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Gerhard FalknerKanne BlummaDei Gschmarre aaf a Budderbrood und de ganzä Wälld wiad sadd Kritik
Die Krise des Individuums ist der Grund für die Einflechtung des Dialekts in die Dichtung. Zumindest wenn es nach Adorno geht. Wie er in seiner Rede über Lyrik und Gesellschaft behauptet, verdankt die Lyrik dem Dialekt eine „kollektive Gewalt“, die zerronnene Subjekte wieder zusammenfließen lässt. So züchtet sich auch der Peter-Huchel-Preisträger von 2009 mit seinen Dialektgedichten eine Sprachchimäre, die in einem Universalgemisch ihres Landstrichs daherbabelt. Dialekt bindet den Leser in einen unmittelbaren Dialog ein und reicht dabei über das bloße Bedeuten hinaus. Für Sprecher tut er das durch seinen originären Gefühlsausdruck und durch abweichende Konnotationen; für Nichtsprecher durch Assoziationsreize oder durch Fehler bei der Entzifferung. Genau die provoziert Falkner mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Er versucht das Hörbare eins zu eins zu verschriftlichen und nimmt durch Falschschreibungen bewusst akustische und semantische Verschiebungen vor. Pittoresk erinnert sich das lyrische Ich in so einer Sprechweise: „A Moll/ Hobby gsunga/ In annärä Dur/ Wäydä abbolo/ Inder Freya nadduhr“, nämlich „Einmal (Einst)/ Hab ich gesungen/ In einer Tour/ Wie ein Apollo/ In der freien Natur“. In seinem Spiel mit der fränkischen Vorliebe für Redundanzen und Tautologien, die ziellos durchs Sprachlabyrinth irren und neue Auswege finden, macht sich Falkner zu einem Karl Valentin Frankens. Sein Sprachexperiment reicht von der Lautpoesie Jandls bis hin zur mathematischen Kombinatorik. Von Du sollsd dir Kain Bld machn, wo „Bld, Bld, Bld“ so lange angereichert wird, bis man sich an der „Bld Dzai Dung“ blöd liest, bis hin zum Titelgedicht Kanne Blumma, in dem die Lautstücke wild durchgeschüttelt und die Reime in allen Formen erwürfelt werden. Vom Kindergaggalagu gelangt der Leser schnell zum ausgewachsenen Dadaismus. Falkner verlangt einen aufmerksamen Leser und einen ebensolchen Hörer. Nicht zuletzt geht es ihm um Höreindrücke – sowohl des fränkischen Trommelrhythmusses, als auch von akustischen Verschiebungen wie bei „Mai schwadds hemmerd“. Was für den Franken „Mein schwarzes Hemd“ ist, klingt für den Nichtfranken selbstredend wie „Mein Schwatz[en] hämmert“. Bei all dem missbraucht der Dichter den Dialekt nicht; er fängt die Eigenheiten eines Landstrichs immer noch liebevoll ein. Und dazu gehört auch der Menschenschlag, der mit dem Fränkischen einhergeht: seine Tendenz zum denunziatorisch Gestischen, das sich mittels der Sprache ausdrückt, sowie seine Selbstherrlichkeit und sein innergeographisches Rangeln. „Gschaide Leid/ gibbdz ieberohl/ Gscheide Broadwärschd/ gibbdz blous in nämberch“. Was man als O-Ton und demonstratives Ausstellen eines Habitus abtun kann, kommt leider öfter als Anbiedern daher. Wo Falkner in seinem Essay Dialekt und dialektisches Spiel in der Mundart als Möglichkeiten des nachmodernen Gedichts meint, es entwickle sich „in der Rückübersetzung […] eine fast an den Minnesang gemahnende Simplizität und Reinheit“, da klopft sich das Gedicht selbstgenügsam auf die Schenkel. Hätte Falkner die Übersetzungen weggelassen, hätte er Nichtfranken öfter mit dem Rätseln am phonetischen Material und mit der Sinnsuche erfreut.
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Walter Fabian Schmid
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