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Gerald Stern
Alles brennt
Es ist ein Werk zu würdigen
Kitik
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Gerald Stern
Alles brennt
Aus dem amerikanischen Englisch
und mit
einem Nachwort versehen
von Thomas Pletzinger
Mathes & Seitz Berlin 2010
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„Wer ist der größte deutsche Comedian?“, die Eingangsfrage bei seiner Lesung in Leipzig. Stern nimmt sofort Kontakt auf. Schweigen im Auditorium, das hatte man nicht erwartet. Stern erläutert kurz den Unterschied zwischen schwarzem (also afroamerikanischem) und jüdischem Humor. Kein erhobener Zeigefinger, obwohl der kleine alte Mann beständig gestikuliert und versehentlich mit dem Mikrophonständer das Wasserglas umreißt. „That's comedy!“ Stern kennt die Doppelbedeutung von Schwarz. Und Humor ist ihm wichtig.
Gerald Stern, ukrainisch- polnisch-jüdischer Abstammung, ist in den USA geboren, jenem Land, in dem die besten deutschen Comedians in den dreißiger Jahren Zuflucht fanden. Oder sollte man besser sagen, Stern ist dort gelandet. Er hat dieses große famose neue Land durchquert, es eingesogen, Kontakt aufgenommen zu Menschen und Tieren. „Was ist der Unterschied zwischen einem Busch und einem Rosenstrauch, between a bush and a rosebush.“ Und auch von Bush wird sich Amerika erholen, das versteht man, wenn man Gerald Stern erlebt. Er habe Obama gewählt, verkündet er. Aber: Das mit dem Friedensnobelpreis verstehe er nicht. Obama hat viel geleistet und einiges versprochen. Aber es gebe keinen Grund, keine Begründung einen Menschen zu töten. Nicht einen! Never! Und wenn man Sterns Texte liest, scheint er das Tötungsverbot auch auf Tiere anwenden zu wollen. Und wenn doch ein Tier zu Tode kommt, dann muss es ordentlich bestattet werden. Und zwar auf die ihm gemäße Art. Stern feiert das Leben noch bis in den Tod: „Als ich ankam, lag das tote Opossum/ wie ein Kind schlafend auf der Straße.“ („Sich wie ein Jude benehmen.“)
Gerald Sterns Gedichte sind voller Emphase und zielen direkt aufs Herz. Das mag nach Kitsch riechen, ist es aber nicht. Denn die Texte sind satt von Erfahrung, eigener und jener, die sich in den Dingen abgelagert hat. In den Hemden beispielsweise, die zum Trocknen an einer Leine hängen:
„Der Tod ist ein Fehler“, sangen sie und warfen ihre Hüte
auf den Boden. „Wir werden die Natur vom Tod befreien“,
riefen sie und tanzten schließlich auf der kleinen Bühne,
dunkle Krähen und gefleckte Tauben endlich Arm in Arm.
Sterns Gedichte beschwören keine heile Welt, sondern sind sich der Beschädigungen bewusst, die in der Zeit vorangingen, und noch kommen werden. Sprachtheoretische Spitzfindigkeiten verbieten sich hier, obwohl sie möglich wären. Man könnte aufzeigen, wie Rhythmus und Reim den Fortgang der Texte beschleunigen oder verlangsamen. Wie die Weisheit der Sprache sich in kleinsten Nuancen manifestiert, die das Leben des Übersetzers nicht gerade leicht machen. An dieser Stelle sei Thomas Pletzinger erwähnt, der in Leipzig neben Stern auf der Bühne saß wie ein Bildnis des Künstlers als junger Mann einmal und ein anderes Mal wie ein Sohn, rotzig ergeben und dennoch wissend, das der Alte allerlei Spaß aushält.
Stern durchstreift in seinen Texten die Landschaften und Städte Amerikas und stößt überall auf eine fast mystische Anwesenheit von… Ja von was? Es hat etwas Beseeltes. Es ist etwas in den Dingen, das sich dem Dichter Gerald Stern zu erkennen gibt. Das erste der vier traurigen Gedichte vom Delaware:
1 Der blühende Hornstrauch
Er ist ein altes Smoking-Hemd,
mit den Jahren leicht vergilbt.
Ich öffne es,
und seine Blütenblätter fallen ins Gras.
Etwas in Sterns Gedichten stemmt sich gegen den Tod, der unerbittlich, allgegenwärtig ist, aber nicht widerstandslos akzeptiert. Wenn es bei Stern schon ans Sterben geht, dann sei es mit einer respektvollen Bestattung verbunden, die sich dem Lebenden einschreibt wie der Hund im Gedicht „Bestattung eines Tieres auf dem Weg nach New York“ in den Straßenbelag. Die Bestattung, dieses letzte Verbeugen vor der Kreatur, gibt ihr somit das Leben zurück. Und Stern verführt zur Versöhnung mit einem Land, das wir mit einem Mal richtig gut leiden können.
PS: Im Auditorium saß auch ein Amerikaner. Er schien ein Fan Sterns zu sein, denn er kannte sich richtig gut aus in dessen Werk. Er sei Diplomat und arbeite an der amerikanischen Botschaft, sagte er im Gespräch nach der Lesung, er habe bei Stern studiert. Der Abend war Arbeit an meinem Amerikabild. Irgendein „stupid president“ wird es wohl wieder schief rücken müssen. Der Lebende trägt dem Toten gegenüber Verantwortung.
Gerald Stern im poetenladen
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Jan Kuhlbrodt
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