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Theo Breuer
Bücher, Menschen und Fiktionen
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»Es ist natürlich unübersichtlicher geworden. Auch durch die neuen Medien, und es ist ein großes Problem, daß ich zu viele Sachen lesen will. Es gibt ein Überangebot, und man muß scharf schauen und sich die Parameter selbst suchen: Was liest man jetzt, wo liest man nur quer und was ignoriert man ganz? Vor dem Problem stehen viele. Ich persönlich habe ein gutes Gegengewicht, wenn ich sehe, daß ich in der zeitgenössischen Literatur ersaufe, dann mache ich einen Ausflug in die Klassik oder die Moderne Klassik. Dann lese ich halt wieder Kafka. Einen Tag Kafka lesen und man kriegt den Kopf wieder frei.«
Robert Schindel |
Als offen orientierter Leser blicke ich in alle möglichen Richtungen und lese, ohne einem Genre den Vorrang zu geben, Prosabücher (Aufzeichnung, (Auto-)Biographie, Briefe, Erinnerungen, Essay, Erzählung, Monographie, Novelle, Roman), Lyrikbände (Anthologie, Einzeltitel, Gesamtausgabe, Poetologisches, Zeitschrift) und, gelegentlich, Theaterstücke aus aller Frauen und Herren Länder (überwiegend des angloamerikanischen und deutschen Sprachraums), unabhängig von Jahr, Jahrzehnt oder Jahrhundert des Erscheinens, unabhängig von Autorennamen oder Verlagsgröße.
Als einfachem Leser geht es mir beim Lesen in erster Linie um das Vollbad in der Wörtermenge des Buches, das ich in Händen halte. Ich will nicht analysieren, diagnostizieren, klassifizieren – nein, ich will lesen, das Knistern des Papiers beim Umblättern spüren, will in den Bann der Sprache gezogen und von komplexen Kontexten begeistert werden. Everything else falls into place, denn wenn die Sprache stimmt, ergibt sich der Rest der Geschichte von selbst, und ich kann frohen Herzens genießen.
Daß die nach 2000 erschienenen Lyrikbücher innovativer, reizvoller, vielschichtiger sein sollen als die Romane und Erzählungen im 21. Jahrhundert, wie hier und dort vermeldet wird, kann ich nicht erkennen: Ich nehme die beiden literarischen Abteilungen in diesen Zeiten der kleinen Verschiebungen (Ernst Jandl) wahr als auf einem erhöhten Plateau gelegene weite Felder mit bemerkenswerter Bandbreite und dranghafter Dichte und sehr wenigen herausragenden Figuren bzw. Werken, wie es sie im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert in erstaunlicher Menge gab.
13.399 im Kürschner vermerkte Autorinnen und Autoren. Mich schwindelt. Ich schließe die Augen und mache mir – spontan, trotzig, alle diese vielen, phantasievollen, verschiedenartigsten Dickschädel, Oberhäupter, Querköpfe schnöde über einen Kamm scherend, die sich unmittelbar vors geistige Auge drängenden Exzentriker, Individualisten, Originale wie Kulissen beiseite schiebend – ein einfaches Bild:
Joerg Sommermeyer
Anton Unbekannt: Pat[(h) o/a]physischer Antiroman Orlando Syrg 2009 |
Ein gigantischer, monströser, ungeheurer Bücherberg erscheint nach diesem Hirngespinst vor meinen strapazierten Augen. Da steh' ich nun, ich armer Tor. Ich kann es relativieren, drehen, wenden, wie ich will, muß jedoch knallhart eingestehen: Ich sehe, daß wir nichts wissen können. Und, ja: Das will mir schier das Herz verbrennen. Ich bin Sisyphos, der den Stein den Berg hinaufrollt – ein Leben lang, und danke Albert Camus für die positive Auslegung dieses Schicksals.
Möchte ich mit jemandem die Lebensrolle tauschen? Nein. Ich bin ein Büchermensch (gleiches lese ich in Peter Salomons ironisch-salopp geschriebenen Prosaband Autobiographische Fußnoten, erschienen bei Isele in Eggingen am Bodensee) und mauere mich lebenslänglich und Tag für Tag in Bücherwänden ein. Ich will lesen. Immer. Am liebsten unaufhörlich – Hermann Hesses warnende Wörter in den Wind schlagend: Alle Bücher dieser Welt / bringen dir kein Glück, / Doch sie weisen dich geheim / In dich selbst zurück.
Erste Sätze nehme ich mit besonderem Augenmerk wahr und lege die Hand aufs Herz: Solchen Romanen gelingt es auf Anhieb, mich vom ersten Satz weg zu – begeistern:The sun shone, having no alternative, on the nothing new. (Samuel Beckett Murphy)
Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)
Mrs Dalloway said she would buy the flowers herself. (Virginia Woolf Mrs Dalloway)
Wie froh bin ich, daß ich weg bin! (Johann Wolfgang Goethe Die Leiden des jungen Werther)
Once upon a time it was there was a moocow coming down along the road and this moocow that was down along the road met a nicens little boy named baby tuckoo. (James Joyce A Portrait of the Artist as a Young Man)
Unter meinen Jugendbekannten war ein sonderbarer Mensch, dessen Geschichte wohl wert ist, der Vergangenheit entrissen zu werden. (Alfred Kubin Die andere Seite)
Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich , läßt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann. (Günter Grass Die Blechtrommel)
Rings um uns hoben sich die Leiber aus dem Stein, zusammengedrängt zu Gruppen, ineinander verschlungen oder zu Fragmenten zersprengt, mit einem Torso, einem aufgestützten Arm, einer geborstnen Hüfte, einem verschorften Brocken ihre Gestalt andeutend, immer in den Gebärden des Kampfs, ausweichend, zurückschnellend, angreifend, sich deckend, hochgestreckt oder gekrümmt, hier und da ausgelöscht, doch noch mit einem freistehenden vorgestemmten Fuß, einem gedrehten Rücken, der Kontur einer Wade eingespannt in eine einzige gemeinsame Bewegung. (Peter Weiß Die Ästhetik des Widerstands)
Lange bin ich gar nicht gern in Supermärkte gegangen. (David Wagner Vier Äpfel)
In unserer Kindheit war für meinen Bruder und mich das ganze Haus voller Geräusche und Angst, nur das Rauschen des Wehrs, das sich hinter der Gaststätte befand, beruhigte uns. (Norbert Scheuer Überm Rauschen)
Wie entmutigt, fast gedemütigt der kleine, vor circa 45 Minuten noch so aufgedrehte Mann Rita Palka verlassen hat! (Brigitte Kronauer Zwei schwarze Jäger)
Sonja stand in der Mitte des hellerleuchteten Raumes, im Zentrum wie immer. (Peter Stamm Sieben Jahre)
Es war an einem Dezembermorgen im Jahr 2003 auf der Küstenstraße zwischen Monterey und Cambria, als ein alter Mann auf die Brücke über den Rocky Creek ging, um zu sterben. (Norbert Zähringer Einer von vielen)
Judith raucht hastig, mit dem Rücken gegen die Wohnungstür gelehnt. (Anna Katharina Hahn Kürzere Tage)
Trotz allem, denkt sie: Der Garten ist ein Traum. (Stephan Thome Grenzgang)
Es war einer jener langen, unbedeutenden Nachmittage, und es sollte doch der letzte seiner Art sein. (Angelika Overath Flughafenfische)
Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muß man das Maul extra erschlagen. (Wolf Haas Der Brenner und der liebe Gott)
Die Hitze ist so stark, lastet so schwer auf einem, dass man sie immerfort beiseiteschieben und wegdrängen will. (Rainer Merkel Lichtjahre entfernt)
Sie beugte sich über ihn, ihre Brüste schwangen nach vorn, ein Duft stieg ihren Bauch entlang hoch, er hob den Kopf ein wenig, um ihren Nabel zu sehen: eine kleine Muschel, mit einer oberen Krempe; er freute sich über den Anblick, doch dieser war nur die erste Etappe, was ihn wirklich interessierte, war die Fortsetzung: der mit einer kleinen Stufe ansteigende Unterbauch, die schokobraunen Schamhaare und, je nach deren aktueller Dichtigkeit, eventuell sogar die Schamlippen – doch ausgerechnet hier geriet etwas durcheinander, ein Arm schob sich ins Bild, was macht sie da, streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht?, unter dem Ellbogen blitzte eine Gruppe Stockrosen auf dazwischen stach die Sonne herein – Nein!, sagte er. (Terézia Mora Der einzige Mann auf dem Horizont)
Es klappert um sie herum. (Kathrin Schmidt Du stirbst nicht)
Gerade als er eine passende Formulierung für seine Begrüßung gefunden hatte, wurde der junge Mann am Zugfenster von einem Tunnel überrascht, dessen unvermittelt einsetzende Finsternis ihm wie zur Verhöhnung sein bleiches Gesicht in der zitternden Fensterscheibe vorhielt. (Clemens J. Setz Die Frequenzen)
I hear the spirits often in the garden
Diane Glancy
Von den notwendigen Schlafens- und Essenszeiten sowie der häuslichen Arbeit einschließlich des Schriftverkehrs mit Amt, Bank und Versicherung abgesehen, gibt es Leidenschaften und liebgewonnene Gewohnheiten, die Zeit in Anspruch nehmen, mich vom Griff zum Buch abhalten – in alphabetischer Reihenfolge: Familie, Film, Freunde, Fußballtennis, Gänge durch Dorf, Feld, Wald und Wiesen, Garten, Musik, Korrespondenz, Kunst, Schreiben.
Klassische Musik und Literatur gehen gut zusammen, ich lese und schreibe kaum, ohne gleichzeitig Bach, Beethoven, Mahler, Mozart, Schumann und vor allem Schubert zu lauschen. Auch die Oper ist mir immer wieder mehr als gnädig gestimmt, verwöhnt sie mich doch, beispielsweise, in Salome, dessen Libretto von Oscar Wilde himself stammt, mit berauschenden Bildern wie eine kleine Prinzessin, deren Füße weiße Tauben sind.
Auch die weiteren Gewohnheiten und Leidenschaften machen es mir zunächst einmal leicht: Beim Blick in den Garten, beim Gärtnern kann ich auf wunderbar natürliche Weise Gelesenes reflektieren, erst recht in Feld, Wald und Wiesen, gleiches gilt für den offenen Schlagabtausch beim Fußballtennis, der es mir durchaus ermöglicht, erschöpfend an den Knaben im Moor (Vor seinem Fuße brodelt es auf), Palmström (der bekanntlich zu jenen Käuzen gehört, die oft unvermittelt nackt Ehrfurcht vor dem Schönen packt) und den blechtrommelnden Oskar Matzerath zu denken – oder schon einmal zu formulieren, was ich später am Rechner abschließe.
David Wagner
Vier Äpfel Roman Rowohlt 2009 |
Die Vorteile meiner Art, Literatur schreibend zu verarbeiten, muß ich nicht näher erläutern, da schlage ich mir als Leser immer wieder ein Schnippchen. Aber was heißt Schnippchen schlagen? Zerrissen sitze ich hier, kann nicht anders und sehne mich nach dem Buch, das ich gerade lese, und denke dabei schon an das nächste und übernächste. Wie heißt es so schrecklich bei Ernst Jandl: ogottogott.
Trotzdem die beständig gefühlte fehlende Zeit für Bücher, die mir von der anderen Seite des Lebens Tag für Tag entrissen wird. Ich bestelle, bisweilen wie besessen, bei Billigbuch, Booklooker, ZVAB, Zweitausendeins, lese, lese und lese und bin selten zufrieden mit der Menge des Gelesenen, gehe immer wieder hungrig ins Bett und freue mich beim Erwachen als erstes auf das Buch, das ich nach dem Frühstück (auf das ich aus Zeitgründen gern verzichte) in die Hand nehmen werde. Und herrlich, der Erwachende ist, noch im Bett liegend, bekanntlich ein dummer Optimist, stellt sich vor, was er an diesem Tag alles wird leisten können, ich sehe ganze Bibliotheken an meinen frohlockenden Leseraugen vorüberziehen, höre, wie Bücher wie Briketts durchs Kellerfenster geschaufelt werden, jetzt aber raus aus dem Bett – und schon geht es los mit dem Alltag: Hallo???
Das Telefon klingelt, Maximilian Zander, Lyriker aus Castrop-Rauxel ruft an, und wir sprechen, mindestens eine geschlagene Stunden lang, über Gedichte (Romane liest er nur ausnahmsweise), total intensiv, total interessant, total wichtig, klar, aber die Zeit ist weg, weg, weg, und das Buch vor mir auf dem Tisch blickt mich strafend an. Okay, okay, beschwichtige ich, nachdem ich den Hörer beiseite gelegt habe, das hängen wir in der Nacht dran, zum Glück gibt es ja die endlosen Stunden nach Mitternacht, die ich vorgestern mit Alfred Kubins phantastischem Roman Die andere Seite verbrachte, den Suhrkamp – 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen – neu auflegt und mit dessen unheimlicher Lektüre ich eine Lücke schließe, die mir mein unnachgiebiger Freund Jürgen Krüger seit Jahr und Tag unter die Nase reibt. – Trotzdem.
Ja, trotzdem.
Ich sitze im »Streetcar Named Desire« und gleitefliege zwischen den Gezeiten. Das wilde Tier, das ich mit der Niederschrift der 12 »Lyrikstationen 2008« (einzelne erschienen in früheren Fassungen in der Lyrikzeitung) besänftigen wollte, randaliert weiter. Allerdings ist es eine höchst anregende Konfusion, die es im Hause verbreitet, indem es hier eine Zeitschrift und dort ein Buch aus dem Regal zerrt, mir vor die Füße schleudert, den Weg versperrt und mich so auf tausendunddrei Lyriktitel des Jahres 2008 aufmerksam macht, die ich, bei aller Ausführlichkeit, schnöde überging oder herzlos vergaß. Das Tier abmurksen, killen? Aber nein, es tut all das ja bloß um des Reimes willen. »Mut zur Lücke«, halte ich dagegen, doch das tropfe Tier winkt ab, »das ist Tücke«, und ich lasse es, hilflos, gewähren. Der Blick schweift über die Grenzen, beispielsweise nach Rumänien. Was kenne ich von der zeitgenössischen rumänischen Lyrik? So gut wie nichts. Wehmütig blättere ich in aktuellen Ausgaben der drei rumänischen Literaturzeitschriften »Convorbiri Literare«, »Galateea« und »Poezia«, in denen ich einige meiner Gedichte sehe, die die seit 1980 im Rheinland lebende Francisca Ricinski (Autorin des im November 2008 erschienenen, zweisprachigen Buchs mit schöner lyrischer Prosa »Trenul fara roti / Zug ohne Räder«) in ihre Muttersprache übertragen hat. Wie gern läse ich die Verse der rumänischen Dichter, die vor meinen Augen flattern. Ich entdecke hier und dort ein Wort, das ich zu verstehen glaube, das war's: Endstation, immer wieder Endstation. Ich verzichte darauf (warum soll ich mich quälen?), die Namen der vielen, vielen, vielen Länder aufzuzählen, von deren Lyrik ich nichts, aber auch gar nichts weiß. Und – was ändert das? Wer weiß, vielleichtwahrscheinlich entstehen hier und dort, abseits vom Weltgetöse, schönere Gedichte, als ich – »Museum der modernen Poesie«, »Luftfracht« und »Atlas der modernen Poesie« hin, »Schönes Babylon« und »Warenmuster, blühend« her – je gelesen habe. Mit diesem wunderbar tröstlichen Gedanken kehre ich mal lieber ins Hinterland zurück, das mir das nächste Stichwort verschafft: Der im bayerischen Marklkofen lebende Peter Ettl veröffentlichte 2006 mit »Land schafft« ein Gedichtbuch, das ich eben, obwohl nicht 2008 und auch nicht in Berlin erschienen, zum zweitenmal mit großem Interesse und in einem guten Rutsch durchlas, nachdem ich es den Fängen des weiterhin tobenden Tiers entrissen hatte. Ich las und sah »haarrisse im himmel«, »schneetote katzen«, und die »wilden rosen am straßenrand / wachsen dem fernen wald zu«. Nun fällt mir »Der Große Conrady« auf die Füße, und ich lese zum wiederholten Mal Ettls Gedichte »Dachbodengeflüster« und »Chateau in der Champagne«: »hier schlugen granaten ein / rissen löcher in das gras / wo sich ein weiher vor dem schloss / im grübeln übt«. So gehen köstlicher Kampf und rasante Reise weiter und weiter, unendlich weit. Fürs Grübeln an Endstationen bleibt – – – keine Zeit. Bitte hier einsteigen und Hände weg von der Bordkante: Lyrikstationen.
In den ersten Jahren nehme ich gar nicht wahr, daß so etwas wie ein deutscher Buchpreis ins Leben gerufen wurde. In den letzten beiden Jahren lese ich Julia Francks Die Mittagsfrau, Kathrina Hackers Die Habenichtse, Thomas Hettches Woraus wir gemacht sind, Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt, Friederike Mayröckers Und ich schüttelte einen Liebling, Martin Mosebachs Der Mond und das Mädchen, Thomas von Steinaeckers Wallner beginnt zu fliegen, (bis auf Die Mittagsfrau lauter Bücher, von denen mir bis heute nicht bewußt war, daß sie einmal auf einer Shortlist standen) sowie Uwe Tellkamps Der Turm, über den ich hier ein paar Worte verloren habe: Bücherherbst. Schreibt und spricht heute noch jemand über die Sieger der vergangenen Jahre? Jedenfalls treibt man – im Stundentakt gleichsam – eine Sau nach der anderen durchs literaturbetriebsame Dorf.
stand im Bach fing Fische mit den Händen mein Schatten war fortgetrieben Fische lieben ihn nicht fing Forellen Äschen hellgepunktete Hechte kraulte sie sanft unter den Bäuchen bis sie zutraulich wurden packte hinter die Kiemen warf sie ans Ufer wo sie erstickten Norbert Scheuer |
Flüsse sind wie Seelen – so grundver- schieden, daß wir für jeden Fluß eine andere Sprache entwickeln müßten. Vladimir Nabokov |
Norbert Scheuer
Überm Rauschen Roman C.H. Beck 2009 |
Mit Scheuers ersten Romanen Der Steinesammler und Flußabwärts konnte ich mich, für mich selber sehr überraschend, zunächst nicht anfreunden. Vielleicht lag das auch daran, daß ich den Erzählerfokus auf mehr oder weniger hinterweltlerisch bzw. hinterwäldlerisch, in einer wie die – sich in der Hocheifel bis in die 60er und frühen 70er hinziehenden – 1950er Jahre anmutenden Vergangenheit lebende Dorfbewohner als zu verzerrt empfand; hier wird ein Bild der Eifel entworfen, wie es nach 2000, seitdem die Welt ein für allemal ein Dorf geworden ist, nicht mehr ist. Nirgends taucht eine Familie auf, die aufgeschlossen zeitgenössisch wirkt, deren Haushalt mit Computer, Flachbildschirm, modernem Fernsehgerät und Espressomaschine ausgestattet ist.
Im Gegenteil – Scheuer entführt mit seiner zumeist nüchtern protokollierenden Sprache, mit aneinandergereihten Sätzen, die viel weglassen, oft bloß andeuten, skizzenhaft bebildern, in eine Welt der Armut, der Rückständigkeit, des Zerfalls (in einem seiner Gedichte heißt es der Himmel über dem Dorf / ein großer rostiger Eimer). Ich brauchte wegen der unmittelbaren Nähe zu den in den Romanen direkt benannten Schauplätzen offenbar einigen Anlauf, um das mit der mir sonst selbstverständlichen Leserdistanz als natürlich vollkommen legitime literarische Vorgehensweise des Verzichts auf die dörfliche Totale, der betonten Ausblendung landläufiger Perspektive erkennen zu lernen: Hier wird in der Eifeler Vergangenheit des extrem harten 20. Jahrhunderts Erlebtes und aus der Vergangenheit Erinnertes in Detailaufnahmen ver-, um- und schließlich aufgearbeitet in eine/r Geschichte, die scheinbar bloß einen realistischen, sondern ganz stark sinnbildlichen Charakter hat.
Mit Kall/Eifel, dem gleichsam in der Nachfolge von Sherwood Andersons Winesburg/Ohio verfaßten Roman hatte Scheuer mich endgültig wieder an der Angel, und beim Lesen von Überm Rauschen stellt sich ähnliche Begeisterung ein, wie ich sie beim Lesen der Gedichte von Ein Echo von allem empfand, in denen die Fische, springende Forellen im Fluß, und die, paradoxerweise, ausgerechnet im Fluß Halt und Befreiung suchenden, jede sogenannte Kleinigkeit des (Fluß-)Lebens registrierenden (und so hinsichtlich ihrer existentialistischen Gewichtigkeit aufwertenden) Figuren genauso leitmotivisch auftauchen wie durchweg in Überm Rauschen – kein Wunder: Vater wollte uns alles über das Fischen beibringen. Für ihn war Fischen das Leben, in dem er allerdings immer nur verlor. Fischen sei List, Geduld, geheimnisvolle Grausamkeit, Schönheit und Glück.
Im August taucht der Name Norbert Scheuer in der Longlist und er einmal wieder zu einem Besuch in Sistig auf (in früheren Jahren, als ich noch regelmäßig nach Köln fuhr, begegneten wir einander zufällig immer wieder in der Eifelbahn), bei dem ich die Überzeugung äußere, er werde es in die Shortlist schaffen und sicherlich auch den Preis gewinnen. Dabei hatte ich nur dieses eine Buch gelesen: Sie sehen, wir sind bester Stimmung, lachen viel und sprechen weiter über die Lage der Literatur im deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Norbert Scheuer ist ein Mensch mit klaren Auffassungen, was Literatur angeht, er ist ein literarischer Gesprächspartner, wie man ihn sich nur wünschen kann – geistreich, humorvoll, verbindlich.
Ich bin ein Narr auf eigne Hand
Es gibt Wörter, die machen mit mir, was sie wollen.
Rainer Merkel
Lichtjahre entfernt Roman S. Fischer 2009 |
Wolf Haas • Der Brenner und der liebe Gott
Anna-Katharina Hahn • Kürzere Tage
Brigitte Kronauer • Zwei schwarze Jäger
Rainer Merkel • Lichtjahre entfernt
Terézia Mora • Der einzige Mann auf dem Kontinent
Angelika Overath • Flughafenfische
Kathrin Schmidt • Du stirbst nicht
Clemens J. Setz • Die Frequenzen
Peter Stamm • Sieben Jahre
Stephan Thome • Grenzgang
David Wagner • Vier Äpfel
Norbert Zähringer • Einer von vielen
Herta Müller
Atemschaukel Roman Hanser 2009 |
Probleme der Preise sind nicht neu. Ich bin nie ein Freund von Preisen gewesen (so wenige erhalten so viele, so viele, viele, viele gehen unverdient leer aus, immer wieder zieht der erste Preis viele weitere Preise nach sich, und ich vermute hinter mancher Entscheidung außerliterarische Motive), habe folgerichtig auch noch keinen erhalten, würde den einen oder anderen naturgemäß nicht ablehnen. (Was die Menschen mehrheitlich für zwiespältig organisierte Lebewesen sind, dokumentiert Thomas Bernhard im postum 2008 erschienenen Buch Meine Preise, in dem er jeden einzelnen der erhaltenen Preise und jede damit verbundene Jury verteufelt und lächerlich macht. Auch der römische Kaiser Vespasian, Erfinder des öffentlichen Urinals, war nicht kleinlich, wenn es um den schnöden Mammon ging: Pecunia non olet. Da schließe ich mich beiden uneingeschränkt an.)
Probleme des Feuilletons sind unmittelbar verzahnt mit denen der Preise, wie Hans Magnus Enzensberger in dem in Scharmützel und Scholien. Über Literatur abgedruckten, 1999 verfaßten Aufsatz Eine unverbindliche Preisempfehlung nachweist (ebenso wie Probleme der schieren Menge der jährlichen Preise und Publikationen): Für irgendwelche Bücher müssen sich die Redakteure der Zeitungen und Magazine schließlich entscheiden, und wie um Gottes willen sollen sie aus dem gewaltigen Bücherberg ausgerechnet die gelungensten und originellsten herausfischen – zumal die Ansichten, über das, was gute Literatur sei, immer schon heftig auseinandergegangen sind. Daß dabei grundsätzlich Bücher aus großen bzw. im gesamten deutschen Sprachraum bekannten Verlagen bevorzugt werden, ist aus Sicht der Redakteure und Kritiker nachvollziehbar, verzerrt andererseits den Blick auf den LiteratUrwald, in dem so viele und so verschiedenartig gefiederte große, kleine und winzige Verlagsparadiesvögel nisten. Ich flaniere gern durch diese verzweigte Welt.
Wie sonst als aus Jutta Dornheims Buch Steine können rückwärts fliegen (veröffentlicht im norddeutschen Geest-Verlag), in dem die am Telefon so gutbürgerlich wirkende Bremer Autorin Jutta Dornheim plötzlich mörderische Phantasien entfaltet, hätte ich erfahren, daß Naturgesetze derart außer Kraft gesetzt werden können? Wie sonst wäre ich auf die herrliche (sich sogar reimende) Formulierung Viel zu feucht, der Nagelfluhbrocken, um noch länger auf ihm so passiv drauf zu hocken gestoßen, hätte ich nicht Werner Buchers Erzählband Fladehus, Robert Walser, Seelig & Co. gelesen, der heuer im Züricher Littera Autoren Verlag erschien? Das Wort Nagelfluhbrocken lasse ich mehrfach auf der Zunge zergehen. Genauso gern weise ich in diesem Zusammenhang auf den eindringlichen Debütroman Es ist nichts geschehen der jungen Selma Mahlknecht hin, der in der Edition Raetia in Bozen erschien und mit dem ich weiteres Hinterneuland entdecke: Selma Mahlknecht.
Ich erlaube mir also (bin ein Narr auf eigne Hand), der Debatte um Sinn und Unsinn des Preises fernzubleiben und mich einfach mit den Siegern zu freuen, denn jeder der fünf Verlierer der Shortlist erhält immerhin 2.500 € und wird bereits vor der Preisverleihung erfreut feststellen, daß das Buch bereits in der zweiten oder dritten Auflage ist, was ohne die Nominierung bei der Mehrzahl der Bücher kaum der Fall gewesen wäre. Am meisten freue ich mich natürlich mit dem Gewinner der 25.000 €, der im Anschluß an die Auszeichnung mit einer nicht unerheblichen Auflagensteigerung rechnen darf – von Herta Müller einmal abgesehen, deren Auflagen in den Tagen nach der wundersamen Verleihung des Literatur-Nobelpreises 2009 nicht nur in den Himmel über Berlin katapultiert wurden. Das läßt sogar bei den blassen Herren mit den Mokkatassen die Hängebäckchen glühen.
Ich denke, nachdem mir zunächst vollständig die Wörter fehlten, als Axel Kutsch mich am Nachmittag des 8. Oktober 2009 über die Entscheidung informierte (immerhin hatte ich bei einem Londoner Buchmacher einige Pfund auf Ian McEwan, Les Murray und Philip Roth gesetzt), daß dies eine herrliche, fabelhafte, wunderbare Auszeichnung ist für Herta Müller, für ihr Werk, für die rumänendeutsche Literatur im Banat und nicht zuletzt für die Literatur im ganzen deutschen Sprachraum. Von Tag zu Tag freue ich mich mehr.
Kathrin Schmidt
Du stirbst nicht Roman Kiepenheuer & Witsch 2009 |
Arrogant, lächerlich und wichtigtuerisch, diesen energiegeladenen, vortrefflichen, in jahrelanger harter Schreibarbeit entstandenen Werken mit ein paar Worten auf Augenhöhe begegnen zu wollen. In Hans Benders Einer von ihnen. Aufzeichnungen einiger Tage (Hanser: München 1979) lese ich:
Habe ich die Bemerkung von Günter Graß richtig behalten? Als er die Blechtrommel nach mehreren Überarbeitungen abgeschlossen hatte, sagte er bei einem Besuch in der Frankfurter Akzente-Redaktion: „Nun weiß ich, was es heißt, einen Roman zu schreiben. Ich werde vor anderen Romanen und ihren Autoren von jetzt an mehr Respekt haben.“ – Ich denke oft an diese Bemerkung, wenn ich Kritiken lese, die allzu eilfertig verfaßt, allzu böse und einfach zu dumm sind. Sie stammen von Leuten, die vom Handwerk des Schreibens keine Ahnung haben. Die Anfänger der Kritik, die Germanistikstudenten nach dem ersten Semester, die gelegentlichen Mitarbeiter der Literaturseiten, urteilen am unverfrorensten.
Verehrte Leserin, verehrter Leser, Sie sind also gefragt: Lassen Sie sich nicht blöde blenden von beifälligen Besprechungen, tönenden Bestenlisten, aufmerksamkeitsheischenden Buchpreisen – und schon mal gar nicht von fiesen Verrissen: Das beurteilte Buch kann in Ihren Augen vollkommen anders geartet sein. Sie haben die Wahl – unter dreitausend neuen Romanen im Jahr (und mehr).
Zu meinen Favoriten zähle ich den Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer, dem es immer wieder gelingt, besonders gelungene Lyrik und Prosa origineller Autoren zu publizieren. Kürzlich lese ich die gleichsam elektrisch aufgeladene Geschichte Die Hitze ließ nur die Dinge von Susanne Fritz, die mich Reiseunlustigen auf energische Art nach Mexiko entführt, sowie Martin von Arndts zweiten, erneut filigran, ideenreich, humor- und schwungvoll verfaßten Roman Der Tod ist ein Postmann mit Hut, beide 2009 erschienen, beide ohne weiteres den Büchern beizugesellen, denen den Sprung auf Long- bzw. Shortlist gelang, frage nach, ob man sich mit diesen originellen Romanen um den Buchpreis beworben habe (154 Einsendungen gab es 2009) und erhalte von Hubert Klöpfer folgende Antwort:
Wir haben in diesem Jahr keinen Titel eingereicht – einfach aus lauter Vergeblichkeit. Denn ganz offenbar geht es beim deutschen Buchpreis nur um die großen Verlagskonzerne, um Kapital-, Vertriebs- und Palettenmacht, bei der wir als kleinerer, unabhängiger Verlag auch im Jahre unserer Volljährigkeit – Klöpfer & Meyer besteht im Dezember seit 18 Jahren bzw. bemüht sich seit nunmehr 18 Jahren redlich um Schöne Literatur) einfach keine realistische Chance haben. Denn eher als ein Verlag unserer Größenordnung für den Buchpreis berücksichtigt wird, kommt ein Kamel durchs biblische Nadelöhr.
Ob dem so ist? Bei C.H. Beck, S. Fischer, Hanser, Kiepenheuer & Witsch, Residenz, Suhrkamp (Buchpreis Kathrin Schmidt • Du stirbst nicht • Kiepenheuer & Witsch) sind 2009 die von Richard Kämmerlings, Michael Lemling, Martin Lüdke, Lothar Müller, Hubert Winkels, Iris Radisch und Daniela Strigl für die Endauswahl nominierten Romane erschienen, 2008 bei Berlin, Droschl, Jung und Jung, Hanser, zweimal Suhrkamp (Buchpreis Uwe Tellkamp • Der Turm • Suhrkamp), 2007 bei S. Fischer, Frankfurter Verlagsanstalt, dreimal Hanser, Kiepenheuer & Witsch. (Buchpreis Julia Franck • Die Mittagsfrau • S. Fischer), 2006 bei Berlin, Hanser, Luchterhand, Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt, Suhrkamp (Buchpreis Katharina Hacker • Die Habenichtse • Suhrkamp), 2005 bei Aufbau-Verlag, Berlin, Frankfurter Verlagsanstalt, Hanser, Rowohlt, Suhrkamp (Buchpreis Arno Geiger • Es geht uns gut • Hanser).
Erst 2010 also hat die nächste siebenköpfige Jury des Buchpreises die Gelegenheit, Verleger Hubert Klöpfer eines Besseren belehren, denn bislang waren die Gewinner tatsächlich stets Bücher aus Verlagen, die zu den überregional bekannten, sogenannten großen Verlagen zu zählen sind.
Erscheinen in den großen Verlagen die besseren Bücher? Ich habe das immer bezweifelt, achte nicht darauf, bei welchem Verlag ein Buch erscheint und schreibe in – zum erlesenen Verlagsprogramm von Klöpfer & Meyer:
Vor gar nichts zu warnen gibt es bei dem in Baden-Württemberg – in Tübingen – angesiedelten Verlag Klöpfer & Meyer, der mir seit einigen Jahren mit jedem Buch mehr ans Herz wächst – wobei nicht jeder einzelne Titel meinen unbedingten Gefallen finden muß. Hubert Klöpfer ist ein souveräner Verleger mit Feeling für gut erzählte Geschichten. War es zunächst die Lyrik, die mich zu Klöpfer & Meyer hinzog (ganz besonders Walle Sayer, von dem es aber auch den feinen Kurzprosaband Kohlrabenweißes gibt), ist es nun vermehrt die Prosa, der ich viele schöne Stunden spannender Lektüre verdanke. Neben mir liegt ein Stapel mit Büchern von Klöpfer & Meyer, und ich lasse Erinnerungen genußvoll Revue passieren. Gleichzeitig genieße ich die Buchgestaltung. Wie Arno Schmidt entferne ich die Schutzumschläge, die ich – von Ausnahmen abgesehen – beim Lesen als störend empfinde (und verwahre sie in Schuhkartons). Exquisit wirken diese schönen Bücher mit den fein geriffelten, blauen, roten und grünen Buchdeckeln. Ich greife die besten aus den mir vorliegenden gut zwanzig Büchern heraus (die Bandbreite der Texte umfaßt Roman, Essay, Erzählung, Miniaturprosa und Aufzeichnung), unter denen ich nicht einen Flop entdeckt habe, wobei ich Kurt Oesterles Der Fernsehgast oder Joachim Zelters Das Gesicht bei weitem nicht so hoch einschätze wie mancher auf dem Umschlag zitierte Kritiker und Manfred Zach die Intensität seines mitreißenden Politromans Monrepos oder Die Kälte der Macht in Die Bewerbung und Bolero nicht wiederholen kann. Draginja Dorpats Und zu Küssen kam es kaum ist eine leidenschaftliche trizonesische Kindheitsgeschichte nach 1945, Wolfgang Duffner und Heiner Feldhoff präsentieren in ihren Sammlungen von Kurzprosa Der Gesang der Hähne bzw. Kafkas Hund eine Palette geistiger Blitze, die auch den Leser ansprechen und begeistern dürfte, der eigentlich schon beschlossen hat, künftig keine langwierige Prosa mehr zu lesen, sondern nur noch Lyrik. Furios und fanatisch: Martin von Arndts ego shooter. Während Hans Peter Hoffmann in Der Nichtstuer starke Reminiszenzen an einen meiner liebsten Autoren – Thomas Bernhard – hervorruft (was mich fesselt und befremdet zugleich), hat er mit Langsame Zeit ein so phantastisches Buch geschrieben, daß ich uneingeschränkt und fortwährend nicke und das Buch nicht aus der Hand legen kann, bis es – weit nach Mitternacht – zu Ende gelesen ist. Langsame Zeit sind romanhafte Reflexionen, gesammelt auf einer Reise durch das Elsaß, zusammengehalten durch eine Sprache, deren Genauigkeit und Ruhe eindrucksvoll und wohltuend ist. Langsame Zeit ist ein fabelhaftes Buch, in dem Hans Peter Hoffmann endgültig zu seinem Stil gefunden hat. Gerhard Köpf, dem Autor des Essaybandes Die Vorzüge der Windhunde, bin ich zu großem Dank verpflichtet: In zwei Aufsätzen macht er mich auf die Romane von Gregor von Rezzori und die Gedichte von Ilse Schneider-Lengyel aufmerksam. Beiden Namen bin ich auf meinen literarischen Reisen durch die Welten der Prosa und Lyrik bislang nicht begegnet. Köpfs suggestiver Art kann ich mich nicht entziehen: Gleich nach der Lektüre habe ich – bei ebay und eurobuch.com – auf vergriffene Bücher geboten bzw. diese bestellt. Mit Tina Stroheker begebe ich mich auf eine Reise nach Polen: Pommes Frites in Gleiwitz ist ein besinnliches und vergnügliches Buch mit Aufzeichnungen einer Schriftstellerin auf ihren Expeditionen. Gleichauf mit Hans Peter Hoffmann sehe ich den letzten Autor in diesem kleinen Klöpfer-Alphabet: Werner Zillig hat mit Die Festschrift eine feine Satire über die universitären und liebevollen Verbindungen eines ganz bestimmten Menschenschlags geschrieben, der Bücher liest, wie ich sie auch gern lese, und sich mit ähnlichen Problemen herumzuschlagen hat. Das ist flott und schnittig geschrieben, und die Geschichte endet mit einer wahrhaftig zu Herzen gehenden Überraschung, daß ich ausrufen möchte: Mein Gott, Herr Pfarrer und Touché, Herr Zillig.
Ich komme der Literatur nicht bei, indem ich versuche, sie systematisch einzukreisen: Sie ist viel zu sehr verbreitet und verzweigt, sucht sich den nächsten Ausweg, wenn ich sie zu kanalisieren versuche. Wohin auch? Ich sehe Freund Zufall als kreative, das Leben lenkende Kraft, die sich ihre eigenen Wege durch die Unwegsamkeiten bahnt. Ich bin gespannt, was mich an der nächsten lyrischprosaischen Haltestelle erwartet.
Prosa 2009 • My long or short list – whatever
Aus meiner heutigen Sicht hätte dieser Roman gar nicht veröffentlicht werden müssen. Ich finde, dass er klappert und dass er schwach ist. Ich stehe trotzdem dazu, weil ich mich an ihm aus dem Sumpf der Sprachlosigkeit gezogen habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber noch sehr zerrissen und unentschieden über meinen Schreibstil. Deswegen ist es auch so ein komisches Konglomerat.
Kathrin Schmidt im Gespräch über
Seebachs schwarze Katzen (2005)
Sistig/Eifel · 12. September bis 12. Oktober 2009
Theo Breuer 13.10.2009 |
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany |
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