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Alexej KrutschonychPhonetik des TheatersEndlich Ein persönlicher Bericht angesichts der Ein persönlicher Bericht
Der ganze Futurismus wäre ein unnötiges Unternehmen, Angefangen hatte alles natürlich mit Majakowski und seinen Textkaskaden. Tok, tok, tok. Gelbes Hemd las ich, kahlrasierter Schädel. Dröhnende Stimme. Zugänglich zunächst in den Übersetzungen von Hugo Huppert, denn unser Schulrussisch verschloss sich der Poesie. Die zwei drei russischen Gedichte die ich in den überlangen Jahren der Schulpflicht zu lernen hatte, waren eher politische Slogans, der Wirkung halber gereimt. Der Feindschaft Steg / steht uns im Weg, hieß es da. Kein Majakowski und auch kein anderer Futurist. Chlebnikow oder Krutschonych schon gar nicht. Später, also heute mehr oder weniger, sollte es sich als Vorteil herausstellen, wenigstens die kyrillische Schrift entziffern zu können. Es ist ein herrliches Gefühl, sa-umnische Texte wie das „Gedröhn des Kaukasus“ im Original lesen zu können. Allerdings muss man auch sagen, dass der Weg Scherstjanois, sie in Lautschrift zu übersetzen, auch einiges für sich hat und dem Leser, der in der Schule nicht mit kyrillischen Schriftzeichen gequält wurde, einen Weg in die Texte öffnet. Zunächst jedoch befinden wir uns noch in einem verschriftlichen Zeitalter. Und so war es eben Majakowski, der mir auf gewisse Weise präsent war, vor allem, weil Eisler einige Huppertsche Übersetzungen vertont hatte, und ich im Plattenschrank meines Magdeburger Lieblingsonkels Aufnahmen fand, auf denen Ernst Busch sie vortrug. Sang der Gesänge heb dich zur Sonne. Mich beeindruckte der Majakowskische Pathos, diese Begrüßung des Kommunismus als Rettung. Wenn man sich umsah, in der DDR hatte man auch das Gefühl, dass Rettung hier unbedingt nottut. So kam ich auf den Gedanken, natürlich ganz privat und ganz heimlich, einen Neofuturismus Majakowskischer Prägung auszurufen. Das war am Anfang der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre, und Gorbatschow hatte schon angefangen, ein neues und vielleicht besseres Lied zu singen. Gesellschaftliche Umbrüche deuteten sich an. Zunächst in Polen, und auch in der Sowjetunion, im Osten Deutschlands schienen wir noch weit davon entfernt. Aber wie ein Grollen aus weiter Ferne drangen Namen über die Grenzen, die etwas mit Majakowski, die etwas mit Futurismus zu tun haben könnten. Und Majakowski selbst war ja schon ein schräger Vogel gewesen, dachte ich, was würde da noch alles auf uns zukommen, wenn wir auch Chlebnikow und Krutschonych habhaft würden. Aber zunächst geisterte der russische Futurismus immer noch als Gespenst durch meinen Kopf. Bei einem studentischen Ernteeinsatz im September 1987 sollte ich die werktätigen Bäuerinnen und Bauern einer mecklenburger Produktionsgenossenschaft beim Kampf um die Kartoffel unterstützen. Ernteschlacht. Eine Riesenhalle und Förderbänder mit denen Kartoffeln transportiert wurden. Von den Bändern rieselte der Dreck, den ich mit einer Schaufel und einem Straßenbesen zu beseitigen hatte. Jetzt, dachte ich, jetzt schlägt die Stunde des Neofuturismus, nirgendwo sonst als hier in dieser Kartoffelhalle. „Die Maschinen singen“, sang ich in den Maschinenkrach hinein. „Die Maschinen singen“. Mehr brachte ich nicht zustande, und mein Neofuturismus fand sein frühes Ende. Was blieb, waren die Namen der Futuristen, Brik war irgendwann hinzugekommen, denn ich hatte Majakowskis Poem „Darüber“ gelesen. Heute denke ich, dass durch die Einschränkungen in der DDR, die sich nicht nur auf die mangelnde Versorgung mit Südfrüchten auswirkte, auch die Sprache in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich musste sie gewissermaßen neu lernen, und dazu brauchte ich Lesefutter, das sprachlich über die deutsche klassische Moderne hinausging, und ich beneidete die Russen, die ihre Archive öffneten und sich ihren Futurismus sukzessive zugänglich machten. In der DDR sollte es noch eine Weile dauern. Und in den wirren der sogenannten Wende verlor ich auch meinen eigenen Futurismus ein wenig aus den Augen. 1991 erschien im Aufbauverlag ein Buch, das mir meine gespenstischen Helden mit einem Schlag wieder nahe brachte. „Gesichter der Avantgarde“ hieß die von Fritz Mierau herausgegebene Sammlung mit Portraits, Essays und Briefen von Sergej Tretjakow, und darin fanden sich eben auch Portraits von Krutschonych und Chlebnikow, die mich, der ich auf Sprachsuche war, in ihren Bann zogen. „Im riesigen Wortwalzwerk der Gegenwartsdichtung muss es eine Gießerei geben, in der der ganze Wortbruch und -schrott geschmolzen und Chemisch analysiert wird, um, durch die verschiedenen Abteilungen gegangen, als glänzender Stahl zu funkeln, scharf und elastisch. Schmelzhütte des Worts zu sein, ist die Funktion Krutschonychs und der Gruppe seiner Sa'umer.“ hieß es da, und entfachte von neuem meine suche nach den Gespenstern. Eine Einzelpublikation mit Texten Krutschonychs fand ich noch nicht, aber eine zweibändige Ausgabe mit den Werken Chlebnikows, die Peter Urban bei Rowohlt besorgt hatte. Das war schon mal ein Anfang. Und es sollte lange ein Anfang bleiben. Zwanzig Jahre lang, man wagt es gar nicht auszusprechen. Im letzten Jahr dann erschien im jungen aber jetzt schon verdienstvollen Verlag Reinecke & Voß Krutschonychs „Phonetik des Theaters“. Valeri Scherstjanoi, der unverwüstlich Lautpoet hat sie besorgt und ausgestattet. Das kam für mich einer Befreiung gleich. Endlich hatte das Gespenst einen Körper bekommen. Dieses Buch gibt nun, zwar keinen erschöpfenden, aber einen instruktiven Einblick in das Wortwalzwerk des Sa'um. Und das Buch hat etwas erfrischend Zeitgemäßes, weil es nicht nur an der Dichtung, sondern auch an der Inszenierung der Dichtung arbeitet. Weil es eine Einheit aus Klang, Geste, Gebärde, Bewegung vorstellt, die dieses Kunstwerk ist, das wir eher vorläufig Gedicht nennen, denn: „Die Aufgabe der sa-umnischen Sprache ist: Eine für die gegebene Sprache ungewöhnliche Lautreihe zu erspüren, das Ohr und den Hals, die den Laut aufnehmenden und reproduzierenden Organe des Hörens und des Sprechens zu erfrischen.“ (Krutschonych in: Woher und wie kamen die Sa-umniki? Phonetik des Theaters. S.64)
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Jan Kuhlbrodt
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