar‹ nicht nur Wunderbares, das Wunderwort ist auch Wundwort (das wunderbar verwundbar scheint), Wundewort, etymologisch betrachtet schlechterdings klarer, barer Unfug, obwohl – ein einziger Buchstabe bloß trennt die althochdeutschen Wurzeln: Wunde leitet sich von wunta (Schlag) ab, während Wunder von wuntar (Verwunderung) kommt. Der nüchternen Erkenntnis zum Trotz empfinde ich ›wunderbar‹ aus tiefer gelagerten Gründen als nie bar allen Schreckens, wen wundert's. So sind wohl manche Sachen, / Die wir getrost verlachen, / Weil unsere Augen sie nicht sehn. Gedichte sprechen. Gedichte sprechen für sich. Ich lese leise, lese laut, bin ganz: Ohr –
erinnern sich Geister? welche tun's, welche tun's Ich lese, ich lese, die Wörter surren wie Geister (in die Ecke Besen, Besen), zwischen den Birken flirrte die Hitze, na, dann Gute Nacht, denk ich, lese, lese, bin am Ende alles andre als von allen guten Geistern verlassen, klapp Dickicht zu (Gedichte sind immer noch hörbar), frag mich, tick ich, rausche, in die Tasten hauend, bushwhacking, Wortblock bauend, augenblicklich in fiesen Wörterwirbelwuselwind, bin jählings, plötzlich, unversehens im Dickicht meiner eigenen Brust – ich lach mir n ast wird zu werk ballast barriere baumstop barrikade behindertlastetschränkt blockiert bald bollwerk bald bremse im busch buschen herumfuhrbuschwerken im dschungel eingefriedet einspruchwandzäunung wird wort engpaß er schwert fuß fessel im geästgebüsch spürt gegendruckwirkung gehölz wird zu gesträuchgestrüpp ist doch gezweig bloß hinter der lichtung mehr sicht die grasstepp die grenz wo der hag letztes handikap hinter der heck der hemmklotz die hemmnis der der hemmschuh klemmt in der hemmung wird hindernis hinderungsgrund wie hürde nehmen jetzt ne dicke klippe riskieren: komplikation vielviel krachaufwand im niederholz im niederwald denkste denn denkste denn du du du du wanze reisig in der savanne schranke über staude steige steppe stock und steinstraßensperre krauch durchs strauchwerk unterholz urwald verhaumichblau verschlagmichrot widerstand in der wildnis zaun zweig zweig zweig schweig in seinen armen das kind war tot
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Theo Breuer
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