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Theo Breuer
Die nächste Trope ist die schwersteSpiel und Wort in den Weiten der Geldmeisterschaft
Essay
Je est un autre.
Ich will, daß alles, was gesagt wird, ins Wackeln kommt, immer wieder neu.
1 · Der Wortwüter spricht Am Anfang ist oft nichts. Die Welt ist aufgeblasen wie ein Ball. Ja, gut, man will sich nicht metaphorisieren lassen, aber es gibt immer die Womöglichkeit, das Leergedicht, das hält, was zu halten ist, anzudraggeln. Wie meint der Hinterniederländer: Die Null muß gehn. Das ist möglicherweis die Antizipierung für das, was später kommt. Ich muß die Köpfe hochkrempeln. Und die Ärmel natürlich auch. Ich verrat kein Geheimnis, wenn ich frag, ob ich nicht immer in einer systemasthmatischen Konstellwerkration bin, wenn's jede Sekund heißt: Wem die Stund nicht schlägt. Doppelspaß allein? Vergiß es. Denn für dieses eben ist Herr Bensch nicht blau genug. Ich muß dir kein Bild lachen und Entkleidungen treffen, welche Wörter ich festhalt, welche ich vermeid. Geschenkt. Ach, was muß man oft von bösen / Wörtern hören oder lesen. Was in der Lyrik stimmt, ist einfach falsch. Lyrik les ich schon, wie ein Waldmeister im Wind, als ich noch, klar, nicht lesen kann, und zwar: Alles was der Fall ist, dralle Dichtung, die mich 93 Minuten plus 30 Minuten (halbe Stund) Verlängrung mit Echos aus allen vier Lichtungen beschallt, daß es bloß so widerhallt, mich hornig von einer Eck in die andre verballt, ohne Chance, all die Wörter zu be/halten. Früh schon, auf den schwersten Seiten, knallt mir ein Wortdrall um die Ohren, daß ich, schwindlings, Fäust geballt bloß hochschmeiß, ja, was für eine Scharade: Entscheidungen (wie einen Stürmer) zu fällen ist das eine, einen Baum etwas anderes, also, was ich sagen will: Ich weiß, was ich tun will, aber tun tu ich's nicht. Nicht schön der Satz, aber so unglaublich wahr, wie nur ein Satz wahr sein kann, ich mein, so unglaublich wahr, wie wahr ein Satz überhaupt sein kann. Ist eine Entkleidung betroffen, heißt das noch lang nicht, dass die durch die Entscheidung beschloßne Tat auch getätigt wird. Lyrik lacht lind, hat man mir gesagt. Das klingt erfunden, ist es aber nicht (in dubio pro theo), doch immer und immer wieder klagst du, tandaradei tandaradei 2 · Der echte Pausenvermeidiger spricht Wo sind die Wunden? Ja, gut, wer es genau wissen will, weiß, was man zu tun hat, und zwar mit Aggressivität und Leidenschaft, mit sehr viel Mehrgeist und Engagement: Lyrik ist unser lesender König, Lyrik regiert die Welt, sing ich mit der ersten Freundin, Katharina Meyer, beim Spielen im Zelt. Liebste Fernwehsendung damals: Wort – Spiel – Spannung. Wir ahnen: Das ganze Lesen ist ein Nachspiel, wir wolln bloß gerne raten. Da bin ich fünf. Einer sagt über mich: Auch größenmäßig ist es der größte Nachteil, daß er nicht der Allergrößte ist. Ein andrer hält dagegen: Er glaubt nicht, daß ein Lyriktalent größer oder kleiner ist. Zuerst hab ich also kein Glück, dann kommt auch noch Pech hinzu. Die lesenslänglich von mir betriebne Dichtart ist ja noch im Werden, was überhaupt mein schweigentliches Wesen ist, daß ich ewig und drei Tag nur werden, nie vollendet sein kann. Ich kann auch durch keine Theorie erschöpft werden. Zasku zes rü rü: Das ist das Frohgressive, die ins Unkenntliche sich lehnende Prophetisierung, die Sprache der Welt verspricht. Die Vergeistrung ist also trotz von wegen widersprüchlicher Aussagen groß, und bis ins Verkeinmagazin des örtlichen Wortklubs hab ich's, schlimmer Sinn, geschafft. Komm ja aus dem Wortleistungsbereich, hab mir quasi von der ersten Minut an Wörter geleistet: Die Vokabel ist bunt, ein Wortspiel dauert 90 Minuten. Ich hab gebracht, gemacht, gelacht, gedacht: Halt die Luft an, vergiß das Atmen nicht. Dann die komplizierte Vernetzung. Seelenabriß beim Schambeinkochen. Ja, gut, was sich hier lustig anhört, ist beim ernsthaften Spiel mit der Mikrowell passiert. Sanitäter haben mir sofort eine Inversion gelegt. Arzt will Bein adoptieren. Wortbeinbruch. Da hab ich, lebensbänglich, gehofft: Wenn man mich jetzt ins alte Wasser schmeißt, könnt ich mir die Dinger verbrennen. In der Stille sind die Dinge klar umrissen: simarar kos malzipempu 3 · Der flinke Banausenvereidiger spricht Drei Orte nennen wir euch, Sinngehalt quer. Ja, gut, wir haben immer die Finger in die Wunder gelegt, die sonst unterm Fisch vermeert worden wären, irgendwann wird man sich an uns vergehn, und wir werden an keinem Wortschaulyriksprühling mehr teilnehmen. Eins ist eh unklar: Von der Einstellung her stimmt die Einstellung, oder nicht? Wir haben uns auch nicht immer gut aus der Atmosphär gezogen, als mal ein bißchen der Duft raus ist und Beton angerührt wird, der uns beinnah zermürbt, beinah: Über den Kampf finden wir zurück zur Technik, und nach einer quasi obszönen Zombination mit dem rötlichen Paß in die Schnittstelle des weiten Knittelfelds von Cholera und Charybdis rudeln die Wörter wieder. Heut sehn wir ja, wo wir wie im Frühtau zum Zwerge gehn, tralalala. Nach jedem tiefgelaufnen Wortklau schalten wir schnell um aufs frakturelle Wortstadium. So kommen wir unter die Silben, klek wa puf zi lü. Wir ordern viel, sind drauf gefaßt, noch weniger zu binden, da ist doch Luft nach oben. Wörter, Verse, Strophen: alle Geschosse, Genosse. Wir schreiben Gedichte fern – nach dem Qualspruch ›Was klimbim ist: kein Witz, nen Stier sehn, den man nicht bemalen kann‹. Und, ja, es ist Unsinn, sagt die Vernunft 4 · Der kleine Finnenbeleidiger spricht Ein Geist, der gammelt und erschaut. Es ist einfach schwer viel in Bewegung derzeit; es könnte gut sein, wenn wir alle uns noch mehr darum bemühn, ebenfalls in Bewegung zu bleiben. Ja, gut, ich denk jetzt nicht, eine Sach wie die Lyrik sei keine Punschkost. Doch die Verhältnisse, die sind schlicht roh, sprich, denkbar brünstig: Ich les im Blätterwald, ein Wald hinter einem Wald, der vor einem / Wald liegt, die kalten Nachrichten müssen ins Archiv eingebaut werden, ob mir auch das Herz zerknallt, ich notier Ringe, die mir im Voru¨bergehn der Stäbe auffallen, sammel das eingehende Ausschankmaterial, irgendwann schauschau ich mir das an, merk, daß Teile nicht zusammenpassen, unklaublich schicke Luft, als befänd man sich auf mosäkularer Schwebene, ein einziges Geranke, das zu Wörtern wird, die ich flink finden muß. Was ›natürlich‹ – nicht – einfach ist. Das kann Jahre dauern, bis die Lyrikkinder zusammenkommen, ach, Federlein, könntest du reimen, so würd der Schmerz gesund. Ja, manches zerwörtelt, Lyrik kann auch Sanderscheinung sein, das ha¨ngt von der Position des Zuhauers ab, dem ist, als ob es sausend Stäbe gäbe / und hinter sausend Stäben, nein, kein Geld. Ja, man kann mich glücklich verpetzen, wenn ich einen treuen Gedichtband in die einigerspaßeshalber anruchsvolle Gesichthand nehm. Beim Samowar (›Die Lyrik hat ihre eignen Gemetzel‹) laß ich die Alkoholiker gegen die Awantialkoholiker anbeten. Beide machen die bei weitem echtesten Verse: phantastisch blaugrausende Abschiedsbilder, da gibt es keine zwei Meinungen, Parolen, Essenzen, die ich beim ta¨glichen Altgesang des öffentlichen Schweden in den Medien hör, wiederholt somatische Tön wie bei Lindenstadt oder Rheine, schwanzfeine Verliebungen, Naturbatterialien wie Molke und Tra¨ume werden zu schwer suchstabierbaren Laubkopien dessen sortiert, wozu sich die Lyrik der Semantik längst herbeigesellt hat. Nebenbeizweidrei: Daß beim Lyriklesen das Klarnehmungssystem verweichlicht wird, wir in Launen geraten, die Beobumnachtungen scha¨rfer werden, ist keine Mär, die in Intermailandviews zur Notlüge der Lyrik gern zum Bersten vergeben wird, das liegt aber eher an der Optik als an der Logik. Wer lacht hier, hat gelacht? Mit mir nicht! Jedenfalls war's mir da wurscht, und ich hab gesagt: Sauft weiter. Ja, gut, das ist Lyrik, umsteuert die Disharmonien der Gegenwart, du fliehst die Wespe, nicht den Schmerz 5 · Der feine Binnenvereimiger spricht Draußen gehn die Bäume. Ja, gut, du bist Tag für Tag im Blätterwald des Vergessens. Lächeln, Atem und Schritt. Morgens um neun bist du vier, abends um neun bist du fort. Du machst dies und das und denkst und kannst und willst nicht verstehn, wann wird man je vergehn, bist fern, wo du herkommst, bist fern, wo du hingehst, der wichtige Mann am nichtigen Sport, wie manch einer einlenkt. Kraus zieht bei derlei Angaben gern die Augenbrauen hoch, vielleicht etwas unecht, tönt, das sei doch Momentaufnahm bloß. Eine Gazelle fügt sich. Du hast mit nicht wenigen aus der Szen immer sehr gut zusammen gerauft. Du hoffst, daß die mit Versen weiterhin die ihrer Ansicht nach runde Leistung zeigen, das würde die Leistung auch in der höchsten Drucksituation abrunden und wem auch immer wieder keine entleidenden Schwimmpulse vermitteln. Es ist zwiewichtig, im eignen Stadium wie aus dem Nichts zu kontern, du jedenfalls kennst das alles allzugut, fängst bei Null an, kannst zu Hochdreistungen rotivieren bzw. alle Konserven möbelisieren. Du denkst am Anfang: Lach wie eine Lasche, sehr! Es ist einfach, zu sagen, daß dieser oder jener Mist gemacht hat und jetzt um sein Lesen spielt, um wieder Mut zu machen, und damit hat es sich. Stattdessen sagst du vor: Du brauchst ab sowort Erlesnisse. Du mußt nicht jedes Qualitätsdifferenzial, das du hab, putzen. Du mußt liefern. Manche mögen spielerisch reifer sein, du zückst jetzt erst mal die Krück. Da mußt du auch schon mal, ›Augen zu, du Lurch‹, den Reim kindlings in die Taschen stauen. Grad wenn es heißt: Rhyme is out of joint, wird bei dir die Vereiflung vergoren, und du fängst an zu kleben: aus allen Lagen dem Wort auf den Reim gehen (auf den eingilbig dämlich dumpfen Reim, den zweihibbelig weinerlich singenden Reim, den dreimilbig leitenden weichen Reim, den spielsilbig erheiternden Reim, den Anfangsschleim, das Ausgangsheim, den Minnereim, ein Echo? fein!, den Frisurreim, den Leichenreim, den Verschwendreim, mittenrein im Mittelrhein, Sausentime, den Tagreim, den überstehenden Reim, den überschlagenden Reim, den erheiterten Reim, den feinen Reim, den unfeinen Reim, hach, Vokal sein, die Paranuß, den Torreim, den Entgilbungsreim, das Rührei, den seichtlaufenden Reim, den authentischen Keim, den notorischen Reim, das Büttelschwein, den gekrochenen Reim, den gespaltenen Reim, den laubenreinen Torenreim, den spasmatischen Reim, den umgekehrten Reim, die Billigreis, den Elxierreim, den Rabreim, den Maarreim, den Schneuzreim (Almöhm geht in seinem Reiche / und zerspaltet bloß ein ›totes‹ Taschenbuch: / In dem Buch wird eine Leiche / klar verbellt und auf Herrn Bensch lastet ein Fluch. // Almöhm fragt sich, will man Reim zum Schneuzen? / Sehr gestört von jenen Käuzen, / die's soft, unbekittelt packt / vor lauter Furcht, obszön zu sein und nackt. // Schmerzlich spaltet er zusammen, / was er lesend erst verbreitet. / Und kein Wühlmausender wird verdammen, / weil er schneuzreimlos entschreitet), den umgarnenden Reim, den Lockreim, den verschenkten Reim, den Schlaufenreim, jetzt aber: ab in die Betten rein, den Leerreim, den Hörnerreim – vom Waisenreim ganz zu schweigen). Die Welt, die mich da draußen beregnet, ja, keimt und reimt wortwährend, ist nicht autark, ist keine bloße Angammlung von Zitaten, Bruchtücken usw. Hier ist die Red von Beseßnen, gefreßnen Herden / von Frühmahl und Eifel, hier ist der Honig der Weisen. Zum Laufpakt gibt's, staturgemäß, Verrücktschläg, da mußt du saustark sein; wer verschmitzt ist, kommt in die Weltwäsch. Alles, was am Ball ist, mußt du in der Karenz nutzen, also weiter, weiter, immer weiter, so lang wir's noch gönnen, Gedichterbsenzähler machen weiter, Atomindustrie kracht weiter, Arbeiter wachen weiter, Legierungen machen weiter, Bock'n'Soul-Fänger machen weiter, Preise lachen heiter, Papier entfacht weiter, Biere und Schäume machen weiter, Plag und Macht machen weiter, Metrum macht weiter, das Gedicht stimmt ein Blutgeheul an as rhyme goes by 6 · Der Hexer spricht Der unkenntlichen Worte verächtlich belagerter Kahn. Ja, gut, manche halten Lyrik freilich für einen Krampf auf Lesen und Not. Ich mag diese Einhellung nicht. Lyrik ist weit ernster. Hinter den Schuhkisten ist gewesentlich zu lesen, man wolle nicht ausschließen, daß ich weiterlach, aber man geb auch keine Garantien von nun an bis in Ewigkeit. Ob ich vor dieser Chance jahrelang gekartet hab, kann man so nicht fragen. Wie so oft liegt auch hier die Mitte in der Wahrheit. Ich hab nie an der Chancenmimosigkeit gezweifelt. Ich laß Entstücklungen auf mich zukommen, das ist ein Mundsatz von mir. Ich absorbier's mal so: In einer Straße höhnt es, Verwirrer: Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid? Eure Stimme – da seid ihr doch dafür ver-ant-wort-lich! In der Lyrik verkompliziert sich halt alles durch das Vorhandensein der regnerischen Wörter: Befiehl verletzten Wörtern toll zu sein; stell ihnen noch unermüdlich Fragen, dräng sie zur Verschwendung hin. Ich laß mich nicht graziös machen, das geb ich auch nicht zu. Für mich ist nichtig, daß ich identisch sein kann, daß ich nicht mit Wolle spielen muß, ich will Wörter verörtlichen. Lyrik ist doch längst die Nummer Zwei. Rosa übrigens auch. Von Ethik, Frohesie ganz zu schweigen. Wer sich dieses, blickdicht, mit jedermanns Augen vorsagt, erlebt keine ungeheure Beschleunigung des erlebnisorientierten Schenkens. Es hat gut angefangen, aber ich wär pro und kontrahuru, wenn es auch einmal, Ende, Hände, Mayo, Käse, gut aufstören würd. Jedenfalls könnt ich mir nie verzeihn, wenn mich die Verbanntwordung nicht erhellen würd. Ein Kränkmal will ich nicht sein, darauf kreißen ja nur die Schrauben. Überhaupt: Job hat den Teufel in der Lyrik gesehn. Ich bin da kurzsichtig. Ein blutendes Gesicht spricht auf irgendeiner Reis von der Lex Demenz der Existenz, von dem, was uns im Innersten ansieht und umschnürt. Das ist ein Gewühl, wo man bloß schwer beschreiben kann. Ich unterscheid zwischen Häuten, die mich kennen, die Fluktuation einätzen können, und denen, die mich nicht nennen. Ich hab immer gewarnt: Wer eine Obduktion auf mich hat, muß sehr weitsichtig sein. Hier wird schnell Personenwaagenkult betrieben. Und man hetzt die Meute auf mit Ratmachen, ich bin nicht auf Klarheit erpicht – und auf Hering schon gar nicht. Trotzdem will ich die Sprach nie verprassen. Ich will mich bis zum Lesensend beim Wort nehmen, am liebsten noch weit darüber hinfort. Ich bin Teamplayer, mir ist die interne Wirkung nicht zwielichtiger als die öffentliche. Für mich gibt es entweder entweder oder. Also entweder voll oder ganz. Die entblößte Herausfordrung dieses Wortkaders ist die Balance zwischen defensiv und offensiv. Ein Akkordspieler läßt sich nicht vom Intellekt bekriegen, ein Sofortspieler entscheidet selbst über sein Schicksal. Wir haben ja öfter Endleidtrimmung, was die Wörter angeht. Aber das ist doch Lyrik. Es gibt Wörter, die wirbeln so, und es gibt Wörter, die werkeln so. Das ist immer so, wenn Wörter zusammenkommen. Und das zielt mir in die Karten. Ich bin immer selbstkritisch, auch mir selbst gegenüber, und ich glaub schon, daß ich daran einen großen Anteil hab. Ja, gut, bei uns wird manchmal zu wenig lyrisch gesprochen. Das könnt an der Kommunikation liegen. Es darf aber jetzt nicht alles übers Vieh sprechen, man muß abwarten, was kommt, die Hoffnung wirkt schlimmer: ganz gehetzt. Es wär wirklich der größte Fehler, wenn wir glauben, daß wir die Überwinterung des Wißverständnisses bereits verstanden hätten 8 · Die Hoppelsechs spricht Je est un autre? Steht's noch? Ja, gut, ich lern doch nicht extra Französisch für die, wo dieser Sprache nicht mächtig sind. Ich denk auf blutdeutsch: 11 Elfchen wolln wir sein, c'est &ccdil;a. Lyrik ist für mich eine Mikropoß der verschlammten Geseilschaft. Alle Prozesse, die in der Familie, in der Großfamilie, in der Kleinfamilie, in irgendeinem Unternehmen absaufen, schwimmen auch im Worthallenbad. Das gilt natürlich ebenso in Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien. Im übrigen lautet das Motto, auch wenn's Schnee von morgen ist: mit dem Boden auf den Füßen bleiben. Dafür ist der Unterschied zwischen vorher und nachher einfach zu kraß. Das muß ich jetzt sagen: Ich bin ja richtig explodiert in der letzten Zeit. Aber ich muß es auch erklären. Es gibt da drei Punkte: Erst mal ist es so, daß ich ein sehr plausibler Nachspieler bin, ich bin nicht so, wie ich öffentlich wahrgenommen werd. Ich hab früher die großen Philosophen gelesen, aber davon wurd der Wahnschmerz auch nicht weniger. Ich hab gemerkt, daß die vom unnormschalen Denken absolut wegschleichen. Jetzt les ich nur noch ein Lyriklachwerk nach dem andern, pack so das Tier bei den Wurzeln. Ich bin sehr debibel und stell für jeden nachspielenden Kollegen keine große Herausfordrung dar, weil ich autark von Trimmungen les, was den Baum / einen Moment lang verändert, die / Gedanken nicht. Ich denk, daß ich auch niemand bin, den man sehr gut anpassen kann. Und ich bin ein Knobler, der den Editortortor einer Tautologie oder Literaturneidschrift sehr viel Synergie kostet, ich bin es aber zu einskommanull Promille wert, daß man diese für mich einschätzt, denn meine Versfüß sind mit allen Abwassern gewaschen. Ich arbeit mit Startversionen von 150 bis 200 Zeichen, manchmal greif ich ho¨her. Mehr als 300 mach ich nie. Aber das sind und bleiben Gedichte, nur ist ihre Herstellung den Tendenzen eines der Poesie feindlich gesinnten Markts angepaßt. Der zweite Punkt ist der, daß es für mich nicht einfach einfach ist in den ersten Stunden der quasi zweiten Glückkehr als Has im Pfeffer. Ich bin ja vom konsensationellen Buchwandel weggehoppelt. Ich muß feststellen, daß es da, ja, schon wieder eine bloße Diskrestanz gibt zwischen dem, was ich erwort und dem, was ich vorfind. Ich hab es mir nicht sehr genau überlegt und dann erst spontan zugesagt. Die Situation ist aussichtsfamos, knistrig. Im Gedicht kann alles passieren, ich bin auf einem guten Weg, halte still und warte 10 · Als Viellacher spreche man so Der Rumschreiber sei also ein Held, haha, und das liege auch daran, daß das ungeheuerliche Publikum nicht schwinde. Man sei nicht andrängend, spreche nie mit Nüssen. Jagottogott. Das sehn die Bauern, ratlos und alt. Solle man die Wörter etwa in die Kresse baun, damit die Spannung erhalten bleib? So breit, so gut, die Versfüß trügen einen – voran. Wie der Wortwüter schon sage: Kopf hochkrempeln. (Und die Ärmel natürlich auch.) Okay, wenn man ein Spiel verliere, fahre man eben wieder nach Haus. Raus die Laus. Balle, balle, manche Ecke. Das habe man auch verbal gesagt. Man könne nicht sagen, daß man es nicht gesagt habe, da man es schon mehrfach gesagt habe. Es überwiege eigentlich beides. Man fühle sich, unterm Ausschuß der Öffentlichkeit, nicht unbedingt unwohl. Oder im Klartext: Man habe die Wörter ganz karibisch zusammengestellt, habe vom Feeling her kein gutes Gefühl. Wenn man keine Wörter hinschreibe, sei's nicht ballzuschwer, kein Gedicht zu machen. Man tue jetzt nicht bloß der Frau kund: Das Wort sei ein dreckiger, eckiger, fleckiger, speckiger, zeckiger Schlauhund. Lyrik sei Ding, Dang, Dong. Es geb nicht bloß Ding. Ein Lyriktropfen, Hauch, der spurlos sich verlier, sei mehr als aufgespültes Prosameer. Ja, gut, das größte Emblem beim Spiel seien die Wörter. Wenn man die abgaffen könnt, wär alles Mut. Man habe mal ein Wort ausgewechselt, weil man ein andres Wort hab einwechseln wollen. Da habe man ja eins auswechseln müssen. Gedichte seien keine Romane, das habe man da wieder ganz klar gesehn. Wenn ein Gedicht hinten offen sei, könne es nicht ganz dicht sein. Wörter vertrügen – kein Lob. Wenn man zum Worte gehe, beim Packen die Peitsch nicht vergessen, haha. Lyrik sei vermessen, oft nicht mehr zwieschichtig, keine Art Erwachen, das Nichtinfragestellen von Klobigkeiten zum Freispiel, schnurz und legal: Im Gedicht sei alles möglich 7 · Der schlechte Zauselzahner spricht My English is bad, my German is badder. I know nothing. Yet I know everything: Die Welt fängt im Menschen ja gut an. Ja, gut, sorry, leider hab ich versäumt, Grenzen zu verletzen. Wir brauchen das, was man hiebevolle Senge nennt. Ich hoff, daß wir da wieder hinkommen, weil diese Rundumbeschreiung auch nicht des Rudels Stern ist. Als ich einsteig, hab ich geblufft, war nicht ganz unrisikotoll (Is this a dagger, which I see before me?), gilt aber weiterhin: Wir dürfen jetzt bloß nicht den Sand in den Kopf stecken. Also: Wir haben ein Abstimmungsödem, das müssen wir aromatisieren. Konkret abstrakt gefragt: Wie baust du Metapher, Metonymie in die All-you-can- 9 · Der Wirbelstürmer spricht Dort, wo du bist: Bespiel ein paar Wörter. Ja, gut, das nenn ich mal eine gut intrigierte Truppe, wenn die Wörter gemächlich ineinanderschlängeln. Aggressivität und Aktivität in die Mundschaltung eincremen. Wenn du die Wörter stark höhnisch vereidigst, werden die Wörter auch nicht argwöhnisch eingreifen. In der Lyrik ist es doch nicht wie im Bußfall: alles Klopfsache. Es gibt für jede Wortsau immer nie eine Möglichkeit, und die geht ja, klar, nicht. Gute Reime kann niemand vom Ball trennen, gute Reime spielen nie kleinklein. Kaiserschmarren, alles Ballegorie, aber die Mutklauer, sie harren nicht aus. Wir wie Wort wird was gewagt: Da fliegt Zeppelding bloß und dumm durch vergleichenden Versball, keine Kluft mehr zwischen ›dir‹ und ›Tier‹, die im Verschwendreim wieder zweiprächtig zueinander finden, da weht der Duft, Duft, Duft des bloßen breiten Belt herüber: Du tropfes Tier, / Ich – – – – – – – liebe – – – – – – – dir! Solche Gedichte schreibt pur nur die Lyrik. Würden wir immer so spielen, wärn die Leistungen nicht altwankelblütig. Aber wem sag ich das: Eschte Reime stonn zesamme, stonn zesamme su wie eine Jott un Pott, lachen ja die Höhner, die jungen Echtleidschreiber beschmerzigen das nach dem Leersatz von jetzt oder wie – es ist ein Wortfeld, in dem du dich verwirrst. Ich orakel mal, das kommt echt de profundis in dieser herbstlichen Nacht im April: Wer jetzt kein Baumhaus baut – wie steil ist das denn? Tor! Hammer. Darüber hinaus find ich es bloß artig, daß sich (nicht nur) die Fraun immer mehr vermeeren in der Lyrik. Es ist nicht so, daß, wenn es anders wär, auch anders aussehen könnt. Es ist eher so: Man steht kompakt zum Gedicht, staubt einen scheuen Gedanken ab. Im Vergleich stehst du auch nicht besser oder schlechter da, als es ist. Ich denk mal, ich hab ein ganz spezielles Vermählnis und eine ganz serielle Vertrauenssensation. Tagsüber, wenn die Wonne weint, ist mir nicht wärmer. Ich will Versfuß für Versfuß vorgehn, bis die Kniekehlchen singen. Bewahr erst mal über allen sauren Zipfeln die Ruh. Muß irrational denken, nicht emotional: Seiokrontro – prafriplo. Muß versuchen, gemeinsam die steilen Zeilenkurven zu kriegen. Will das Gedicht doch nicht so echtreden, wie es wirklich ist. Manchmal ziehn die Wörter sich weit zurück, stehn dicht gestaffelt hinten drin und warten auf Konter. Da heißt es Zocker bleiben, witzschnell auf Gegenangriff umschalten. Heiterkeit verknoten. Ein Tor hängt an einem Wipfel, mit Zwecksträhnen geneckt und versumpft. Spiel für Spiel geht's darum, den Wiedergang zu vermindern, das ist die Mission, darauf bin ich feixend fixiert, wenn ich das schaff, können wir zusammen hetzen. Damit kann ich sehr gut lesen. Brauch für mich nicht mehr Unsicherheit, als zu wissen, daß ich, ja, gleich einen ortlosen Wortschatz heb. Bin so gestrickt, stürz mich mit großem Grimm, palim, palim, aufs Wort, das ich treffen will, das aber immer wieder nicht dort ist, wo ich's vermut. Mein schönstes Ergebnis, das ich nie vergeß, ja gut, das war ein baumhaft herauswagender Augenblick, als man zu mir sagt: Komm, Freund, zieh die Sachen aus, jetzt geht's los. Hallo? Da hab ich bloß noch gedacht: brechen, bersten, knacken, krachen. Rein das Ding, fertig und ab nach Hause 11 · Der flinke Flausenmahner spricht Geldgeheimnis: Der tiefe Brunnen weiß es wohl. Ja, klar, ich verdien weniger Geld, ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc. Wucherpreis? Nie gekriegt. So ist Lyrik. Manchmal gewinnt der Beßre. Vom Sentimentalen her den Fall also lieber mal wachhalten. Ich mach nie Voraussagen. Werd das auch weiterhin nicht tun. Es gibt eine neue von Klangenten gescheuerte, geschnürte Rumschreibergeneralisation, wo man nicht so hochsterilisieren bzw. -kristallisieren muß. Ein bester Freund hat viel für Drachenputzer, geile Treiber, agile Mobile aufgegeben. Den Rest hat er einfach verpaßt. Für mich ist das nichts. Schlau ist alles, Theo, nie, maßgeblich ist im Gedicht. Bifzi, bafzi; hulalemi. Will mich nicht metamorphonisieren lassen, brauch keine Begatter, die mich per Vers beschälen. Ja, gut, die Breit an der Spitz ist dichter geworden. Glaub, daß jeder jeden fragen kann. Mal verschmiert man's, und mal gerinnen die andern. So ist Lyrik. Aber wenn ich mich an dem Gefühl laben sollt, daß die Gestaltung, die ich hab, irgendwie ausgeputzt wird, hau ich dazwischen. Träum, der nächste ›April‹ stünd ballhart vor dem Tor. Im April geht's über zu munter, was kleinen betörenden Einfluß hat. Daran denk ich aber, und wie, vorm Spiel, das mach ich nie. Du mußt dich mit Schemen besänftigen, wo uninteressant sind: Angstnasenlyrik. April lacht, wann er will. Was läuft wo wann hin? Fliegt dir vom spitzen Knopf der Mut? Synasketisch gebrochen: Man säuft gern in den Mai, Lyrik ist schließlich kein Bravraum, aber das wär wie Kinderzahn und Steinefest, wenn am 30. Mai die Lyrikwelt nicht unterging. Das nächste Gedicht / ist immer das erste. Klar könnt ich jetzt sagen: Da ist das Ding! Aber bloß nicht früh genug irgendwelches Ausfragen à la ›Der Vers ist rund?‹ usw. Das ist nicht ungesund. Tremolotion, Stimmungslag, damit muß keiner arbeiten. Wer weiß, ob's morgen kein Nachspiel gibt. Ortschau und akkuschnelles Tortstudium mit Hintervorkamera drücken mir dort und dort ein Wort aufs Aug. Die Fratze läßt das Schmausen nicht. Wordoholic buht und lacht, Schlag um Tracht. Ich les und spiel, alles andre ist primär. Diese Wortvielbegeistrung hat ja schon fast was Asoziales. (Knapp daneben: auch vorbei.) Montag nehm ich mir vor, im nächsten Gedicht zehn Wörter auszuwechseln. (Hat 15 Minuten gedauert, sieht man ja auch.) Lyrik ist unberechenbar – wie Schach, nur ohne Würfel: Dienstag sind es sieben, Mittwoch acht, Donnerstag vier Wörter, Freitag knapp drei. Samstagnachmittag stell ich fest, daß ich dieselben elf Wörter einsetz wie zuvor. Auch diesen Sonntag werd ich ab 20 Uhr 15 wortschrittlich mit vielen Zielen spielen: Tatortleid, Nahtwortzeit, Abend ballerseits, da sind ein paar Katastrophen hinfällig, transgressives Forechecking mit Dralleffekt: Wir träumen von Reisen durch den Weltball, ja, ist denn der Weltball nicht in uns? Es ist lichtig, 90 Minuten bang mit toller Konföderation zu denken: Nach Lyrik drängt, / An Lyrik hängt / Doch alles. Ach wir Armen! Ja, gut: Nach dem Gedicht / ist vor dem Gedicht, ob auf oder neben dem Gemeinplatz. Ich wag mal ne Prognos: Die schrägste Ballode ist die fairste. Könnt so, so oder so ausgehn, irgendwo dazwischen. Ich empfehl nicht, das Gedicht als Gesprächssonderangebot zu verstehn. Sensualisation ist vergänglich, Metaosmose verfänglich. Und wenn ich nicht umworben bin, dann les ich heut noch, hei: siri suri sei. Mit dem Schlußpfiff geht bloß ein Wort noch ins Abseits, sehr bedächtig, eilends: Ich habe fertig. Der Rest ist SILENCE
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Theo Breuer
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