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Elke Erbs
Poetics  9


Nachtspiel

Das Segel (der Mond) es kann mich erstaunen
Kann eines der Abbilder sein
Des treibenden dunkelen Tiers.
Doch sperre ich mich
Dem simplen Ergebenheitsspiel
Verleugne die innere Mauer
Die lallende Blindheit
Im frischen erstarrenden Grau.
Ich glaubeglaubglaub doch
Verrenke den Hals und belausche
Verdammt immerhin
Eine niemals gehörte weibliche Stimme.

Uwe Kolbe: Abschiede / und andere Liebesgedichte. Aufbau-Verlag Berlin 1981 S.84

Anscheinend muß ich nur warten auf das nächste poetics-Thema. Aber natürlich nur, weil ich ja ständig lese. Hier wieder leuchtete mir eines ein: Der Gedicht-Anfang. (Der Roman-Anfang ist ein bekanntes Thema, aber ein Roman ist auch ein weit umfänglicheres Unternehmen.)
  Was mir einleuchtete bei diesem Gedicht im zweiten Bändchen des Autors war, wie sein erster Vers sofort dem Kommenden einen offeneren Raum schafft mit der Wahr­nehmung einer Möglichkeit (kann), so daß er, wie man sieht, den Freiraum gewinnt, etwas anderes als deren Thema zu realisieren. Nachdem er in Vers 4 das kann wiederholt, schließt er den zweiten Raum auf, in welchem die Beobachtung / Aufmerksamkeit zu einer Überraschung gelangt ...

Ein anderes Gedicht im selben Buch (S.63) beginnt

Die lange karggrau schmutzigfeuchte Straße
und weiter geht es:
Treibst du weit, treibst schön und warm
Im Windschal. treibst bis an mein Haus heran.
Und Türen öffnen sich, ergrünen wachsen heben.
[...]


Die Straße im ersten Vers wäre doch selbst Thema gewesen, und zwar elendiglich: Diese Lange / Karggrau / Schmutzigfeuchte / Straße!! Die hoffnungslose, DDR-Perspektive! Selbstredend ein Basis-Thema. Grund-Befund. Er kommt darum herum.
  Es ist das zweite Buch. Das erste (Hineingeboren, ebendort, 1980) schenkt mir. zufällig aufgeschlagen, in den ersten drei Versen, die ich dort auf S.86 lese, das Gegenteil zu dem Verhalten (erst einmal verhalten!) der beiden aus dem zweiten Buch zitierten Anfänge:

Ich schwimme, haltlos
machen Blick und Bilder, neues,
unglaubhaft, Gefühl befällt mich. [...]


Als wollte mir der Autor mit Hilfe des prompten Zufalls verbal bestätigen, daß es da einen Fort­schritt gibt im zweiten Buch vom ersten. Solche Zufälle „gab es“ in meinem langen Lese­leben nicht selten.
 Da heißt das Gedicht auch noch Besinnung. Selbst­verständlich ist eine Entwicklung zu verfolgen, wenn einer einmal mit Grund zu schreiben anfängt, jetzt bin ich beim Wiederlesen des dritten Buchs Bornholm II (erschienen ebenda, 1986), sie halten mich in Spannung.
 Aber ich habe hier nicht sagen wollen: Im ersten Buch wird Besinnung verlangt, im zweiten tritt sie ein.
Sondern wurde nur aufmerksam auf die oben erwähnte einleuchtende Einräumung und Verhaltung bei einem Gedicht­anfang, auf ihren kleinen, jedoch ergiebigen Effekt.

Im zuerst zitierten Gedicht ist der Effekt gewonnen aus einer zweiten Tugend (neben der Besinnung): der Beobachtung des eigenen Verhaltens („es kann mich erstaunen“) und deren offene Mitwirkung in der Gedicht­struktur. Poeto­logisch thematisiere ich das als „Wahrnehmung de Wahr­nehmung“. Ein Untertanen­gehorsam gegen die Goethesche Formel „Bilde, Künstler, rede nicht“ hat wohl verursacht, daß man diesem Agens selten begegnet, oder auch ein Mangel an Souveränität anderer Art ...
 Nein, niemand tadle die Zaghaften!, schließe ich friedfertig.

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Elke Erb   15.07.2011   

 

 
Elke Erb
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