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Oleg Jurjew

In zwei Spiegeln

Gedanken zu Oleg Jurjews In zwei Spiegeln

Kritik
 
Oleg Jurjew
In zwei Spiegeln
Gedichte
Deutsch / Russisch
Übersetzer: Elke Erb, Daniel Jurjew, Gregor Laschen, Olga Martynova
Nachwort von Ilma Rakusa
Verlag: Jung und Jung, 2012


Er schreibe Gedichte, um zu erfahren, wovon sie handeln, steht auf dem Schutzumschlag. Jurjew ist ein russischer Jude, der seit zwanzig Jahren mit seiner Familie in Frankfurt am Main lebt. Woraus, bitte schön, schöpft der Kerl. Vor der russischen Sprache jedenfalls ist er nicht geflohen. Auch nicht vor der Kultur, und nicht vor ihren plebejischen Ausläufern. Zu gern scheint er mir die russischen Trink- und Ganovenlieder zu singen.
  Zum vierten oder fünften Mal nun lese ich die Gedichte in diesem Band. Ich komme ihnen nahe, aber ich verstehe sie noch nicht. Geliebt aber habe ich sie von Anfang an. In immer engeren Bahnen umkreise ich diese Texte wie ein Muslim zur Wallfahrt die Kaaba.

„Wozu sind am Auto, das bergabwärts fährt
in das regnerische Leuchten der Finsternis
(nach Auflösung des himmlischen Reisigs),
Kugeln aus ausgelaugten
Kristall angebracht,
umgarnt von verknitterten Netzen“

Vielleicht ist es ja so, dass ihr Inners­tes leer ist. Vielleicht sind sie ja ein in sich ver­steckter Resonanz­raum. Ich habe in Portugal, ich glaube es war in Tomar, einmal eine Synagoge besucht, die winzig klein war, die aber, weil in ihren Ecken Tongefäße einge­lassen waren, wie eine Halle klang. Man behalf sich mit Kunst, weil man nicht mehr Raum zugestanden bekam. Kunst führte aus der Bedrängnis.
  Die Texte Jurjews sind aus dem Russi­schen ins Deutsche gebracht. übergesetzt mit dem Ruderboot, abwechselnd bewegt von Olga Martynova, Gregor Laschen, Daniel Jurjew und Elke Erb.
  Manche Texte, wie Eden­koben­zikaden oder Zikaden in Edenkoben bilden eine Abzwei­gung. Diese Texte gibt es zweimal. Einmal mit „Näh­maschinchen Gottes“ und einmal mit „kleinen Näh­maschinen“. Ich fand die Ver­kleine­rungs­form an dieser Stelle grandios, und finde es im Grunde noch. Aber Jurjew erzählte mir, dass er seit Jahren gegen ein verklei­nerndes Verständnis des Russi­schen ankämpfe. Aber an dieser Stelle. Nun Ja, vielleicht ist es nicht zu entscheiden. Vielleicht geht es gar nicht anders, als beide Varianten abzudrucken. Immer wieder bleibe ich an diesem Text in seine Formen hängen. Er ist einfach großartig
  Und überhaupt: das Gehör Manchmal denke ich, die Ohren sind für Jurjew das wichtigste Sinnes­organ. Einerseits sind da die Grillen, aber zuweilen auch andere Geräusche. Geräusche der Nacht. Genauso eindring­lich wie die der „kleinen Näh­maschinen Gottes“, aber bedrohlich.

„Was hämmert Nachts, wenn nicht der schwarze Regen
der seine kristallinen Nüsse knackt die ganze Nacht?
Aber welch Ton – ganz anders – hinterm Riss im Vorhang.“

Und war es nicht das Gehör, das mir die Welt als Bedrohung wachsen und gewahr werden ließ, wenn ich allein zu Hause, den Geräuschen nachlauschte der Autos, die eben nicht anhielten. Die mit ihren Kegellichtern das Vorbei­fahren an die Zimmer­decke zeichneten? Kann man diese kind­liche Furcht kulti­vieren, oder ist die des Erwach­senen eine andere Furcht, weil er zuweilen cool über sie hinweg geht?
  In ihrem Nachwort zum Buch schreibt Ilma Rakusa „Illusionen macht er sich weder in Bezug auf Menschen, noch auf den Lauf der Geschichte, ein tief sitzendes Gefühl des Miss­trauens trifft in ihm auf eine meta­physische Sehnsucht.“ Und wie dieses Zusammen­treffen Funken schlägt. Ich bin noch lange nicht fertig mit diesem Buch.

 

Jan Kuhlbrodt    27.06.2012   

 

 
Jan Kuhlbrodt
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