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Tazuary Nkeita
  Pitangas – Literatur aus Angola


Das letzte Geheimnis
Kapitel 8
21. Die schwarze Kiste I


Das Check-in sollte zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr, das Boarding um fünf Uhr dreißig am darauffolgenden Tag stattfinden.
20:33: Überzeugt, das Einchecken würde leicht von statten gehen, komme ich am Flughafen an, doch die Schlange ist immens lang. Es werden mindestens drei Flüge für den nächsten Tag abgefertigt.
20:35: Ich komme gerade mal einen Schritt in der Schlange voran.
20:40: Ich rücke einen weiteren Schritt vor, den zweiten.
20:45: Die Schlange bleibt zwanzig Minuten lang stehen.
21:05: Ich tue einen weiteren Schritt.
21:15: Ich tue meinen vierten, sehr kleinen Schritt in 42 Minuten.
22:00: Die Schlange ist gänzlich zum Stillstand gekommen. Es herrschen Chaos und totale Anarchie, sowohl entlang der Sicherheitsleine als auch an dem Posten, von dem aus die Passagiere zu den verschiedenen Schaltern des Check-Ins gelotst werden. Etliche Menschen und Koffer stehen außerhalb der Reihe. Manche Leute missachten die Schlange und dringen über die Sicherheitsleine in den abgetrennten Bereich. Etliche Leute in Uniform mit Umschlägen in der Hand rennen hin und her.
22:10: Das Chaos ist komplett. Der Glaube, dass es sich um eine Schalterhalle der zivilen Luftfahrt handelt, fällt schwer. Bei dem Geschrei und den Protesten allenthalben fühle ich mich, ehrlich gesagt, eher wie auf einem Markt oder bei einer Fischversteigerung.
22:11: Hinter mir fallen Bemerkungen.
22:12: Das sind doch die Angestellten der (...) selbst, die dieses Durcheinander anzetteln, um daraus Geld zu schlagen, sagt ein Passagier vorwurfsvoll.
22:13: Wozu soll ich Schmiergeld hinlegen, wenn ich doch schon mein Ticket bezahlt habe? Das muss aufhören!
22:14: Sie organisieren das hier nicht besser, weil sie nicht wollen. So ziehen sie größeren Nutzen daraus, und das wissen sie, bemerkt ein anderer.
22:15: Auf diese Weise kommt das Land nicht voran!, sagt nun wieder der erste.
22:16: Warum führen sie kein System ein, bei dem man eine Nummer zieht und der Reihe des Eintreffens nach bedient wird? Die wollen hier nichts organisieren, resümiert ein junger Mann.
22:17: Seit meiner Ankunft um kurz nach halb neun habe ich, wenn es hochkommt, acht Schritte und damit noch nicht einmal ein Drittel der Distanz bis zu dem Posten zurückgelegt, von dem aus man zum richtigen Schalter geschickt wird.
22:18: Einer der vor mir stehenden Fluggäste schert aus der Schlange aus und will sein Glück ebenfalls im Chaos suchen.
22:19: Zwei andere tun es ihm nach.
22:22: Ein Mann mit dem Schild einer Fluggesellschaft auf der Brust begibt sich zu einer Dame in der Schlange und geht mit ihr samt Koffern nach vorne in den Bereich, wo das Chaos herrscht. Vermutlich wird er seinen Status geltend machen und sich vordrängeln.
22:21: Zwei uniformierte Beamte der Sicherheitspolizei sitzen seelenruhig am Eingang der Halle. Sicher haben sie Anweisung, sich in solchen Fällen herauszuhalten. Hierfür sind die Aufsicht oder das Wachpersonal der Fluggesellschaft zuständig.
22:22: Ich stelle fest, dass ich zu spät zu meiner Verabredung um zweiundzwanzig Uhr komme und sage demjenigen, der auf mich wartet, Bescheid: „Hör mal, ich bin immer noch auf dem Flughafen. Ich rufe dich an, wenn ich hier fertig bin!“
22:30: Zwei geschlagene Stunden warte ich nun schon. Es ist unerträglich, aber ich versuche durchzuhalten.
22:31: Ich atme tief durch und beschließe, mit dem Wachmann der Fluggesellschaft zu reden, auf dessen Schultern die schwierige Aufgabe lastet, dieses Chaos in Reinformat zu managen. Er tut mir zwar leid, aber ich halte trotzdem nicht an mich und rede von den Leuten, die sich vorgedrängelt haben, von dem Durcheinander, den auf der linken wie auf der rechten Seite allenthalben herumstehenden Koffern und Taschen. Er ist allein und kann wenig ausrichten, das sehe ich. Nur wenige Leute gehorchen ihm.
22:32: Ich gehe auf einen anderen Mann in Uniform zu, der die Weste einer Fluggesellschaft trägt und protestiere: „Warum organisieren Sie das nicht besser? Ich bin seit halb neun hier, aber die Schlange bewegt sich nicht!“
22:33: „Aha. Seit halb neun heute früh?!“ Der Mann hat mich durchaus richtig verstanden, aber er versucht, Verwirrung zu stiften.
22:34: Eine der neben mir stehenden Damen stellt die Sache richtig: „Der Herr meint seit zwanzig Uhr dreißig!“
22:35: Der Mann zuckt nur mit den Schultern, und ich muss an die Bemerkungen von vorhin denken: Sie organisieren das hier nicht besser, weil sie nicht wollen. Sie wissen, wie sie Nutzen aus dem Chaos ziehen. So kommt das Land nicht voran!“
22:36: Ich versuche es bei einem anderen, um der Missachtung der Reihenfolge bei der Bedienung der Ankömmlinge Einhalt zu gebieten, doch die Antwort ist entmutigend: „Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, wir tun alles, um die Schlange zu beachten“, erklärt er mir mit einem Gesicht, das ernster nicht sein könnte.
22:37: Ich rede und rede und rede ohne Unterlass.
22:38: „Ärgern Sie sich nicht“, sagt eine andere Dame zu mir, eine Ärztin, die im Rahmen des Aidsbekämpfungsprogramms im Süden des Landes unterwegs ist.
22:40: Ich protestiere weiter. „Das geht jetzt schon seit 35 Jahren so. Viel zu lange“, sage ich jetzt zu einem weiteren Menschen in Uniform, auf dessen Dienstweste sich hinten ein Kürzel befindet.
22:41: „Dafür bin ich nicht zuständig. Das ist die Fluggesellschaft“, verscheucht er mich. Das Spielchen, die Verantwortung von sich zu weisen und die Hände wie Pontius Pilatus in Unschuld zu waschen, überrascht in einem solchen Moment dann doch. Keiner hat etwas gesehen. Angeblich ist alles in Ordnung.
22:42: „Regen Sie sich nicht auf!“, ermahnt mich die Ärztin noch einmal. „Das schadet nur Ihrer Gesundheit.“
22:49: Endlich kommt eine der Bediensteten hinter dem Schalter hervor und versucht, Ordnung in die Sache zu bringen: „Reisende mit Gepäck bitte in diese Schlange hier, Reisende ohne Gepäck in die Schlange dort.“
23:05: Das Geschrei hat aufgehört, das Chaos hat sich einigermaßen gelichtet, und in dem abgegrenzten Bereich herrscht jetzt mehr Ordnung. In Fünfergruppen stehen die Reisenden hintereinander vor den vier zum Einchecken geöffneten Schaltern.
23:10: Einige Fluggäste, die sich dem Gemeinsinn offenbar nicht verpflichtet fühlen, schieben Pakete unter der Sicherheitsleine hindurch, aber das ist noch das geringste Übel. Der Wachmann hat nach wie vor weder Augen noch Hände, um all das zu bemerken oder zu verhindern.
00:05: Endlich bin ich an der Reihe. Ich stehe am Check-In-Schalter direkt vor der Dame, die die Ordnung wiederhergestellt hat. „Der Skandal, den wir heute miterlebt haben, hätte vom Fernsehen gefilmt und in die Zeitung gebracht werden müssen. Nicht mal auf dem Fischmarkt vom Roque Santeiro würde man uns so behandeln. Haben Sie kein Beschwerdebuch?“ frage ich.
00:06: „Nein, aber Sie können ein Beschwerdeschreiben an die Fluggesellschaft schicken.“
00:07: „Das werde ich nach meiner Rückkehr auch tun“, gelobe ich.
00:20: Ich habe praktisch fünf Stunden beim Einchecken verloren. Ein Skandal! Aber ich habe es geschafft, bin fertig und darf den Flughafen verlassen und um fünf Uhr dreißig das Flugzeug besteigen. Als ich abermals an einem der Wachmänner vorbeigehe, fragt er mich: „Sie wollen sich wirklich über uns beschweren?“

Aus dem Portu­giesischen übersetzt von Barbara Mesquita
Original aus: Tazuary Nkeita: El último segredo. A caixa negra

    01.08.2012



 
 

    Tazuary Nkeita
       Einleitung
    
Ineke Phaf-Rheinberger
  01   Agostinho Neto
     Sim em qualquer poema
     Ja in jedem Gedicht
  02   Zetho Cunha Gonçalves
     O inferno e a morte ...
     In der Hand von Hölle und Tod
  03   Sónia Gomes
     A Filha do General
     Die Tochter des Generals
  04   José Luís Mendonça
     O resto é poesia
     Der Rest ist Poesie
      António Gonçalves
     Adobe Vermelho da Terra
     Roter Lehm der Erde
  05   Tazuary Nkeita
     O último segredo
     Das letzte Geheimnis
  06   Carmo Neto
     Ah! Jeremias
     Ach! Jeremias
  07   Décio B. Mateus
     O Candongueiro
     Der Candongueiro
  08   Amélia Dalomba
     Espigas do Sahel
     Ähren des Sahel
  09   Roderick Nehone
     O Catador de Bufunfa
     Hinter der Kohle her
       Fortsetzung
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