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Agostinho Neto
Ja in jedem Gedicht Ich möchte ein Gedicht schreiben. Ein Gedicht, in sich verschlossen, das nur die Vögel verstehen, die dort draußen zwitschern in den drei Bäumen meiner einzigen Landschaft; das der Gesang des Saftes versteht, der im Grün der Gräser am schroffen Weg des Abhangs fließt, und der Sonnenschein und die aufrechte Natur der Menschen. Ein Gedicht, nicht aus Buchstaben, sondern aus lebendigem Blut in den pulsierenden Arterien eines mathematischen Universums und aus funkelnden Sternen für stille Nächte in regnerischen, kalten Wintern und aus Feuer, Zuflucht der Gazellen, die scheu weiden auf den traulichen Feldern des unermesslichen Lebens; Zuneigung für Herzen voller Hass Triebkraft, die das Unmögliche in die Wirklichkeit der Stunden zwingt, wohlklingender Gesang für die Schönheit der Menschen. Ein Gedicht (Ach! wer nur sah in Afrika ein Fragezeichen mit Madagaskar als seinem Punkt?) Ein Gedicht zur Antwort auf die fragende Kurve des Bildes in gerader Linie der Bejahung und auf die Schönheit der Urwälder die Präzision des Räderwerks der Existenz, den phantastischen Klang des Donners auf Steinen, die Kataklysmen der Flüsse, schwebend über den fragilen Einbäumen des Zaire-Flusses die beklommene Trübung der Seelen des Zwielichts, die helle Morgenröte der Augen der Menschen. Ein Gedicht, entworfen auf Stahl, geschrieben mit den Blumen der Erde und mit den Armen, erhoben aus dem Moder; gemeißelt aus Liebe verströmt es die Hoffnung jenes meines Freundes, dessen Schurz zu dieser Stunde durchnässt der Schweiß seines Kreuzes, mit den zärtlichen Gesängen der Quissanjes im Schein des Mondes; und dem unbefangenen Lachen für meine Geliebte; mit der freundlichen Wärme der blutüberströmten Gestalt der Menschen. Ein Gedicht, verschlossen, lang und unbegreiflich, in dem Liebe und Hass sich verflechten zu der Einheit des Uneinen zu singen in allen Sprachen getragen vom Klang der Marimba und des Klaviers Trommelrhythmus, der sich in den Walzern der anderen Jugend hineinschmuggelt; Harmonie der Trancen auf dem barbarischen Hämmern der Schreibmaschinen, quälender Schrei in der Leere und das Streben der Menschen. Doch ich werde das Gedicht nicht schreiben. In welchen unterirdischen Regionen mag sie wehen, die abgestandene Luft der Gewalt? In den Höhlen deiner Lungen, Lude aus schmierigen Gassen des Konformismus? Oder in der Gier der endlosen Gedärme der Schakale? In den verhurten Höhlen des infamen Herzens der Sklaverei? Oder in den Schlünden dumpfer Verlogenheit? Ich werde das Gedicht nicht schreiben. Briefe werde ich schreiben an meine Geliebte, in Formularen leere Felder füllen mit makelloser Schrift und in den Pausen afro-brasilianische Lieder singen. Träumen werde ich. Träumen von den Augen der Liebe, rot in deinen Händen, wunderbar, sanft und zärtlich. Träumen von den Tagen, die du meintest, Frühlingstagen. Träumen werde ich von dir. Und trinken mit Lust die Tropfen von Tau im Gras liegend neben dir in der Sonne, – ein wütender Strand in der Ferne. Und in mir wird die Bitternis bleiben, das Gedicht nicht zu schreiben. Es gibt so viel Bitteres! Ich werde das Gedicht nicht schreiben. Ich werde nur sagen gewiss ist die Menschlichkeit des Universums, ein Koloss, unauslöschlich wie das Funkeln der Sterne wie die Liebe deiner Augen wie die robuste Harmonie der Arme wie die Hoffnung in den Herzen der Menschen. Unauslöschlich wie die sinnliche Schönheit der Behändigkeit der Raubtiere auf dem Land und der Terror der Abgründe. Nur ja werde ich sagen! Immerfort ja zur Lauterkeit der Menschen zur jugendlichen Kraft der Symphonie der Bäume zum unvergesslichen Duft der Natur der auslöscht, was vielleicht bitter riecht. Ja! zur magischen Frage von Talamungongo, Cunene oder Maiombe, zum sonoren Gesang der unterirdischen Rhythmen und zu den tellurischen Rufen; zu den Trommeln, die Frieden verlangen für den Hauch von Atavismus der dort drüben verblasst, zum fragenden Punkt Madagaskar. Ja! zu den mystischen Bitten an die Muskulatur der Gliedmaßen zur Hitze der göttlich verehrten Feuer im Holz der Sanzalas, zum herrlichen Aufblühen der Antlitze der Marktfrauen gemeißelt in fröhliches Leiden und dem fiebrigen Rhythmus der tropischen Empfindungen; zur Identität mit der Philosophie des Affenbrotbaums oder mit den Bedingungen des Daseins der Menschen, dort, wo das hohe Gras sie in Wirrnis erstickt. Ja! Zu Afrika-Heimat, zu Afrika-Menschlichkeit. Ich werde ja sagen in jedem Gedicht. Und hoffen wir, dass der Regen versiegt und nicht länger die zwitschernden Vögel durchnässt auf den drei Bäumen meiner einzigen Landschaft und den Wunsch, ein Gedicht zu schreiben. Das vergeht. In „CULTURA“, Sociedade Cultural de Angola, Nr. 8, Luanda – 1959 01.02.2012 |
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