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Andre Rudolph

fluglärm über den palästen unsrer restinnerlichkeit

Es leuchten Buchstaben über der Stadt

Andre Rudolph | fluglärm über den palästen unsrer restinnerlichkeit
Andre Rudolph
fluglärm über den palästen unsrer restinnerlichkeit
Gedichte
luxbooks 2009
wie verstreut aufgepinselt aus dem Restlicht verglühender Sterne, die in eingerosteter Himmels­mechanik gerade noch ein aus­gefranst poröses Bild ausstrahlen: Die lyrische Person im geschundenen Morgen öffnet die Hitzekammer der unbewussten Schichten, die an der kalten Oberfläche aus­glüht. Was bleibt, wenn die letzte Glut zu Asche erkaltet? Viel­leicht nur eine weitere Frage: „hinter / welchen sätzen / brennt noch licht“; viel­leicht nur leere Kapseln im Raum, die einmal „doppelhelixschlangen“ trugen; vielleicht nur Ausstellungs­stücke auf dem laufsteg.

Ausgebrannt vom Traum tröpfelt nur aus­ge­schwemmte Erinnerung. Der Rausch findet seine Ernüchterung; doch die Schattenbilder frästen sich ein. „sie waren kaum an bord, / da brachten sie das boot schon / ins wanken, jene beiden / helläugigen oo s“. Was andernorts im noon Dickinsonscher Dichtung als Schlüsselstelle ihrer Poetik gesehen wird, als „das ontologische Tagundnachtgleiche von Leere und Erfüllung“ (Uda Strätling), als mathematisches Unendlichkeitszeichen ∞ und das ins Endlose geweitete, brennende Jetzt, wird bei Andre Rudolph verspielt zu gefähr­den­den Augen.

Augen sind ein tragendes Element in Rudolphs Lyrik. Ob als Angeblickte, als Spiegel oder in der Grundfunktion als Blickende. Wenn der Motor hinter den Augen aber nur noch langsam die Rollläden hochtuckert, werden auch ihre Momentaufnahmen als maschinelle Wahrnehmung verarbeitet. Erblickt wird ein gottverbrühter, durchtechnisierter und elektrisierter Mensch mit 1000 Volt Fieber. Tage sind nur nach acht Stunden leergesaugte Batterien. Die einst trächtige Natur kann nur noch distanziert Bezüge zu ihren Symbolen herstellen: „die blütenkelche zitieren engel“. Da steht das häufig auftretende Kollektive Wir nur unbeteiligt in der Szene rum und bekommt eine Bügelbildromantik aufs Auge gedrückt wie ein eintättowiertes Stigmata, wie das Buch seine billigen Illustrationen.
hoch oben: die krähen.

ihr lächerlicher zynismus, den

sie selbst (zu unrecht) für ein

zeichen ihres widerstands halten. ihre fade

coolness! die absichtlich ge-

schwärzten passagen ihrer träume.

die naive kapitalismuskritik

dieser landschaft, die mit uns hingeht.

schon am morgen erschöpft vom

bohrenden ragen der bäume, ihr kennt

das gefühl. – »der himmel!«, der sich

immer noch alles abpresst, obwohl

er selbst gar nicht mehr viel hat...

(standardvögel; einige letzte tropfen blau)

Das Gedicht stammt aus dem Kapitel Schmetterlingssäge.doc, das mit 46 Gedichten das Herzstück von fluglärm über den palästen unsrer restinnerlichkeit ausmacht. Zwar zieht Rudolph seine Form nicht radikal streng komplementär durch, vermittelt aber trotzdem eine wohlreflektierte, ruhige Formsprache, die ihm genügend Halt gibt, innerhalb deren zu spielen. Rudolph schüttelt seine Verse raus wie nebenbei gesprochen; als seien sie nur Späne, ein Nebenprodukt, der nie still­stehenden Säge. Trotz der festen Formsprache tritt der Autor eher als Rhapsode auf. Seine Themen sind nur lose miteinander verbunden, und speisen sich aus flüchtigen, unzusammen­hängenden Motiven. Es prasselt aber kein verstreuter Steinregen nieder, sondern das Gesamt­paket Schmetter­lings­säge kommt mit einem unauf­dringlich lakonischen, bisweilen traurig melan­cholischen Ton.

Der in sieben Abschnitte eingeteilte Großzyklus, dessen Gedichte immer wieder mit Vorherigen in Dialog treten, entwickelt seine Themen und Motive selbst weiter, verändert und verwirft sie. Sinn entsteht nicht linear, sondern in einem Netz von Beziehungen. Auch durch eine zusätzliche Funktion, mit denen Rudolph seine Gedichte ausstattet: einen auktorialen Kommentar (in Klammern). Mit Einwürfen, Rufen und Assoziationsfetzen schaltet sich ein Blick von außen ein, öffnet das Gedicht kurz­zeitig, bricht ein, um ihm weitere Facetten zu zeigen. Das ist ein Verfremdungseffekt, der erfrischend belebt, dem Text mehrere polyphone Ebenen gibt, und ihn aus der Selbst­reflexion heraus weiter­entwickelt.

Schreit auf, ihr Kontingenzler, Stringenzler, Kontinui-täter; aber die Stimmen- und Bilderfluktuation und den Hort der Selbstironie, den die Verfremdung birgt, lässt sich Rudolph nicht nehmen. Schreit auch, wenn Ihr unter Humor in Gedichten Infantilismus versteht. Witz gibt es bis hin zum Zynismus in fast jedem Gedicht Rudolphs. Das Absurde im Kapitel minima naturalia ist im besten Fall vergleichbar mit einem Herbert Achternbusch und kann getrost als Trashlyrik bezeichnet werden.

Die Gedichte behalten stets etwas unfertiges, etwas dreckiges, was von der Straße. An manchen Stellen – „wir tasten sie ab. (geil!)“ – wäre es vielleicht angebracht, seine Assoziationen ein bisschen zu zügeln und andere – wenn das innere Kind zum i.kind wird – sind vielleicht doch zu poppig. In den ansonsten stimmigen Debütband will nur das letzte Kapitel Schattenarbeit nicht so recht passen. Die rohe Offenheit der Fragmente, eigentlich Notiz­fetzen in Zettel­kästen, ist aber ohnehin wohl eher als Rausschmeißer gedacht. Der Druck hingegen verflüchtigt sich, zumindest in dem Exemplar des Rezensenten, schon zu Beginn an nicht unerheblich wenigen Stellen. Die technische Qualität des Buches wird der Qualität des Autors bei Weitem nicht gerecht.

Andre Rudolph im poetenladen

Walter Fabian Schmid   14.04.2009   
Walter Fabian
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