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Jürgen BuchmannMemoiren eines Münsterländer MastschweinsSchweinesk Kurzkritik
Durch die Augen eines sprachmächtigen Schweines kommt die Welt in ihrer sprachlichen Verfasstheit ins Schillern. Jürgen Buchmann lässt uns an den Lehr- und Wanderjahren eines solchen Tieres, das letztlich das Tierische hin zum Humanen verlassen hat, teilhaben und lässt uns mit jenem jugendlichen Eber eine der letzten Grenzen, die zwischen Tier und Mensch, überwinden. Im Grunde löst er so ein Versprechen der Humanitas und der Aufklärung ein, nach dem letztlich jedes vernunftbegabte Wesen dem Kategorischen Imperativ unterliegt. Buchmanns Text ist dabei mehr als eine Fabel, weil er sich nicht damit begnügt, einem Tier menschliche Charaktereigenschaften zu unterstellen, an die es starr gebunden ist, sondern im Grunde auf wenigen Seiten einen Entwicklungsroman entwirft, dessen Held nunmal ein Schwein ist, das von einem unerbittlichen Onkel in Deutsch und Latein unterwiesen wurde, nicht ohne auf Fehler hin mit aller Macht ins Schweinische zurückgeworfen zu werden. Das Erlernen der Sprache als zivilisatorischer Prozess ist eben gepaart mit einem unzivilisierten Strafverhalten. Wer kennt solche Situationen nicht aus eigenem Erleben: „Ich war jedoch kaum über mensá-grunz! und menáe-grunz! hinausgekommen, als mich der samsonitische Zementsack seiner Kinnbacken traf und mich auf quiekendem, vierbeinig strampelndem Flug in den Morast der nahegelegenen Suhle beförderte.“ Und wer will es einem fühlenden Wesen verübeln, wenn es aus dieser Umklammerung von Schweinen und Lateindrill das Weite sucht? Als Bauer verkleidet gelingt dem Helden die Flucht. Aber der Weg durch die Menschenwelt hält für ein Jungschwein, auch für ein verkleidetes, allerlei Gefahren bereit. Das alles hier von mir eher launig Dargestellte wird allerdings einem Buchmanntext nicht gerecht. Buchmann entwickelt die Geschichte vor dem Hintergrund seiner Sprachliebe, und die reduziert sich weiß Gott nicht auf eine Neigung zum Lateinischen. Dem Schwein als dem Fremden wird eine etwas gekünstelte, weil übernommene oder gelernte Sprache verliehen, in seinem Weg durch die münsterländer Welt aber trifft es auf Ungarisch, Französisch, Akzente und Dialekte, und natürlich auf Hochdeutsch in den verschiedensten sozialen Ausformungen. Eine durch Sprache strukturierte Welt eben, die ihre eigene Bildlichkeit entfaltet. Der Buchmannfreund wird dieses im neuen Greifswalder freiraum-verlag erschienene Büchlein sehr mögen, aber auch allen Anderen sei es anempfohlen.
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Jan Kuhlbrodt
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