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Michael Stavarič

Böse Spiele

Eine Waffe sei die schönste und schärfste Braut

Michael Stavarič | Böse Spiele
Michael Stavarič
Böse Spiele
Roman
C.H. Beck 2009
„Die kleinste terroristische Einheit ist die Familie“, meint John von Düffel. Lächerlich, denkt sich Michael Stavarič und hält mit Legio­nen der Geschlechter und mit Heer­scharen von Bindungslosen dagegen. Ein Mann, das Ich, hat eine Liebschaft. Die Lieb­schaft hat einen Mann. Die Lieb­schaft hetzt, der Ich-Erzähler solle ihren Mann ermorden. Aber das Ich ist nur ein kleiner, ohnmächtiger Junge auf Irrwegen durch die Liebe. Gefährliche Liebschaften sind das; ver­nichtende Lieb­schaften sind das: „dass die Frauen gegen die Männer zu Felde ziehen und uns in Grund und Boden treiben mit wuchtigen Schlägen.“

Böse Spiele haben eine Urgewalt wie die Kriege der Antike. Ja, Stavarič baut seinen Roman auf den Sagen der Mythologie auf. Hier geht es nicht um irgendeine lasche Geschlechter­auflösung; hier geht es um fata­listi­sche Vernichtung. Die namenlose Liebschaft ist eine moderne Helena. Die emanzipierte Helena ist aber bei Leibe keine freiwillig Entführte, sondern der aktive Brandherd, der noch ordentlich Öl nachkippt. Am liebsten sähe sie ihren Mann zerfetzt und geschändet wie Hektor. Diese Helena trägt Züge von Penthesilea. Der weibliche Vernichtungsfuror richtet sich nicht nur gegen einen Einzelnen: „Du bist wieder so typisch! Aber jede andere Frau hätte doch gesagt: Das ist wieder so typisch für dich!

Ein Glück, dass der Erzähler noch ein zweites Feuer lodern hat. Die nymphengleiche Geliebte erscheint als heilsbringende Rettung. Während die Beziehung zur einen in der städtischen Öffentlichkeit stattfindet, ist die zur anderen geprägt von ländlicher Innerlichkeit. Das ist der erzählerische Gegensatz der Ilias und der Odyssee auf den Punkt gebracht. In den einzelnen Erzählepisoden nimmt „die andere“ diverse Identitäten der schützenden Frauengestalten aus der Odyssee an. Ist sie eine Zuflucht? Ein Ausweg? Von wegen. Sie stärkt den Erzähler und zieht mit in den Krieg. Im Krieg lässt Stavarič alle verstreuten Erzählfäden zusammenlaufen. Dieser Krieg ist der Krieg der Kriege. Der Kampf der Geschlechter fällt mit der Wucht des Trojanische Kriegs zusammen.

Dabei kommt der Mythos in Böse Spiele ganz unschuldig daher. Der Roman ist so gestrickt, dass man ihn auf zwei Ebenen lesen kann. Man liest entweder eine Dreiecksbeziehung, die alles oder nichts fordert, die den Ich-Erzähler auffrisst, und der in seinen Vorstellungen ins illusionistisch-traumartig abgleitet; oder man liest verfremdete mythologische Episoden wie sie als menschliche Triebfedern immer noch ihre Gültigkeit haben, sich in ihrer freien Kombination aber bis zur Selbstvernichtung zuspitzen. Und doch läuft beides zeitgleich: „Dass es erneut ein Leben gab mit zwei Geschwin­dig­keiten, dass man hätte meinen können, vieles sei beim Alten geblieben, zwei Geschwindigkeiten, ähnlich jenen von Männern und Frauen einst“. Indem Stavarič kaum Zeitangaben verwendet, kann er frei hin und her switchen in den Zeitebenen und die Gewichtung von Sage und Realität jederzeit neu definieren.

Oder ist doch alles nur Einbildung, ein Wahn? Auch das kennt man von Stavarič. Zeigt er uns doch nur eine Shakespeareade? Böse Spiele zeigen einiges; sie zeigen vor allem das Zusammenspiel von Popkultur und Archaik. Schon die Eingangszitate stellen das aus. Der Roman entzündet sich zwischen „Don`t Speak“, einem Song von No Doubt, und einem Zitat aus dem 23. Gesang der Illias [sic!]. Dieser Remix ist der Stavarič-Sound. Auch wenn stellenweise der Mythos zu grob abgemischt ist, und zu sehr der Pathos der Vorlage durchklingt.

Der Stavarič-Sound wird nicht minder getragen durch die Sprache. Im Vergleich zu seinem letzten Roman Magma fällt zwar die Figurenzeichnung schwammiger aus; aber entweder man entscheidet sich für eine außer­ge­wöhnliche Sprache oder für einen brennscharfen Plot. Böse Spiele gibt der Sprache wieder mehr Spielraum. Stavarič beweist, dass man einen Roman nur in Und-, Dass- und Ob-Sätzen schreiben kann, aus denen die Bestimmt­heit Ausreiß genommen hat. Eine klarere Benennung wäre zwar manchmal wünschenswert; aber liefert Böse Spiele gerade dadurch ein klares Abbild der Wirklichkeit. Gerade bei dieser Thematik. Da gibt es keine Kausalität. So ist das Beziehungsleben. Alles ist zerstückelt und aufgeteilt in kleine Episoden, die wenig miteinander zu tun haben. Die Form wird zur Geschichte selbst. Und die Form und die Sprache sind die eindeutigen Stärken des Autors. Das ist Rock`n Roll. Rock ist die Rauheit des Textes; Roll der Sprachfluss. Stavarič erkennt man auf den ersten Satz. Das schaffen nicht viele Autoren. Stavarič ist immer für Überraschungen gut und besitzt absolutes Potential zu einem Kultautor.
Michael Stavarič, geboren 1972 in Brno (CZ), kam 1979 nach Österreich und studierte Bohemistik und Publizistik in Wien. Er schreibt Romane und Kinderbücher. Stavarič wurde ausgezeichnet u.a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur (2007 und 2009), dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis (2008) und Stipendien der Robert Bosch Stiftung (2008) und der Max Kade Foundation (2009). Böse Spiele ist sein vierter Roman.
Walter Fabian Schmid   14.02.2009   
Walter Fabian
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