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Tom Pohlmann

Die Geschwindigkeit der Formeln

Grenzüberschreitung

Kritik
Tom Pohlmann | Die Geschwindigkeit der Formeln   Tom Pohlmann
Die Geschwindigkeit der Formeln
Gedichte und Prosa
Edition Mischhaus
im Plöttner Verlag
Leipzig 2008


Die Lichtgeschwindigkeit, meine ich irgend­wann gehört zu haben, sei eine Grenze, die nicht überschritten werden kann, und Zeit sei abhängig von der Geschwindigkeit. Soweit befinden wir uns im kosmologischen Bereich jenseits unserer Erfahrung. Wir steigen noch immer aus Raumschiffen, in denen wir zehn Jahre unterwegs waren, während auf der Erde ganze Zeitalter vergingen oder eben ganze zehn Jahre.
      Der Autor bedankt sich bei der Stiftung Niedersachsen für die Unterstützung der Arbeit am zweiten Buch. Ein eher un­spekta­kulärer Eintrag am Schluss des Bandes „Die Ge­schwin­dig­keit der Formeln. Lyrik und Prosa“ von Tom Pohlmann.
      So, so, denkt man, erst das zweite, oder schon das zweite, und man versucht sich zu erinnern und kommt vollkommen durch­ein­ander. „Was mir die Formel bedeutet / die Geschwindigkeit // ist der Weg durch die Zeit / zum Beispiel // nimm die Formel wörtlich / und die Geschwindigkeit“ heißt es im titelgebenden Text des Bandes.

Als ich vor zwei Jahren nach Wolfenbüttel kam, da war er schon Mythos. Ach ja, der Tom, wie lang ist das her, das war doch damals mit Hummelt und Wiechner? Und grüßen Sie ihn herzlich, wenn Sie ihn treffen. Aber wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen. Jedes Jahr verlassen vier Stipendiaten die Schünemannsche Mühle, nachdem sie sich während eines dreiviertel Jahres drei Mal dort getroffen haben. Meist gehen sie mit einem Manuskript im Gepäck, zumindest aber mit einer Idee zu einem Text, einem Projekt, und meist erscheint bald in einem kleineren oder größeren Verlag ein Buch der Autoren oder Autorinnen. Und alle, die dort waren, gingen, aber das nur am Rande, mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Hugo Dittberner hatte mit der Stiftung Niedersachsen die besten Stipendiatentreffen organisiert, die man sich denken konnte.

Aber was war mit Pohlmann passiert. Kein Band weit und breit. Wahr­schein­lich brauchte er einen Aufenthalt in New York, und wahrscheinlich brauchte er die Studienaufenthalte in Hamburg und Reisen in verschiedene europäische Hauptstädte, bevor er seinen zweiten vorlegen konnte. In dieser Zeit waren vierzig weitere Stipendiaten zu Gast in Wolfenbüttel. Und sicher musste er unzählige Fotos schießen. Auf jeden Fall aber brauchte der Band seine eigene Zeit, die mehr war als Dauer und Abfolge, und die jetzt die Zeit des Lesers ist. Mehrere Perspektiven übereinander geben ein Bild und ein Bild vom Bild. Um es vorweg zu sagen: Es ist ein Glück für uns, dass Pohlmann, dass der Band sich seine Zeit genommen hat, aber es ist auch ein Glück dass sie jetzt ein Ende hat, denn das Buch ist ein großartiges Buch geworden.

Die Geschwindigkeit der Formeln versammelt Gedichte und Prosa, die zwischen 1990 und 2008 entstanden sind. Nicht selten sind den Texten zwei Daten zur Seite gestellt. Was einiges über die Arbeitsweise des Autors, aber auch über die Zeitläufe aussagt. Kein Text scheint sich aufzugeben und jeder taucht wieder auf, wenn es an der Zeit ist. Pohlmanns Arbeiten generieren ihre eigene Epoche, konzentrieren sich nicht auf äußerliche Eckdaten, schon gar nicht auf politische. Der Aufstand, der ein Erwachen war, begann lange bevor er bemerkt wurde und er hält immer noch an, er hat das seltsame Beharrungsvermögen der Jahreszeiten. „Von der Sonne heißt es, man darf sie besingen, weil sie am Tag immer / da ist und sichtbar.“ Schreibt Pohlmann in seinem Gedicht kulturvoller Kopfstand (1990) und er endet: „beim Betrachten des Bildes, wird man bemerken: die Früchte fallen / dort nicht aus der Schale.“
      Es geht in diesem Gedicht um die Verkehrung die Perspektive, hervorgerufen durch eine Linse, mithin durch Licht, und es geht um die Absurdität einer Vorstellung von richtiger resp. wahrer Perspektive. Das ist eines der Pohlmannschen Grundthemen. Es geht aber auch um eine Art soziale Verkehrung, aus der sich eine Verkehrtheit generiert, die das lyrische Ich spürt und die es unterwandern will. Da es aber kein naives, sondern ein reflektiertes Ich ist, stößt es an die Grenzen der Ironie. „Nimm dir kein Beispiel an anderen, höre ich mich trickreich zu mir selbst sagen.“
      Vom fotografieren borgt Pohlmann den Blick und von der Kamera den Spiegel, aber wenn in der Feineinstellung das Bild an Schärfe gewinnt, verliert sich die Sicherheit an seinen Rändern. Ein Objekt, in der Pohlmannschen Weise genau sehen, heißt auch, seinen Hintergrund aufzulösen. Das Objekt wird eins mit seinem Sujet. Und atemlos folgt der Leser diesem Blick in die Weite, die gleichsam ein Punkt ist.

Gnadenlos gut gelingt das, wenn Pohlmann ein Bild von Spitzweg beschreibt ( Konvexion mit Spitzweg ). Im Biedermeierbild meint man die Gegenwart zu erkennen, als hätte die Landschaft ihre eigene Zukunft antizipiert. „Aber die Wegränder sind schon aufgeworfen, ausgeformt, wie von den Reifenspuren schwerer Fahrzeuge.“ Zeit ist mithin eine Illusion, so die vormoderne Botschaft. „Spitzweg malte den Weg zum Tagebau, während er malte, was vor ihm herging.“
      Philosophisch gefasst führt Pohlmann die Postmoderne auf ihre Wurzeln zurück. Lektüren brechen sich in seinen Texten. Da schielt, meine ich, Rimbaud um die Ecke und dieser trifft Brinkmann. Und hier gewinnt der Humor. Kein Grinsen, ein Lachen ist es.
     Ich verließ das Buch klüger, heiter und irgendwie jünger und hatte das Vergehen für wenige Stunden vergessen. Wenn das nicht Unterhaltung im besten Sinne ist! Wir wollen das Buch preisen.

Tom Pohlmann im Poetenladen

Jan Kuhlbrodt     11.01.2009   

 

 
Jan Kuhlbrodt
Prosa
Lyrik
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