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Asmus Trautsch
Gespräch mit Jan Kuhlbrodt für den poetenladen
Klingende Silben
Gespräch Literatur und Musik |
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Illustration: Miriam Zedelius |
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Gekürzte Online-Version
Vollständiges Gespräch
in poet nr 12
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Asmus Trautsch wurde 1976 in Kiel geboren. Er studierte Komposition sowie Philosophie und Germanistik in Berlin, London und New York. Er schreibt an einer Dissertation über tragisches Handeln und organisiert als Mitglied der Berliner Komponisten-Vereinigung Klangnetz Aufführungen zeitgenössischer Musik, Konzertreisen und Symposien. Er ist Herausgeber, Lektor und Autor literarischer und philosophischer Texte, Veröffentlichung in Zeitschriften und Anthologien. Im Verlagshaus J. Frank erschien 2010 sein Lyrikband Treibbojen.
Jan Kuhlbrodt: Über Musik und Literatur sollen wir sprechen. Rhythmus wäre spannend. Du arbeitest als Komponist und als Lyriker, als Essayist und beschäftigst dich ab und an auch mit philosophischen Themen.
Asmus Trautsch: Ja. Da ich an meiner Promotion arbeite, ist die Philosophie ohnehin gerade der Hintergrund von allem.
J. Kuhlbrodt: Worüber promovierst du?
A. Trautsch: Über Tragöde. Es geht um die Frage, wie wir tragische Handlungen und tragische Erfahrungen heute verstehen können. Ich gehe von der antiken Tragödie aus und überlege dann mit Hegel, Nietzsche und ein paar Gegenwärtigen, z.B. Christoph Menke, was uns die Tragödie über existenzielle Bindung sagt. Und über das Risiko, das im Handeln liegt. Unser Gespräch geht offenbar von der Musik gleich wieder weg, aber der Bezug zur Literatur ist da.
J. Kuhlbrodt: Hast du auch Philosophie studiert?
A. Trautsch: Ja.
J. Kuhlbrodt: Wo?
A. Trautsch: In Berlin. Es war ein Doppelstudium, zunächst habe ich mit Komposition an der Universität der Künste in Berlin angefangen, dann ein wenig zeitversetzt noch Philosophie und Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität studiert. Und ich war ein Jahr am University College London als Austauschstudent. ...
J. Kuhlbrodt: Es gab lange Zeit ein kontinentales Vorurteil, sowohl gegen angelsächsische Musik als auch gegen angelsächsische Philosophie.
Asmus Trautsch
Treibbojen
Gedichte
Typogramme: Sandra Lubahn
Verlagshaus J. Frank 2010
Zum Verlag
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A. Trautsch: Ehrlich gesagt war und teilweise ist dieses Vorurteil gegenseitig, in Bezug auf die Musik aus Großbritannien pflegte man vor allem hier lange Vorbehalte. Und von der Seite der Philosophie aus gab es und gibt es im angelsächsischen Bereich zum Teil noch eine gewisse Hochnäsigkeit gegenüber allem, was aus Kontinentaleuropa kommt. Und hier wollen einige prinzipiell an den Debatten, die dort geführt werden, nicht teilnehmen.
J. Kuhlbrodt: Ich kann es ein bisschen verstehen, weil ich glaube, Wittgenstein hätte für seinen Tractatus in Deutschland nicht einmal einen Seminarschein bekommen.
A. Trautsch: Aber man muss auch sagen, dass er als literarische Form heutzutage vermutlich auch in Oxford nicht angenommen würde. Allein schon diese kurzen Sätze, die penible numerische Ordnung, die dem gedanklichen Gewicht der Sätze entsprechen soll. Das ist schon experimentell, wenn man an damals und heute gängige Abhandlungsformen denkt. Ähnlich sieht es natürlich mit Nietzsche, Kierkegaard und vielen anderen aus.
Aber ich finde, und das habe ich auch in New York ein wenig erlebt, dass man im angelsächsischen System schon durch den Aufbau des Studiums viel schneller einen Überblick bekommt. Dafür gewinnt man erst spät Freiräume für eigenständige Fragen und Forschungsperspektiven – etwas, was man auch nach der Umsetzung des Bologna- Prozesses in Deutschland beobachten kann. Dazu gehört in angelsächsischen Philosophie-Institutionen auch die Kompartmentalisierung: das Denken wird getrennt in unterschiedliche Bereiche, und jemand, der Metaphysik macht, beschäftigt sich selten mit Ethik. Zudem geht es meistens um bestimmte gegenwärtige Autoren aus der angelsächsischen Welt. Es ist schon recht verschult. Das habe ich daher auch nicht wirklich als Befreiung des Denkens empfunden, zwar als Bereicherung und nicht selten als hilfreiche Klärung. Aber das Verschulte hat meiner Meinung nach etwas Provinzielles, ja Unphilosophisches, da sich die Philosophie immer auch aus einer kreativen Dynamik speist, die sich dem Leben selbst verdankt.
Gegenwärtig bricht, wenn ich richtig sehe, die Dogmatik aber öfter diesseits und jenseits des Ärmelkanals auf. Hegel z.B., dessen britische Rezeption im späten 19. Jahrhundert gewissermaßen den idealistischen Pol bildete, von dem sich die so genannte analytische Philosophie in ihrer Entstehungsphase diametral zu entfernen bemühte, wird mittlerweile auch in den USA und Großbritannien von wichtigen Stimmen auf eigene Weise fruchtbar gemacht, um mit bestimmten Fragen weiterzukommen. Das kommt auf die Denker und auf das jeweilige Department an, manche öffnen sich – auch hier – endlich auch den asiatischen und arabischen Denktraditionen.
J. Kuhlbrodt: Aber ein ähnliches Verhältnis trifft man ja in Deutschland in der Literatur auch an, dass es kaum eine Auseinandersetzung mit anderem, z.B. Neuer Musik gibt. Man weiß, dass es das Phänomen gibt, aber wenn man von Musik spricht, spricht man von Popmusik oder von Klassik. Und du bringst es ja dann doch irgendwie zusammen.
A. Trautsch: Ich denke, das betrifft auch andere Bereiche. Zum Beispiel Literatur und Tanz oder auch Poesie und Dramatik. Die Autoren, die Dramatik schreiben, kommen ja oft aus dem Theater oder haben Erfahrungen im und mit dem Theater gemacht. Und in meinem Fall kann man einfach sagen, dass Literatur und (Neue) Musik schon dadurch verbunden sind, dass ich eine Kompositionsausbildung gemacht habe und gleichzeitig schon lange geschrieben und als Lektor gearbeitet habe.
Es muss ein Interesse bei dem jeweiligen Individuum vorliegen, dann können die Bereiche auch verbunden werden. So hat beispielsweise in Berlin die Liedertafel der Sing-Akademie mit Klangnetz mal ein Projekt gemacht, bei dem Komponisten und Autoren gemeinsam Variationen geschrieben haben, d.h. sie haben jeweils Variationen über einander geschrieben. Jeder Teilnehmer konnte ein Thema stellen, entweder musikalisch oder literarisch, und in beliebiger Reihenfolge haben andere Teilnehmer darauf reagiert – musikalisch oder literarisch. Diese Variations sérieuses gingen vor allem auf die Initiative von Christian Fillips, Dichter und Dramaturg der Sing-Akademie, zurück. Aber es stimmt. Vielen ist die Neue Musik weitgehend unbekannt.
J. Kuhlbrodt: Was mich irritiert ist Folgendes: Man ist als Lyriker sehr stark mit dem Rhythmus befasst, ob man das nun bemerkt oder nicht. Manche merken es nicht, dann wird ordentlich gejambt. Aber dass ist ja etwas, was Neue Musik und Lyrik durchaus verbindet, dass man sich von rhythmischen Strukturen der Vergangenheit, der fest tradierten Vergangenheit löst, aber trotzdem in der Lage sein muss, weil es sonst nämlich kein Gedicht wird, so etwas wie neue Rhythmik zu setzen.
A. Trautsch: Klar, auch die Traditionen der freien Rhythmik, also was Europa und Nordamerika angeht, die ersten Versuche im 19. Jahrhundert, Versmaße, bestimmte Längen, bestimmte Ordnungen zum freien Vers hin zu verlassen, sind ja nicht in dem Sinne unrhythmisch. Im Gegenteil, ich würde sogar sagen, dass ein wesentliches Kennzeichen von Dichtung die Aufmerksamkeit für den Rhythmus der Sprache gewesen ist und sein sollte. Das könnte man sicher auch für die Prosa behaupten, aber die Dichtung liegt nicht nur in der europäischen Tradition näher an der Musik.
Da gibt es ja auch Parallelen in der Geschichte, denn die Übertragung der antiken Versmaße in die modernen Sprachen, vor allem das Deutsche, stellte einen Wechsel vom antiken Silbenlängenverhältnis zum Verhältnis betonter und unbetonter Silben dar. Ähnlich bildete sich, nach der mit Dauerproportionen arbeitenden Vokalpolyphonie der Renaissance im 16. und 17. Jahrhundert der Akzentstufentakt als maßgebliches Modell in der Musik heraus, der im Rock- und Popbereich bis heute dominant ist. Man hatte also die betonten und unbetonten Zeiten in der Dichtung wie in der Musik – am deutlichsten im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Die Emanzipation davon in der Moderne ist ja nicht gleichbedeutend mit der Verabschiedung vom Rhythmus überhaupt. Das ist übrigens sehr interessant, dass der Rhythmus als Parameter in der Selbstreflexion der Dichtung Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielt. Man verlässt das traditionelle Versmaß, aber dadurch hört die Selbstverständlichkeit auf, so dass man bewusst über das zuvor traditionell Akzeptierte nachzudenken beginnt. Man hat eben ein großes Spektrum neuer möglicher Rhythmen und muss dort formale Arbeit leisten.
J. Kuhlbrodt: Gibt’s Texte, auf die du konkret abzielst?
A. Trautsch: Es gibt schon in der Frühromantik, vor allem bei Novalis, interessante Gedanken zur Rhythmik. Bei Nietzsche finden sich in diversen Aufzeichnungen und Aphorismen Bemerkungen über die anthropologische Dimension des Rhythmus, auch über seine Rolle in der Sprache. Das ist mittlerweile gut untersucht worden. Auch Mallarmé und Valéry haben den Rhythmus thematisiert. Und die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende experimentelle Psychologie hat sich gleich mit Rhythmusphänomenen beschäftigt. Bemerkenswert ist diese breite Aufmerksamkeit auch bei jemandem, bei dem man das zuerst vielleicht nicht erwarten würde, nämlich Walter Benjamin, der von der Bedeutung einer intermittierenden Rhythmik, dem Unterbrechen kontinuierlicher Rhythmen für das Denken, Schreiben und Lesen spricht. ...
J. Kuhlbrodt: Wenn du schreibst, wie achtest du auf den Rhythmus? Erzähl, wie es bei dir funktioniert, wie der Rhythmus sich quasi ins Gedicht schmuggelt. Ich habe zum Glück keine durchgehend traditionellen Strukturen in deinen Texten entdecken können.
A. Trautsch: Manchmal spiele ich damit. Natürlich lässt einen jedes aus der Romantik vertraute Schema der Verteilung von Akzenten, von Versmaßen, Rhythmen und Reimen die Antennen des Misstrauens ausfahren. Es ist ja gerade, wie ich finde, eine Qualität der zeitgenössischen Lyrik, Homogenität und Gleichmäßigkeit in der Form zu vermeiden. Aber natürlich kann man auch mit den Elementen der Regelmäßigkeit des Rhythmus, der Gegenläufigkeit von natürlicher Silbenbetonung usw. arbeiten. Es ist nicht so, dass ich mir wie in der Nachfolge Hölderlins bestimmte antike Versmaße vornehme, die dann als Schema über dem Gedicht stehen, das habe ich nie gemacht. Den Rhythmus zu finden, ist für mich zum großen Teil eher ein unbewusster Vorgang – oder vielleicht ein Prozess zwischen Unbewusstem und Bewusstsein.
Beim Schreiben eines Verses, bei der Tempostimmung eines ganzen Gedichts, oder, mikroskopisch, bei einer bestimmten Wortkonstruktion ist das Verhältnis von längeren Vokalen, die etwas im Klang verharren, und kurzen, auch gerade mit Konsonanten sehr stark abgekürzt wirkenden Silben, überhaupt auch von Konsonantenhäufung oder Vokalhäufung eine formgebende Kraft, die auf verschiedenen Bedeutungsebenen wirkt: Welches Bild, welche Metapher kann man z.B. durch eine bestimmte auch vom Klang getragene Wortkombination finden, wie entfaltet sich dabei der sound zwischen Vokal und Konsonant und welche Betonungen, welche Intensitätsgrade gibt es, die maßgeblich auf die Imagination zurückwirken? Manchmal merke ich erst im Nachhinein, bei einem Text, den ich geschrieben habe, wie das Verhältnis von ausklingenden Silben oder von kürzeren und abgehackten, man könnte musikalisch sagen: wie das Verhältnis von Dauerwerten und von Artikulationsweisen wie tenuto und staccato verteilt ist. ...
J. Kuhlbrodt: Und beim Komponieren? Rhythmus und Klangfarbe, sagt man, ist die Komposition.
A. Trautsch: Grob gesagt: ja. Man kann natürlich noch andere Parameter berücksichtigen.
J. Kuhlbrodt: Als ich deine Stücke hörte, hatte ich schon das Gefühl, dass sich so etwas wie ein traditioneller Takt auch eher als Zitat ergibt. Vielleicht ist es aber mein Hörverhalten. Dass sich in einem Chaotischen Umfeld einerseits Melodien und andererseits auch Takt bilden.
A. Trautsch: Man kann da zwei Dinge unterscheiden. Wenn man komponiert, ist es häufig so, dass man weiß oder wissen sollte, welche Erwartungshaltung an die Notation die Musiker haben, die unter pragmatischen Bedingungen zu arbeiten haben. Sie müssen halt ein Stück in einer bestimmten Zeit proben usw. Deshalb sind sie dankbar, wenn es beispielsweise klare Taktunterteilungen gibt und sie das gleich so proben können, ohne sich erst langwierig absprechen zu müssen. Trotzdem heißt das noch nicht – und das ist dann, wenn man so will, die Kunst der Notation –, dass im Stück selbst ein traditioneller Takt spürbar sein muss.
Wenn man den 4/4-Takt als Beispiel nimmt, in der Tradition seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, dann würde man sagen, generell ist von vier Schlägen der erste am meisten betont, der dritte am zweitmeisten, dann der zweite und vierte. Das ist sehr schematisch, kann natürlich immer überspielt werden und wird auch in jedem guten Stück oder Song variiert. Aber man hat eben dieses Grundmuster, auf das man sich auch dann noch bezieht, wenn man sich von ihm absetzt.
Der Backbeat im Rock zum Beispiel, also die Betonung von zweiter und vierter Zählzeit, wäre ohne die traditionelle Schwer-leicht-Verteilung weit weniger wirkungsvoll. Wenn man einen 4/4-Takt heute notiert, hat man weiterhin diese vier gleichlangen Schläge, aber ist viel freier in der Form der Betonung. Im Gros der Neuen Musik würde man die traditionellen Betonungen nicht spielen, sondern die Notation als bloße Orientierungshilfe für die Koordination der Spieler betrachten. Und man kann natürlich auch so komplex die Taktschläge überspielen, dass es tatsächlich amorph und sehr unbestimmt klingt, selbst wenn jemand dabei einen 4/4-Takt dirigiert. ...
J. Kuhlbrodt: Lieber Asmus, soweit erstmal. Danke für das Gespräch, das, so hoffe ich, weitergehen wird.
poet nr. 12
Literaturmagazin
poetenladen, Leipzig 2012
335 Seiten, 9.80 Euro
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Jan Kuhlbrodt
Prosa
Lyrik
Gespräch
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