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Jürgen Buchmann

Lüneburger Trilogie

Buchmanns Babel

Kritik
  Jürgen Buchmann
Lüneburger Trilogie
Freiraum Verlag Greifswald 2013
Euro 10,- | 96 Seiten


Jürgen Buchmann ist ein Phänomen, ich möchte fast sagen, eine Speerspitze der Romanischen Sprachen und vielleicht des Roman­ischen Sprechens und Denkens im deutschen Gelände, wenn dieser eher belli­zistische Ausdruck nicht an der Art vorbei zielte, wie Buchmann Sprache zelebriert und feiert.
  Man kann sich diesem Autor mittlerweile Dank der Verlage Frei­raum aus Greifs­wald und Rei­necke & Voss aus Leipzig auf ver­schiedene Art nähren; entweder greift man zu seinen Über­setzungen (aus dem Franzö­sischen, dem Italie­nischen oder dem Ka­tala­nischen zum Beispiel) oder eben zu seinen traum­haft schönen eigenen Texten. Und egal wofür man sich entscheidet, denke ich, wird deutlich, wie das, was Benjamin in seinem Text Die Aufgabe des Über­setzers als Gespräch zwischen den Sprachen ein­fordert, eine Wir­kung entfaltet, weit über ein momen­tanes Über­setzungs­projekt hinaus. Es entsteht, ohne das explizit aufs poli­tisch Utopische abge­zielt würde, die Vision eines welt­weiten Babel, in dem die Vielsprachigkeit keine Last, sondern einen Reichtum darstellt, und zumindest in der Lek­türe für mich eine Quelle der Leselust.

Nun legte also im Januar 2013 der Greifswalder Verlag Freiraum mit der Lüne­burger Trilogie ein weiteres Buch mit Texten Buchmanns vor. Wie schon die anderen Bücher des Autors keine dicke Schwarte sondern eine kleine Publikation von knapp ein­hundert Seiten. Sie enthält die Teile Ein­schif­fung nach Cythera, Phantastische Topografie der Hanse­stadt Lüneburg und Logbuch vom Meer der Finsternis.
  Die Anordnung der Texte, die inhaltlich keinem so genann­ten Roten Faden folgen, die narrativ also nicht miteinander verwoben sind, scheint formale Gründe zu haben. Man kann das Buch als eine Art Medi­tation über Prosa und Prosa­gedicht lesen und viel­leicht eben als ein­sickern eines franzö­si­schen Gedan­kens in einen deut­schen Text. Während im ersten Text die Sprache im Gestus noch zwischen lyrischer Beschrei­bung und Hand­lungs­prosa chan­giert und die ent­sprechenden Passagen auch voneinander ab­gesetzt sind, werden sie im Fortgang des Buches immer weiter enggeführt, bis so etwas wie ein gera­dezu barockes Sprach­muster entsteht, das auch ein Sinnmuster ist.
  Diese Vorstellung breitetet sich wahrschein­lich auch deshalb in mir aus, weil ich kurze Zeit vorher Buch­manns Über­setzung von Bertrands Gaspard de la Nuit gele­sen habe. Eine Sammlung von Prosa­gedich­ten aus dem Frankreich des neun­zehnten Jahr­hunderts, die man als Initial zur franzö­sischen Moderne bezeich­nen könnte, die unter­gründig wirkte und formal auch schon Struk­turen der Post­moderne vorweg nahm.
  Ähnlich wie Bertrand in seinem Text Dijon beschreibt, stellt uns Buchmann im zweiten, der mitt­leren Tafel des Tripty­chons, in Lüne­burg ein Stadt vor, die dem Raum und der Zeit ent­hoben ist, in der Geschichte sich aber sedi­men­tiert hat und als sirrender Nach­hall in den Mauern und Gebäuden zum Klingen kommt.
  Und zitternd verzeichneten die Turmspitzen der Kathedralen in den Wolken die Beben in der Tiefe, die Aus­laugung der Anhydris und den Einbruch der Höhlen vierzig Meter unter der Stadt.
  Dabei wirkt der Text an keiner Stelle wie ein senti­mentaler Rück­griff auf ver­gangene Formen, son­dern in seiner Ver­spielt­heit als zeit­gemäßer litera­ri­scher Aus­druck. Geschichte ist hier Gegen­wart, auch die Literatur­geschichte.
  Im Logbuch der Finster­nis letzt­lich findet die Entgren­zung einen Höhepunkt, der formal wahr­schein­lich nicht zu über­schreiten ist:
  Die Dinge wirkten nicht länger wie getrennte eigen­ständige Körper, sondern wie Muster auf einer ein­heit­lichen Ober­fläche, auf der sie sich wie durch feinste, elek­tro­sta­tische Ladungen in einem span­nungs­vollen Gleich­gewicht der An­ziehung und Ab­stoßung verteilten.

 

Jan Kuhlbrodt    13.04.2013   

 

 
Jan Kuhlbrodt
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