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Elke Erbs Poetics 12
Mucha Wegen des folgenden kleinen wortkargen Gedichts von Osip Mandel'štam muß ich kürzest nun Gedeih (utopisch) und (real) Verderb syntaktisch verheiraten (und zwar, ohne daß es „holzschnittartig“ wird): Rußland 1926. Die vorigen Verhältnisse sind abgeschafft, das Menschenheil ist verheißen. Es kam nicht, Hunger und Elend traf ein: So wurden die vorigen – als Dosis, als „Übergang“ – recht bald wieder eingeräumt, Handel & Gewerbe, die Neue Ökonomische Politik (NÖP) (russisch NÈP). Nämlich bis die Heils-Maßnahmen griffen. Der Selbsterhaltungstrieb gegen den Verderb geriet in individuelle Konkurrenz mit dem Idyll: Die Machtkämpfe ließen von den Deputierten des ersten Kongresses nach einem Dezennium noch 5% der Erstkämpfer übrig. Medium der Konkurrenzkämpfe / Machtkämpfe war vornehmlich die Ideologie. Das Idyll-Potential Förderungswesen schied die nicht Anpassungsbaren nach & nach aus: Sieh zu, wo du bleibst. Mit unserem Gedicht sind wir etwa in der Mitte des Prozesses, in dem sich Stalin durchsetzte. Mandelstam betrieb zunehmend Brotarbeit: Gutachten zu ausländischer Literatur, Übersetzungen. – Für Kinder zu schreiben war eine Erwerbsmöglichkeit. Harmlos, unverfänglich. Größerer Markt. (1) (Die) Fliege Du wohin gerietest, Fliege? / In (die) Milch, in (die) Milch. // Gut dir, Alte? / Nicht leicht, nicht leicht. // Du vielleicht herausklettertest etwas. / Nicht kann, nicht kann. / Ich dir mit (einem) Löffel / werde helfen, helfen werde. // Besser du meiner, armer Seele, / (dich) erbarme, (dich) erbarme, // Milch in andere Tasse / umgieß, umgieß. (2) Mucha – Ty kuda popala, mucha? / – V moloko, v moloko. // – Chorošo tebe, starucha? / – Ne legko, ne legko. // – Ty by vylezla nemnožko. /– Ne mogu, ne mogu. // – Ja tebe stolovoj ložkoj / pomogu, pomogu. // – Lucše ty menja, bednjažku, / požalej, požalej, // moloko v druguju čašku / perelej, perelej. [1926, zu Lebzeiten unveröffentlicht] Ich spüre beim Wörtlich-Übersetzen eine eigentümliche Klarheit. Das Unfertige nimmt der Text-Präsenz etwas von ihrer Geschlossenheit/Geläufigkeit. Geläufigkeit = Geschlossenheit, lerne ich (dankbar). Man liest sonst „darüber hinweg“. Auf einmal öffnet sich der Wortlaut und läßt erkennen: In dem Spieltext werden die Grund-Teile geprüft, dinglich. Reduziert auf Dinglichkeit. Aus wie einfachen Bestandteilen steigt auf: Poesie! Hier: aus absichtlich einfachen, primitiven, d.i. sprachmateriell – prinzipiellen, elementaren! Und am Ende wird mir klar, daß der elementare Gang am Schluß, mit der dem poetischen Resultat entspringenden Poesie, auch den politischen Sinn pointet. Der Nonsens des „umgieß, umgieß“ spricht: die Tasse taugt nichts, die ganze Tasse taugt nicht, und ganz gleich, ob Milch, ob Tasse ... Nun beachte ich auch das Imaginäre der Parabel, diese Parabel- Man ist es gewohnt so. Ich hätte nicht darauf geachtet; es schließt sich eben Öffnung an Öffnung. Offenbar sind einfache Gags geeignet, in komplizierten Verhältnissen zu siegen, wenn man sie an Fliegenklatschen-
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Elke Erb
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