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Amélia Dalomba
Ähren des Sahel Ähren Ähren sprießen im Sahel Pioniere der Freiheit laufen unbekümmert durch den dornenschweren Wald Menschen Menschen kreuzen meinen Weg dringen langsam und bedächtig wie Termiten in den Verhörraum ich entdecke den Nachgeschmack des Verrats Lieber sind mir die Hyänen und die Wölfe die beständig heulen jeder weiß woher und wo sie sind Tief im Gehölz selbst wenn es still ist bebildern sie meine Gedanken Selbst wenn ich die Zähne zusammenbeiße und sage, dass ich nicht denke Gibt es Leute, die behaupten: Sie lügt. Ich rede nicht ich denke nicht. Oh Menschen des Landes, wie oft reicht ihr Palmwein und habt ihn doch nicht gekostet. Aus: Espigas do Sahel. Luanda: Kilombelombe, 2003, S. 55-56. Liebe in einem offenen Brief In Erinnerung an Fernando Pessoa Mein Geliebter, in einem offenen Brief möchte ich Dir sagen: Aus Dir sah ich den Frieden erblühen! Bäume wuchsen auf den Brachen meiner Einsamkeiten, in denen Vögel zwitschern und der Wüste die Sonne und den Regen verkünden. Deine Ankunft brachte das Projekt für ein Haus mit zwei Zimmern, vollgestopft mit Büchern, einem schattenreichen Obstgarten und unseren allfarbigen Enkeln, die sich an unseren Stöcken und Korbstühlen hochziehen und in feuchten Windeln weinend sich wiegen. Von Dir habe ich die Liebe empfangen, die zu wahrhaftig war, um sich durch die Nähe des Schmerzes zu verbrauchen. Als heute der Himmel auf mich niederstürzte, begriff ich im Regen Deiner Tränen die Unvollkommenheit meiner Seele! Und das, was mich dazu gebracht hat, unseren Weg zu verkennen. Ich sehe, dass der Abgrund sich auftun kann, wo man es am wenigsten erwartet, denk bloß, sogar dort, wo die Hingabe uns fähig schien, alle Klüfte zu überwinden und der Finsternis die Stirn zu bieten. Wie grausam! Nun, vielleicht bringt der Aufschub unseres Wiedersehens und unserer Herzen uns mehr Reife, das Leben mit der Heiterkeit der einfachen Dinge anzunehmen: Das allein! Aus: Aos teus pés, quanto baloiça o vento. São Paulo: Zian Editora, 2006, S. 45. Nsinga – Das Meer, im Zeichen des Schnurs I Er kam alle zwei Jahre, weiß gekleidet wie ein Prinz aus den vielen Büchern und Heften, die er mitbrachte. Letztere konnte Mama besonders gut gebrauchen, um Erdnüsse und Micates, frittierte süße Maniokküchlein, in die Blätter einzuwickeln, die sie stets aus der Mitte herausriss, damit „das Heft nicht weinen muss“, wie sie sagte. Ich liebte es, den Onkel ankommen zu sehen! Von der gesamten Kinderschar umringt, halfen ihm die Erwachsenen, sein Gepäck zu tragen. Es war ein Fest. Das Haus füllte sich mit Seeleuten, die von Hafen zu Hafen fuhren, Geschichten erzählten und Geschenke verteilten. Für mich war der schönste Moment, wenn der Onkel meinen Vater mit ernstem Gesicht fragte: „Wie kommen die Kinder in der Schule zurecht, Mano?“ und uns dabei zärtlich anschaute, als gelte seine Mühsal allein uns. Er schickte stets Geld, damit wir zur Schule gehen konnten. Wir gehörten zu den wenigen Kindern in unserem ärmlichen Viertel, die nicht vom Schulgeld befreit waren und Schuhe trugen. Der Onkel sorgte dafür, dass es uns an nichts fehlte. Wir waren sieben Mädchen und zwei Jungen. Ich weiß nicht, warum er keine Kinder hatte, aber die Erwachsenen erzählten, er habe in Brasilien geheiratet, eine schöne Frau mit so schwarzem und so langem Haar, dass ihre Zöpfe wie zwei lange, blumenbesetzte Lianen zu beiden Seiten ihres Gesichts herunterbaumelten. Ich habe sogar von ihr geträumt, aber in meinen Träumen hatte sie immer einen Fischschwanz wie eine Seejungfrau, deshalb habe ich nie jemandem davon erzählt. Wie konnte es schließlich angehen, dass die Frau von unserem Onkel auf geheimnisvolle Weise in den salzigen Fluten auf der anderen Seite des Viertels lebte, in dem wir wohnten? II Wir lebten zwischen Fluss und Meer. Mutter hatte uns verboten, im Salzwasser am Strand zu baden, es sei zu gefährlich für kleine Kinder. Futi aber liebte dieses Wasser so sehr, dass sie, wenn der Geruch des Meeres durch die Jalousien unseres schönen Holzhauses am Rand der großen Straße drang, auf der die mit Baumstämmen beladenen Lastwagen vorbeifuhren, einen Seufzer ausstieß: „Lando, eines Tages werde ich doch im Meer baden.“ Wir beide, sie und ich, wussten, dass sie, wenn es nach unseren Eltern ging, genau das niemals tun dürfte, ehe sie nicht alt genug für den Tchikumbi wäre, das Farbenhaus, in dem die Initiation stattfinden würde. Ich warnte sie: „Wenn du das noch einmal sagst, erzähle ich es Mama weiter.“ Mit einem seltsamen Lächeln maulte sie dann stets: „Du alte Petze, ich habe doch nur Spaß gemacht.“ Es war mindestens ein Jahr seit dem letzten Besuch des Onkels vergangen, und unser Leben war wieder das langweilige Einerlei wie eh und je, als plötzlich schrille Stimmen zu hören waren: „Hilfe, Hilfe, Futi ist ertrunken!“ Ihre vom Strand noch sandbedeckten, in nassen Schulkitteln steckenden Schulkameradinnen brachten uns die Habseligkeiten meiner geliebten Schwester, die erst sieben Jahre alt war: ihren Schulranzen, den Kittel und ein Paar braune, sehr abgetragene Sandalen, in denen sich deutlich die Abdrücke ihrer Zehen abzeichneten. Aus: Nsinga – o mar, no signo do laço. Luanda: Mayamba Editora, 2011, S. 8-14. 13.02.2013 |
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