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Elke Erbs Poetics 27
Verluste infolge von korrektem Deutsch 4.8.13 Ich lese im PC die Abschrift des Tagebuchs 2010. Ich treffe darin auf die, alleinstehende, Zeile „das viele weiß ich nicht.“ Unter Extra: Wörter zählen ermittle ich, wieviele Zeilen da vor ihr stehn, denn ich meine, daß diese eine an Fassungsvermögen alle anderen vor ihr übertrifft, und also wieviele es denn wären: über 1100. Als ich diese Bemerkung im Tb vom 4.8.13 wieder antraf, erinnerte ich mich an eine andere Stelle aus einer Tagebuch- „Ich trete aus der Diele auf die Schwelle, Gewandung und Spiele im Raum sind heiter, schöner als ich, ich werde nicht hinüberkönnen, scheue [...] und im goldenen Lampenlicht spüre ich, wie mein Gesicht (jetzt kommt die Stelle:) aus Holz wird unter den Blicken der Anwesenden.“ Der Text ist mit Korrekturen überschrieben, ich bemühe mich, beide, Text und Korrekturen in Druckschrift zu erfassen, und bemerke deshalb nicht gleich, welche beneidenswerte, welche herzigste Echtheit mir damals noch – 69 war ich schon dreißig – erhaltengeblieben war im Ich-Biotop, und wegfiel unter der Korrektur: mein Gesicht wird aus Holz – mein Gesicht wird – korrekt: zu Holz. Sah das mit heftigem Neid- Selbstverständlich erkenne ich hier das poetologische Thema und bringe es, s.o, Titel, auf den Punkt. Vielleicht haben andere auch solche Verluste erlitten – und wir könnten eine Sammlung veranstalten, so nach und nach? Die Mail an Poetenladen würde an mich blindlings weitergeleitet? Im Zusammenhang mit dem Thema fällt mir noch eine Begebenheit ein: Mein Sohn, als er klein war, nahm, im Sommer auf dem Land, einen Liegestuhl, stellte ihn oben auf so, daß er ins Tal zum Bach hinuntersehen konnte, setzte sich mit einem Schreibzeug hinein und versuchte sich in der Pose eines Dichters (dort gab es damals mehrere, Kito Lorenc, Heinz Czechowski, Adolf Endler, E.E.). Ich trat zu ihm und las den Satz: Kommt ein Wind, macht er her. Was ihm in Betracht kam, war ein Baum am Bach. Er zeigte es mir mit der Hand, und im Baum ging auch ein Wind: Er wehte die Zweige da unten zu seinen Augen her. Das habe ich nicht vergessen. Eine Korrektur kam nicht infrage, er zeigte mir ja unwiderleglich. wie es zu verstehen war. Aber es war ein Beispiel für dieselbe Unmittelbarkeit. Die auch einen Verlust ergeben kann (bei welchem sich das Modewort „grenzwertig“ einmal in einem positiven Sinn zeigen darf!). Übrigens erinnere mich an eine ganz ähnliche Stelle wie „macht er her“ bei Rilke Ich weiß nicht mehr wo, doch kennzeichnet sie ihn als einen Dichter, bei dem die scheinbar exquisite Hochsprachlichkeit, in der wohl viele seiner Verehrer ihr Sonnen- oder Mondbad nehmen, sich als ein eitles Mißverständnis dartut, da sie, in seinem Ich-Biotop, mit einer solchen uneitelen Direktheit verbunden ist.
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Elke Erb
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