Christian Lehnert
Für Hans Werner Henze
(Die langen Vormittage in „La Leprara“ vor dem Essen)
Hunger habe ich hier, immer den Hunger.
Ich träume auf der stillen Terrasse
das Brot, das anfangs
blasse Tierchen, das sich auswächst
und quillt und bläselt, nachdem man es gewärmt,
gefüttert hat: Es wird mehr wie der Hunger.
Komm, gehen wir anderswohin, Hunger,
gehen wir in den Garten.
Zu den Steinen.
Sie liegen still an ihrem Ort und tun,
was man von ihnen verlangt.
Gehen wir zu den Büchern.
Sie haben jene, die sie lasen, ernährt
wie gekräuseltes,
gedünstetes Kraut
mit Kartoffeln und zerlassener Butter.
Weißt du wie ein A schmeckt?
Weißt du wie satt ein O macht?
Weißt du, wie man eine fremde Vokabel zerkaut
und durchspeichelt? Komm, Hunger,
kehren wir zu den Worten zurück,
wir müssen noch ein wenig warten.
Christian Lehnert, geboren 1969 in Dresden, lebt in Wittenberg. Er studierte Religionswissenschaft, Evangelische Theologie und Orientalistik. 1998 erhielt er den Dresdner Lyrikpreis. 2008 erschien der Gedichtband Auf Moränen (Suhrkamp 2008). sDas Gedicht ist abgedruckt in der Anthologie: Es gibt eine andere Welt.
17.01.2011