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Elke Erbs Poetics 22
Mut Aus der Reha schreibt mir Brigitte Struzyk: ... nicht, daß ich Dich (Dein Buch) als Gegenwelt zu all den Gebrechen mitgenommen hätte, die mich hier umgeben und mir vor Augen halten und unter die Nase reiben, du bist gebrechlich, meine Liebe, sondern eher als wirkliche Welt, so wirkst Du hier, Dein „Mut“ vom 5.3.94 schickt mich los, Deine B. Ich sehe nach: Mut Unter der arbeitsbereiten Egge des Sterbens Blut. 5.3.94 Da war ich dankbar. Denn der Spruch ist mir öfter begegnet, er ist auf eine Postkarte gedruckt, klein und überaus bestimmt, und findet sich bei den anderen Postkarten, denen zum Verschicken. In den ersten Jahren hielt er sich noch in der Erinnerung an die Schärfe, die ihn geprägt hatte, dann erkaltete die Erinnerung, und er befremdete mich. Ohnehin ließ sich die Karte niemandem schicken, nicht wahr. Brigittes mir vor Augen gebrachte ausgebreiteten Gebrechen um sie herum in der Reha gaben der Egge nun einen leibhaften Acker. Eine Art Acker. So daß das Befremden erlöst war. Dank Brigitte in: Poesie. Danach, nach zwei Tagen dankbar, flackerte ein Signal: Das ist ein Poetics-Thema. So. Die Aufgabe ist gestellt. Sie heißt Bild, bildlich, Metapher. Und: Vers. Und: Poesie. Als ungeschriebenes Gedicht gewinnt der Spruch einen poetischen Spielraum erst mit seiner Aufnahme bei Brigitte in der Reha. „Egge des Sterbens Blut“ – kann, wie ich es auch drehe, kein Vers sein. Okay: dann sind eben beide Zeilen nur ein Spruch. „Unter der arbeitsbereiten“ – könnte ein Vers sein, da setzt etwas ein und gibt eine Erwartung, die Bindefähigkeit eines Beginns. Vielleicht war ich von unserer allgemeinen, unentwegten Bereitschaft im Leben, die ja, als solche gesehen, noch nicht unbedingt abgenötigt und dumm sein muß, so überzeugt, daß ich gar nicht darauf kam, zu beachten, daß das Wort arbeitsbereit allein diese positive Beutung nicht schon auch ins Spiel bringen und von etwas Nachfolgenden erwirken kann, zu einem Vers zu werden. Zumal ja solcherart Komposita selbst wegen ihrer undurchsichtigen, morphologisch vermuschelten Kopplung ohnehin potenzgemindert sind. (Sogar ein Wort wie vermuschelt mit seiner unterrangigen Existenz ist ja derart „hoch“sprachlich üblichen Mißbildungen potentiell eindeutig überlegen). Egge des Sterbens Blut – ich habe hier einen begrifflichen Gang vor, von dem ich noch nicht weiß, ob er mir gelingt. Deshalb nehme ich mir wie eben die leichteren Teile heraus. Heute Nacht fiel mir angesichts der Schwierigkeit ein, wie auf einer Konferenz im Literarischen Colloquium Berlin von Kritikern und Literaten, die ersteren zu meiner Verwunderung erklärten, ihre Arbeit sei nicht die Hebung des lit. Niveaus im Lande, sondern die Kritik sei eine eigenständig kreative Gattung. Da sehe ich ein jetzt, es ist so. Leicht kann ich erkennen: Da habe ich ja eine Genitiv- Freilich könnte mich die kraß-schonungslose Perspektive des Spruchs gehindert haben, diesen Makel in ihrer himmelschreienden Schärfe (sie schreit: Himmel!!) überhaupt zu bemerken. Ich war ja auch froh, sie so trefflich zu erreichen. – Nein, dieses Textlein schwebt & schwingt nicht, es sticht. Es schwebt nichts zwischen Egge und Blut. Semantisch nichts, klanglich nichts, usw. nichts. Eine Egge wird über einen Acker gezogen. Es ist mehr als weit vom Begriff Blut zum Bild Acker. Nämlich zwischen ihnen ist gar nichts hier. (Gar nichts ist mehr als weit – Spott!) Wird der Acker auch gequält, gekämmt, gestreichelt: er ist weder Leben noch Sterben. Also sind sie nicht austauschlich hier. Blut! Wird nicht bereitet, gebreitet ... Zudem bleibt auch diese Erörterung durchaus freudlos, und sonst: Überall regt sich Bildung und Streben ... (April, April!) Schluß: es schwingt eben nicht, lebt eben nicht. Und daran ist nicht „die Aussage“ schuld.
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Elke Erb
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