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Raphael Urweider

Alle deine Namen

Love drugs'n nature

Raphael Urweider | Alle deine Namen
Raphael Urweider
Alle deine Namen
Gedichte von der Liebe und Liederlichkeit
DuMont 2008
Wer bei Liebes- und Naturlyrik automatisch an schwulstige Hymnen und Sonette mit erzwungenen Reimen und hochtrabender Bilderflut denkt, muss seine Meinung bei Raphael Urweider revidieren. Alle deine Namen holt eine derzeit vernachlässigte Thematik der Lyrik zurück in die Moderne. Dabei zeigt Raphael Urweider, dass Liebe und Natur nicht blanke subjektive Phantasterei sein muss.

Nach den Räubergeschichten in Kobold und der Kunstpfeifer (2002) und der Hinwendung zum Tod in Das Gegenteil von Fleisch (2003) kombiniert der 34-jährige schweizer Lyriker – ihm zuliebe besser Dichter, weil ihm Lyriker zu „sphärisch“ klinge – jetzt die Natur wieder mit Liebe. Hierzu teilt der Leonce-und-Lena-Preisträger von 1999 seinen neuen Gedichtband tektonisch in drei Zyklen auf.

In einer stringenten Handlungsführung, die den Inhalt beinahe erzählerisch vermittelt, wird durch den ersten Zyklus 8 Jahreszeiten geleitet. Aus der Natur kristallisiert sich ein Ich heraus, zu dem sich ein Du gesellt, um sich wieder von ihm zu entfernen. Dennoch bleibt die Verbindung über die Natur bestehen. Aus kindlichem Blickwinkel kommt der Natur abtastender Respekt zu, was sich mitunter in sympathische Naivität steigert. Die Naturbilder, die nie aufdringlich auftreten, sind nah dran am Ich und verschmelzen teilweise mit ihm, was annähernd mythisch wirkt.

Das Herzstück des Gedichtbandes ist allerdings Reigen, der die erzählerische Neigung des „Dichters“ fortsetzt. Nur diesmal nicht über den ganzen Zyklus verteilt wie in 8 Jahreszeiten, sondern es werden abgeschlossene Liebesepisoden dargestellt – geordnet nach Frauennamen in alphabetischer Reihenfolge – in der alle erdenklichen Konstellationen zwischen Paaren abgedeckt werden. Reigen stellt viele parallele Realitäten nebeneinander, doch jedes Gedicht hat seine eigene.
Anhand der epischen Momente wird klar, warum Raphael Urweider 2002 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit seinem Gedicht Steine aufgetreten ist – er streicht kurzerhand die Versumbrüche.

Nicht nur die Liebe wird in Reigen in all ihren Facetten dargestellt, sondern Urweider zeigt ein Spiel mit vielen Formvariationen. Einen großen Raum nimmt dabei die Musikalität ein, die sich nicht nur im Rhythmus, sondern sofort bei den Frauennamen wie Viola oder Elodie zeigt. Spätestens hier wird der Sinn hinter dem Untertitel Gedichte von der Liebe und der Liederlichkeit klar – Wortspiele.

Der ganze Zyklus ist ein Spiel mit Namen. Urweider experimentiert mit möglichst vielen Bedeutungsvarianten eines Begriffes, sowohl semantisch als auch phonetisch, wie bei „caecilia [Anm.: = die Blinde] du schließt nur die Augen“ oder „lea schaue ich den mond an“. Zusätzlich spielt er mit der Konnektion der Namen innerhalb des Satzgefüges, wodurch ganz neue Bilder entstehen wie „ich hatte astern in den augen sagst du / iris“.

Ein durchgängig formelles Merkmal Urweiders ist die Zoombewegung in seinen Gedichten. Urweider zoomt die Dinge dicht ans Ich heran und lässt sie sanft wieder los.
wir desdemona kennen uns wir kennen
die schafskälte die hundstage wir kennen
den schnee wir kennen im schnee die sonne
im sommer den regen desdemona wir
kennen die schlafplätze und handgriffe
wir desdemona kennen uns schon länger

Nicht nur in den Wiederholungen und den lautlichen Abwandlungen liegt ein hohes Potential an Musikalität, sondern auch in diesem tänzerisch-rondellartigen. Verse wie „unser / zelt ist aus worten die uns bedeuten“ lassen sich nur schwer überbieten.

Deswegen fällt der dritte Zyklus Selbstversuch, in dem Urweider versucht, ausgehend von diversen Alkoholika, odenartig sphärische Realitäten zu konstruieren eher schwach aus. Es bleibt bei vorhersehbaren Wortspielen wie „schau dich nicht um rum ohne rast rum“. Ein Mixcocktail aus Herkunft, Bestandteile und dem typischen Verzehr oder gar Klischees der verschiedenen Alkoholika, stellt nicht unbedingt einen Mehrwert dar. Eine erfreuliche Erfrischung bietet da der Whisky, der – in seiner eigentlichen etymologischen Bedeutung „Wasser des Lebens“ – durch seine Schwere kurzerhand zum Trauergetränk wird.
Urweider ist in jedem Fall sein unverwechselbarer hymnischer Rhythmus und seine analytische Präzision zugute zuhalten.

Die Stärken von Alle deine Namen liegen eindeutig in den ersten beiden Zyklen, die jederzeit über den (Selbst)Versuch hinwegtrösten und den Leser mitnehmen auf Entdeckungsreisen, in denen das Ideale und das Reale zu genüge miteinander verschmelzen.

Alle deine Namen schafft es alle Geschmäcker abzudecken – sowohl Analytiker als auch Genussleser. Dafür sprechen einerseits die zahlreich von Urweider geöffneten Interpretations- und Deutungsfächer, andererseits die Musikalität und das sich nie aufgebende Positive.
Raphael Urweider, geboren 1974 in Bern/Schweiz, wo er auch lebt. Neben der Lyrik macht er Theater- und Hip-Hop-Projekte. Für seine bisherige Arbeit wurde er u.a. mit dem Leonce-und-Lena-Preis (1999), dem 3sat-Preis beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb (2002) und dem Clemens Brentano-Förderpreis (2004) ausgezeichnet.

Raphael Urweider bei DuMont  externer Link

Walter Fabian Schmid, geboren 1983 in Regen, lebt in Bamberg.

Walter Fabian Schmid   13.03.2008

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