poetenladen    poet    verlag

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Asmus Trautsch

Gespräch mit Jan Kuhlbrodt für den poetenladen
Klingende Silben
  Gespräch        Literatur und Musik

Illustration: Miriam Zedelius
  Gekürzte Online-Version
Vollständiges Gespräch
in poet nr 12

Asmus Trautsch wurde 1976 in Kiel geboren. Er studierte Kompo­sition sowie Philo­sophie und Germanis­tik in Berlin, London und New York. Er schreibt an einer Dis­sertation über tragisches Handeln und organisiert als Mitglied der Berliner Komponisten-Ver­eini­gung Klang­netz Auf­führungen zeit­genös­sischer Musik, Konzert­reisen und Sympo­sien. Er ist Heraus­geber, Lektor und Autor literarischer und philosophischer Texte, Ver­öffent­lichung in Zeit­schriften und Antho­logien. Im Verlagshaus J. Frank erschien 2010 sein Lyrikband Treibbojen.


Jan Kuhlbrodt: Über Musik und Literatur sollen wir sprechen. Rhythmus wäre span­nend. Du arbeitest als Komponist und als Lyriker, als Essayist und beschäf­tigst dich ab und an auch mit philo­sophi­schen Themen.

Asmus Trautsch: Ja. Da ich an meiner Promotion arbeite, ist die Philosophie ohne­hin gerade der Hintergrund von allem.

J. Kuhlbrodt: Worüber promovierst du?

A. Trautsch: Über Tragöde. Es geht um die Frage, wie wir tragische Hand­lungen und tragische Erfah­rungen heute verstehen können. Ich gehe von der antiken Tragödie aus und überlege dann mit Hegel, Nietzsche und ein paar Gegenwärtigen, z.B. Christoph Menke, was uns die Tragödie über existenzielle Bindung sagt. Und über das Risiko, das im Handeln liegt. Unser Gespräch geht offenbar von der Musik gleich wieder weg, aber der Bezug zur Literatur ist da.

J. Kuhlbrodt: Hast du auch Philosophie studiert?

A. Trautsch: Ja.

J. Kuhlbrodt: Wo?

A. Trautsch: In Berlin. Es war ein Doppel­studium, zunächst habe ich mit Kompo­sition an der Univer­sität der Künste in Berlin angefangen, dann ein wenig zeit­versetzt noch Philosophie und Lite­ratur­wissenschaft an der Humboldt-Univer­sität studiert. Und ich war ein Jahr am University College London als Austausch­student. ...

J. Kuhlbrodt: Es gab lange Zeit ein kontinentales Vorurteil, sowohl gegen an­gel­sächsische Musik als auch gegen angel­sächsische Philosophie.

Asmus Trautsch
Treibbojen
Gedichte
Typogramme: Sandra Lubahn
Verlagshaus J. Frank 2010
Zum Verlag  externer Link

A. Trautsch: Ehrlich gesagt war und teil­weise ist dieses Vorurteil gegenseitig, in Bezug auf die Musik aus Groß­bri­tannien pflegte man vor allem hier lan­ge Vor­be­halte. Und von der Seite der Phi­lo­so­phie aus gab es und gibt es im angel­sächsi­schen Be­reich zum Teil noch eine gewisse Hoch­näsig­keit gegen­über allem, was aus Konti­nental­eu­ropa kommt. Und hier wollen einige prinzi­piell an den De­batten, die dort geführt werden, nicht teil­nehmen.

J. Kuhlbrodt: Ich kann es ein biss­chen ver­ste­hen, weil ich glaube, Witt­gen­stein hätte für seinen Tracta­tus in Deutsch­land nicht einmal einen Semi­nar­schein be­kommen.

A. Trautsch: Aber man muss auch sagen, dass er als literarische Form heutzutage vermut­lich auch in Oxford nicht angenommen würde. Allein schon diese kurzen Sätze, die penible nume­ri­sche Ord­nung, die dem gedank­lichen Gewicht der Sätze entsprechen soll. Das ist schon experimentell, wenn man an damals und heute gängige Abhand­lungs­for­men denkt. Ähn­lich sieht es natür­lich mit Nietzsche, Kierke­gaard und vielen anderen aus.
  Aber ich finde, und das habe ich auch in New York ein wenig erlebt, dass man im angel­sächsischen System schon durch den Aufbau des Studiums viel schneller einen Über­blick bekommt. Dafür gewinnt man erst spät Freiräume für eigen­ständige Fragen und Forschungs­per­spektiven – etwas, was man auch nach der Umsetzung des Bologna-Pro­zesses in Deutsch­land beobachten kann. Dazu gehört in angel­sächsischen Philosophie-Insti­tutionen auch die Kom­part­menta­li­sierung: das Denken wird ge­trennt in unter­schied­liche Bereiche, und jemand, der Meta­physik macht, beschäf­tigt sich selten mit Ethik. Zudem geht es meistens um bestimmte gegen­wär­tige Autoren aus der angel­sächsi­schen Welt. Es ist schon recht verschult. Das habe ich daher auch nicht wirklich als Befrei­ung des Denkens empfunden, zwar als Bereiche­rung und nicht selten als hilf­reiche Klärung. Aber das Verschulte hat meiner Meinung nach etwas Provin­zielles, ja Un­philoso­phisches, da sich die Philosophie immer auch aus einer kreativen Dynamik speist, die sich dem Leben selbst verdankt.
  Gegen­wärtig bricht, wenn ich richtig sehe, die Dogmatik aber öfter diesseits und jenseits des Ärmel­kanals auf. Hegel z.B., dessen briti­sche Re­zeption im späten 19. Jahrhundert gewisser­maßen den idea­listi­schen Pol bildete, von dem sich die so genannte analytische Philo­so­phie in ihrer Ent­ste­hungs­phase diametral zu ent­fernen bemühte, wird mittler­weile auch in den USA und Groß­britannien von wichtigen Stimmen auf eigene Weise frucht­bar gemacht, um mit bestimmten Fragen weiter­zu­kommen. Das kommt auf die Denker und auf das jeweilige Depart­ment an, manche ­öffnen sich – auch hier – end­lich auch den asiatischen und arabischen Denk­traditionen.

J. Kuhlbrodt: Aber ein ähn­liches Verhältnis trifft man ja in Deutschland in der Literatur auch an, dass es kaum eine Aus­einander­setzung mit anderem, z.B. Neuer Musik gibt. Man weiß, dass es das Phänomen gibt, aber wenn man von Musik spricht, spricht man von Popmusik oder von Klassik. Und du bringst es ja dann doch irgendwie zusammen.

A. Trautsch: Ich denke, das betrifft auch andere Bereiche. Zum Beispiel Literatur und Tanz oder auch Poesie und Dramatik. Die Autoren, die Dramatik schreiben, kommen ja oft aus dem Theater oder haben Erfahrungen im und mit dem Theater gemacht. Und in meinem Fall kann man einfach sagen, dass Literatur und (Neue) Musik schon dadurch verbunden sind, dass ich eine Kompositionsausbildung gemacht habe und gleich­zeitig schon lange geschrieben und als Lektor gearbeitet habe.
  Es muss ein Interesse bei dem jewei­ligen Indivi­duum vorliegen, dann können die Bereiche auch verbunden werden. So hat beispielsweise in Berlin die Liedertafel der Sing-Akademie mit Klang­netz mal ein Projekt gemacht, bei dem Komponisten und Autoren gemeinsam Variationen geschrieben haben, d.h. sie haben jeweils Variationen über einander geschrieben. Jeder Teilnehmer konnte ein Thema stellen, entweder musikalisch oder literarisch, und in beliebiger Reihenfolge haben andere Teilnehmer darauf reagiert – musikalisch oder literarisch. Diese Variations sérieuses gingen vor allem auf die Initiative von Christian Fillips, Dichter und Dramaturg der Sing-Akademie, zurück. Aber es stimmt. Vielen ist die Neue Musik weit­gehend unbekannt.
  J. Kuhlbrodt: Was mich irritiert ist Folgendes: Man ist als Lyriker sehr stark mit dem Rhythmus befasst, ob man das nun be­merkt oder nicht. Manche merken es nicht, dann wird ordent­lich gejambt. Aber dass ist ja etwas, was Neue Musik und Lyrik durchaus verbindet, dass man sich von rhyth­mischen Struk­turen der Vergangen­heit, der fest tra­dierten Vergangen­heit löst, aber trotzdem in der Lage sein muss, weil es sonst nämlich kein Gedicht wird, so etwas wie neue Rhythmik zu setzen.

A. Trautsch: Klar, auch die Traditionen der freien Rhythmik, also was Europa und Nord­amerika angeht, die ersten Versuche im 19. Jahrhundert, Versmaße, bestimmte Längen, bestimmte Ordnungen zum freien Vers hin zu verlassen, sind ja nicht in dem Sinne unrhythmisch. Im Gegenteil, ich würde sogar sagen, dass ein wesent­liches Kenn­zeichen von Dichtung die Aufmerk­samkeit für den Rhythmus der Sprache gewesen ist und sein sollte. Das könnte man sicher auch für die Prosa behaupten, aber die Dichtung liegt nicht nur in der europäischen Tradition näher an der Musik.
  Da gibt es ja auch Parallelen in der Geschichte, denn die Übertragung der antiken Versmaße in die modernen Sprachen, vor allem das Deutsche, stellte einen Wechsel vom antiken Silben­längen­verhältnis zum Verhält­nis be­tonter und unbe­tonter Silben dar. Ähn­lich bildete sich, nach der mit Dauer­proportionen arbei­tenden Vokal­polyphonie der Re­naissance im 16. und 17. Jahr­hundert der Akzent­stufen­takt als maß­gebliches Modell in der Musik heraus, der im Rock- und Pop­bereich bis heute dominant ist. Man hatte also die be­tonten und unbe­tonten Zeiten in der Dichtung wie in der Musik – am deut­lichsten im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
  Die Eman­zipation davon in der Mo­derne ist ja nicht gleich­be­deutend mit der Verab­schiedung vom Rhyt­hmus überhaupt. Das ist übrigens sehr interessant, dass der Rhyth­mus als Parameter in der Selbst­reflexion der Dich­tung Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahr­hunderts eine wichtige Rolle spielt. Man verlässt das tradi­tionelle Vers­maß, aber dadurch hört die Selbst­verständ­lichkeit auf, so dass man bewusst über das zuvor tradi­tionell Akzep­tierte nachzudenken beginnt. Man hat eben ein großes Spektrum neuer möglicher Rhythmen und muss dort formale Arbeit leisten.

J. Kuhlbrodt: Gibt’s Texte, auf die du konkret abzielst?

A. Trautsch: Es gibt schon in der Frühromantik, vor allem bei Novalis, interessante Gedanken zur Rhythmik. Bei Nietzsche finden sich in diversen Aufzeich­nungen und Aphorismen Bemer­kungen über die an­thropo­logische Dimension des Rhythmus, auch über seine Rolle in der Sprache. Das ist mittlerweile gut untersucht worden. Auch Mallarmé und Valéry haben den Rhythmus thematisiert. Und die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende experimentelle Psychologie hat sich gleich mit Rhythmus­phänomenen beschäftigt. Bemerken­swert ist diese breite Aufmerk­samkeit auch bei jemandem, bei dem man das zuerst vielleicht nicht erwarten würde, nämlich Walter Benjamin, der von der Bedeutung einer intermittierenden Rhythmik, dem Unterbrechen kontinuierlicher Rhythmen für das Denken, Schreiben und Lesen spricht. ...

J. Kuhlbrodt: Wenn du schreibst, wie achtest du auf den Rhythmus? Erzähl, wie es bei dir funktioniert, wie der Rhythmus sich quasi ins Gedicht schmuggelt. Ich habe zum Glück keine durchgehend traditionellen Strukturen in deinen Texten entdecken können.

A. Trautsch: Manchmal spiele ich damit. Natürlich lässt einen jedes aus der Romantik vertraute Schema der Verteilung von Akzenten, von Vers­maßen, Rhyth­men und Reimen die Anten­nen des Miss­trauens aus­fahren. Es ist ja gerade, wie ich finde, eine Qua­lität der zeit­ge­nös­sischen Lyrik, Homo­­genität und Gleich­mäßigkeit in der Form zu ­vermeiden. Aber natürlich kann man auch mit den Elementen der Regelmäßigkeit des Rhyth­mus, der Gegenläufigkeit von natürlicher Silben­betonung usw. arbeiten. Es ist nicht so, dass ich mir wie in der Nach­folge Hölder­lins bestimmte antike Versmaße vornehme, die dann als Schema über dem Gedicht stehen, das habe ich nie gemacht. Den Rhyth­mus zu finden, ist für mich zum großen Teil eher ein unbe­wusster Vorgang – oder vielleicht ein Prozess zwischen Unbe­wusstem und Bewusst­sein.
  Beim Schreiben eines Verses, bei der Tempostimmung eines ganzen Gedichts, oder, mikroskopisch, bei einer bestimmten Wort­konstruktion ist das Ver­hältnis von längeren Vokalen, die etwas im Klang verharren, und kurzen, auch gerade mit Konsonanten sehr stark abgekürzt wirkenden Silben, überhaupt auch von Konso­nant­enhäufung oder Vokal­häufung eine form­gebende Kraft, die auf verschiedenen Be­deutungs­ebenen wirkt: Welches Bild, welche Metapher kann man z.B. durch eine be­stimmte auch vom Klang getragene Wort­kombi­nation finden, wie entfaltet sich dabei der sound zwischen Vokal und Konsonant und welche Betonungen, welche Intensitätsgrade gibt es, die maß­geblich auf die Imagination zurück­wirken? Manch­mal merke ich erst im Nach­hinein, bei einem Text, den ich geschrieben habe, wie das Verhältnis von aus­klingenden Silben oder von kürzeren und abge­hackten, man könnte musikalisch sagen: wie das Ver­hältnis von Dauerwerten und von Arti­kulations­weisen wie tenuto und staccato verteilt ist. ...

J. Kuhlbrodt: Und beim Komponieren? Rhythmus und Klangfarbe, sagt man, ist die Komposition.

A. Trautsch: Grob gesagt: ja. Man kann natürlich noch andere Parameter berücksichtigen.

J. Kuhlbrodt: Als ich deine Stücke hörte, hatte ich schon das Gefühl, dass sich so etwas wie ein traditioneller Takt auch eher als Zitat ergibt. Vielleicht ist es aber mein Hörverhalten. Dass sich in einem Chaotischen Umfeld einerseits Melodien und andererseits auch Takt bilden.

A. Trautsch: Man kann da zwei Dinge unterscheiden. Wenn man komponiert, ist es häufig so, dass man weiß oder wissen sollte, welche Erwartungshaltung an die Notation die Musiker haben, die unter pragmatischen Bedingungen zu arbeiten haben. Sie müssen halt ein Stück in einer bestimmten Zeit proben usw. Deshalb sind sie dankbar, wenn es beispielsweise klare Taktunterteilungen gibt und sie das gleich so proben können, ohne sich erst langwierig absprechen zu müssen. Trotzdem heißt das noch nicht – und das ist dann, wenn man so will, die Kunst der Notation –, dass im Stück selbst ein traditioneller Takt spürbar sein muss.
  Wenn man den 4/4-Takt als Beispiel nimmt, in der Tradition seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, dann würde man sagen, generell ist von vier Schlägen der erste am meisten betont, der dritte am zweitmeisten, dann der zweite und vierte. Das ist sehr schematisch, kann natürlich immer überspielt werden und wird auch in jedem guten Stück oder Song variiert. Aber man hat eben dieses Grundmuster, auf das man sich auch dann noch bezieht, wenn man sich von ihm absetzt.
 Der Backbeat im Rock zum Beispiel, also die Betonung von zweiter und vierter Zählzeit, wäre ohne die traditionelle Schwer-leicht-Verteilung weit weniger wirkungsvoll. Wenn man einen 4/4-Takt heute notiert, hat man weiterhin diese vier gleichlangen Schläge, aber ist viel freier in der Form der Betonung. Im Gros der Neuen Musik würde man die traditionellen Betonungen nicht spielen, sondern die Notation als bloße Orientierungshilfe für die Koordination der Spieler betrachten. Und man kann natürlich auch so komplex die Taktschläge überspielen, dass es tatsächlich amorph und sehr unbestimmt klingt, selbst wenn jemand dabei einen 4/4-Takt dirigiert. ...

J. Kuhlbrodt: Lieber Asmus, soweit erstmal. Danke für das Gespräch, das, so hoffe ich, weitergehen wird.

 

Dieses Gespräch vollständig
und weitere Gespräche
zum Thema in poet nr. 12.

Titel portofrei online bestellen   ►
Zur Website des poet-Magazins   ►




poet nr. 12
Literaturmagazin
poetenladen, Leipzig 2012
335 Seiten, 9.80 Euro

Jan Kuhlbrodt    08.08.2012   

 

 
Jan Kuhlbrodt
Prosa
Lyrik
Gespräch