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Marica Bodrožić

Lichtorgeln

Im Licht- und Schattenspiel

Marica Bodrožic | Lichtorgeln
Marica Bodrožić
Lichtorgeln
Gedichte
Otto Müller Verlag 2008
Mit einer schier unbändigen Publikationswut von vier veröffentlichten Büchern innerhalb eines guten Jahres drängt Marica Bodrožić auf den Literaturmarkt. Lichtorgeln ist der zweite Gedichtband der 1973 in Dalmatien geborenen Kroatin. Mit der Deklaration Gedichte beginnen allerdings schon die Unklarheiten. Es sind eher die zur Zeit erfreulicherweise wieder häufiger anzu­tref­fenden Prosaminiaturen denn reine Gedichte.

Im Zentrum des Bandes stehen die Suche nach einer Selbstdefinition und die Aus­einandersetzung mit den eigenen Wurzeln. Wider dem Vergessen steht sie im Erinnerungsladen und sucht die Bilder ihrer Vergangenheit, was nicht nur eine individuelle Verarbeitung beinhaltet, sondern auch die Propaganda-Maschinerie des ehemaligen Jugoslawien: »Man hatte ihnen erzählt, hier, wo auch immer das war, gebe es keinen Sommer, es herrsche Demokratie, jetzt sei der Winter gewählt worden, mit großer Stimmen­mehrheit.« Beeindruckend und berührend zugleich ist die Spannung, die herrscht in dem Versuch, die Muttersprache in die Dichtungssprache, das Deutsche, zu überführen. Immer wieder wird die Sprache, deren Wiedergabe und Rekonstruktion, selber thematisiert.

IN MEINER ERSTEN SPRACHE gibt es Wörter, die nur aus einem Buchstaben bestehen. Sie sehen verloren und schutzbedürftig aus. Manchmal stolpere ich über sie, als seien sie Steine; vor allem dann, wenn es gleich drei Einsame von ihnen auf dem Weg in den Satz gibt. Es ist, als stellte man jemandem aus Heiterkeit ein Bein; dass der Andere dann hinfällt und sich wehtut, ist niemals beabsichtigt.

Solche Texte sind erst im hinteren Teil des Bandes zu finden, wo Bodrožić dazu übergeht, sich kleine versponnene Märchen auszuträumen, die ihre eigene Irrationalität aufweisen. Kein Wunder. Immer wieder geschieht der Rückgriff in die glorifizierte Kindheit: »Kinder waren sie. Kinder bleiben sie zusammen. Kinder, Könige im Wind.« Bodrožić sehnt sich nach Menschen ohne Sorgen und nach Liebe. Probleme gibt es nur, damit sie von der Liebe überwunden werden können. Nicht umsonst beruft sie sich auf das Prosa-Werk Mein Herz von Else Lasker-Schüler. Aber bei weitem fehlt ihr deren Intensität. Bodrožić ist viel zu distanziert, um an Zeilen heran­zukommen wie »Du weißt doch, was ich von der Liebe halte, wäre sie eine Fahne, ich würde sie erobern, oder für sie fallen.«

Lichtorgeln ist ein transeuropäisches Geschichtenlager. Die kleinen Erzählungen nähren sich von eigenen Begegnungen und Begegnungen Dritter, die eine große Bewegung in viele Länder kennzeichnet. Aber jene sind flüchtig und verpuffen allzu schnell. Sicher, eine Rhapsodin ist sie. Das Erzählerische ist ihr näher. Allerdings mangelt es an der Form. Drei verpönte Inquit-Formeln für ein zehnzeiliges »Gedicht« sind einfach zu viel. Manchmal wünschte man sich, sie würde sich an das häufige Motiv des »stoisch guten« Schweigens halten.

»Ich muss die Welt festhalten, auch mit rasch dahingeworfenen Formulierungen«, schrieb sie in BELLA triste 19. Leider ist das auch so. Sie führt unvermittelt neue Bilder ein, die nicht auf das vorherige aufbauen, lässt dies aber auch unaufgelöst. Dies wäre keineswegs verwerflich, würde sie nicht die Textkohärenz bewahren, die den Zusammenhang fordert. Aber: »Die Grammatik verhindert die wahren Gesetze. Um sie zu ersehenen, braucht es der Grammatik.« Richtich. Gar überflüssig, da abgedroschen und luzid, sind manche Topoi, die sie wiedergibt: »DER SINN, dass der Andere ist wie er ist: dass ich bleibe wie ich bin. Jeder Mensch ist// wie er ist// weil das sein Zusammenhang und er ohne Zusammenhang nicht/ ist.« Aber hier werden ausnahmsweise die Querstriche logisch. Ansonsten wird der Sinn hinter diesen, in ihren verschiedensten Ausführungen und Abständen zum vorherigen und nachfolgenden Zeichen, nie schlüssig und sie avancieren zu einem selbstverliebten Spiel ohne Zusammenhang.

Bodrožić gibt sich selber aber auch eine starke Ahnenreihe vor. Frederico García Lorcas Traumwandlerromanze dient ihr als Basis der Erfahrung von Frauenmissbrauch im Kroatien-Krieg, den sie nicht selber miterleben musste, da sie schon 1983 zu ihren Gastarbeiteltern nach Deutschland kam. Immer wieder taucht auch das Bachmannsche »gestundet« auf. Ebenso wie Die gestundete Zeit ist oft Bodrožics Bild ihrer Heimat zu fassen. Gescheitert ist allerdings ihre Einbindung des faszinierenden W.H. Auden, der immer noch viel zu wenig übersetzt wurde, und wenn, dann überholungsbedürftig. Dessen Zeilen werden zu blankem Kitsch verkürzt: »Oh dear love, free us from the fetters of Self.« Schlimmer noch ist, dass sie Edith Cavell, jene britische Krankenschwester, die im ersten Weltkrieg in Belgien Kriegs­gefangene verschiedener Nationen zur Flucht in die Niederlande verhalf und an deren Exekution Gottfried Benn als Zeuge fungierte, schlichtweg falsch zitiert. Aufwühlend, auch für Bodrožić, die immer wieder ein starkes Frauenbild konstruiert, dürfte vor allem Benns Aussage hierzu sein, die seine Ignoranz nicht erst in der anfänglichen NS-Zeit aufblitzen lässt, nämlich »Sie hatte als Mann gehandelt und wurde von uns als Mann bestraft. Sie war aktiv gegen die deutschen Heere vorgegangen, und sie wurde von diesen Heeren zermalmt. Sie war in den Krieg eingetreten, und der Krieg vernichtete sie.« Anno 1915.

Lichtorgeln ist ein Buch wie die Bibel. Wer lange genug darin blättert, kann dann doch ein paar Perlen heben. Hierzu zählen die einmaligen Neologismen wie Weltgehirndunkel, Sternbildhauer, grübchenmilchig oder sonnsorgenlos. Dieser frische Wind wird allerdings aus den Segeln genommen durch den häufigen Imperativ und die Faktizität. Die Aussagen werden oft gar ins Apodiktische geführt und wirken dadurch aufdringlich. Das tut dieser Literatur nicht gut.
Marica Bodrožić, geboren 1973 in Svib, Jugoslawien, heute Kroatien, studierte in Frankfurt a.M. Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik. Für ihr Debüt Tito ist tot erhielt sie 2002 den Heimito-von-Doderer-Preis. Daneben wurde sie 2007 mit dem Literatur-Förderpreis zum Kunstpreis Berlin der Akademie der Künste ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Erzählband Der Windsammler (Suhrkamp 2007).

Walter Fabian Schmid   27.08.2008

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