poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 


Elke Erbs
Poetics  3



Andreas Altmann

EIN FISCHREIHER steht auf einer tot
holzinsel im teich unter den regengeräuschen
der pappeln als wäre er aus stein. der himmel
ist einsilbig blau. an unsichtbaren bändern
sind die töne der vögel aufgefädelt. sie singen
zwischen den hohen bäumen, bleiben hängen,
reißen sich los. unzählige kohlweißlinge flattern
im lavendelstrauch. der sommer ist ein schlafendes
tier im weißen fell, das im eigenen schatten liegt.
manchmal nachts wechselt es seinen platz, dann
kann es regen geben. ich hätte dir seine spuren
gezeigt. auf dem wasser bilden sich wellen,
die an dich erinnern. sie sind grün und bewegen
sich schnell. der reiher ist gesunken. himmel
hängt an seinem schatten.



Wenn ich meine, ein Vers sei einem lebenden Wesen gleich, und diese seine Individualität als eine Norm auffasse, muß ich bei diesem Gedicht doch schon den ersten Vers dagegen verstoßen sehn. Er scheint ja mit seinem letzten Wort selbst totgesagt zu werden. Und der zweite? Könnte auf den ersten Blick leichter für sich existieren. Aber was wäre holzinsel? So müßte ich wohl das tot zur Insel nehmen – totholzinsel im teich unter den regengeräuschen wäre ein Vers. Doch es stimmt ja nicht, es sind nicht seine regengeräusche, sondern die der pappeln im nächsten Vers.
  Aus dem Fortgang rücken die pappeln wie Geister, leblos, aus der dritten Zeile rückwärts-wärtsrück in die zweite; das tote Holz sind die pappeln. Der Vers mit ihnen ist eindeutig kein Vers, drei Nennungen hat er, äußerlich fügen sie sich zueinander, aber nur auf einen gleichgültigen uninteressierten Blick. So uninteressiert, als wäre er aus stein, der Blick.
  Gut, sage ich eben nicht Verse, sage ich Zeilen; es ist ein Gedicht aus Zeilen, verlasse ich also die von der Versnorm in meiner Vorstellung gegebene Hinderung, das Gedicht zu lesen. Es ist ja ein Gedicht, von Anfang an ist es gespannt. Gespannt in sich selbst, wehrt es alle Illusion ab. Läßt es Illusion nicht aufkommen.
  Seine Spannung, seine Dichte, seine Starre erhöht / erholt sich mit dem Gegenteil der Starre – Bewegung: die töne der vögel sind aufgefädelt, sie singen [...], bleiben hängen, reißen sich los. Gleich darauf löst sich das Gedicht-Lebewesen – unzählige kohlweißlinge flattern im lavendelstrauch. Das flatternde Weiß wieder schließt ein großes kompaktes Unbewegtsein ein: der sommer ist ein schlafendes / tier im weißen fell, so geschlossen, daß es nichts mehr von außen braucht, nämlich auch noch im eigenen schatten liegt. Da muß man schon die Löschtaste drücken, daß es sich wieder bewegt: manchmal nachts wechselt es seinen platz, dann / kann es regen geben. Und ein Sich Regen, Hinüberwechseln in eine neue Dimension, auf dem wasser bilden sich wellen, die an dich erinnern ...
 
Es ist ein Gedicht aus Zeilen, aber es hat auch Verse: Zeile 6, 9 bis 13 ... Entscheidend ist: die Nicht-Verse sind gebaut, mit ihren Brüchen ins Spiel gebracht, ein Gebilde, ineinander an unsichtbaren bändern hängend, so kompakt wie gelöst. Seine Materie ist, daß es tut, was es zur Sprache bringt, im Wechselstrom sozusagen mit einem eigenen aktiven Jenseits.

Das Gedicht habe ich wiedergelesen in:
Es gibt eine andere Welt. Eine Anthologie aus Sachsen. Neue Gedichte, hggb. von Andreas Altmann und Axel Helbig, 2011 poetenladen leipzig

 

Elke Erb   26.01.2011   

 

 
Elke Erb
Poetics
Laudatio
Lyrik