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Elke Erbs Poetics 34
Dank an Thomas Brasch Hahnenkopf Als im April 1525 feststand Doppelpunkt Die Antwort auf die Forderung der Bauern heißt Doppelpunkt die Vernichtung der Bauern Komma Verhandlungen werden vergessen Komma aber ein Messer im Hals wird nicht vergessen Komma ein Vertrag ist ein Stück Papier und Tinte bleicht schneller als Blut Gedankenstrich schrien die Bauern vom Neckartal Doppelpunkt Anführung Warten heißt auf den Tod warten Abführung Komma nahmen die Heugabeln und gingen in Richtung der Stadt Weinsberg Komma in der sich eine Fürstenarmee bereit machte zum Marsch auf die Dörfer Punkt Die Bauern gingen eine Nacht und kamen am Morgen auf die Wiesen Über der Stadt Punkt Diese Namen der Satzzeichen, die die Verse markieren, sie schützen mich. Denn, kaum hatte ich das Thema Bauernaufstand mit den Augen gestreift, erkannte ich jenen spezifischen Tragik- So erfreuten sie mich. Mit ihrer leichten Hand, mit der bescheidenen Präzision ihrer Gegenwart, mit ihrer Geringfügigkeit. Erlösten sie. Um besser zu sehn, wie sie es gemacht haben, nahm ich sie weg. Hahnenkopf Als im April 1525 feststand: Die Antwort auf die Forderung der Bauern heißt. die Vernichtung der Bauern, Verhandlungen werden vergessen, aber ein Messer im Hals wird nicht vergessen, ein Vertrag ist ein Stück Papier und Tinte bleicht schneller als Blut – schrien die Bauern vom Neckartal: »Warten heißt auf den Tod warten«, nahmen die Heugabeln und gingen in Richtung der Stadt Weinsberg, in der sich eine Fürstenarmee bereit machte zum Marsch auf die Dörfer. Die Bauern gingen eine Nacht und kamen am Morgen auf die Wiesen Über der Stadt. Der Text selbst ist ja, wie man sieht, keineswegs dumpf. Doch sogar seine Schärfen gewinnen noch dank der Kapitälchen. Es ist der Eingangstext zu einem mehrteiligen Poem von 1974, das die Historie in das Gegenwärtige holt. Die Worte »Warten heißt / auf den Tod warten«, z.B. begegnen als ein Leid-Leitmotiv bei Brasch. Bei den Bauernkriegsteile, die im Folgenden auch mit diesen Satzzeichennamen versehen sind, brauchen sie mich nicht mehr wie am Anfang vor jener schäbigen Pathosbeigabe zu schützen. Mir scheint aber, diese anderen – mit oder ohne die Kapitälchen – verdanken dem Anfang einen Gewinn an Freiheit und Selbständigkeit. Ich zitiere noch eine Passage, die sowohl für den Bauernkrieg wie für eine unbestimmte bzw. eigene Gegenwart gilt: Als sie ihn weggehen sahen über die Wiese. der mit ihnen gekommen war gestern, lachten sie über ihn: Feigheit, dein Name ist Weib. Als er sich umdrehte, der nicht nach Hause wollte aber ins Ungewisse drohten sie mit den Fäusten nach ihm. Als im Wald verschwunden war, der vorher keiner war und jetzt nichts mehr standen sie mit grauen Gesichtern im Dunkeln unter dem kalkweißen Mond.
Zitate nach:
Thomas Brasch Hahnenkopf Als im April 1525 feststand Doppelpunkt Die Antwort auf die Forderung der Bauern heißt Doppelpunkt die Vernichtung der Bauern Komma Verhandlungen werden vergessen Komma aber ein Messer im Hals wird nicht vergessen Komma ein Vertrag ist ein Stück Papier und Tinte bleicht schneller als Blut Gedankenstrich schrien die Bauern vom Neckartal Doppelpunkt Anführung Warten heißt auf den Tod warten Abführung Komma nahmen die Heugabeln und gingen in Richtung der Stadt Weinsberg Komma in der sich eine Fürstenarmee bereit machte zum Marsch auf die Dörfer Punkt Die Bauern gingen eine Nacht und kamen am Morgen auf die Wiesen Über der Stadt Punkt »sWichtigste is, daß was passiert.
Gestern Traum unter den Füßen Blut »Die Stadt soll Mittag Punkt Sie schicken zwei Gesandte vor die Tore der Stadt Punkt Anführung Werft eure Waffen weg Komma gebt uns die Stadt in Frieden Punkt Sonst stoßen wir sie in den Dreck Punkt Abführung Unter den Schüssen der ReiterKomma vor den Augen der Bauern fallen die Unterhändler tot auf den Boden Punkt zwischen Berg tiefem Tal Als sie ihn weggehen sahen über die Wiese, der mit ihnen gekommen war gestern, lachten sie über ihn: Feigheit, dein Name ist Weib. Als er sich umdrehte, der nicht nach Hause wollte aber ins Ungewisse drohten sie mit den Fäusten nach ihm. Als im Wald verschwunden war, der vorher keiner war und jetzt nichts mehr standen sie mit grauen Gesichtern im Dunkeln unter dem kalkweißen Mond. Hahnenkopf Hahnenkopf In der Nacht kommen drei Bürger aus Weinsberg auf die Hügel über der Stadt Doppelpunkt Anführung Die Stadt ist leichter zu nehmen als eine Hure. Sie ist offen Punkt Abführung Sie sprechen von der Schwäche des Fürstenheeres und versichern mit leisen Stimmen Doppelpunkt Anführung Die werden keine Hilfe haben gegen euch Punkt Denn wir bleiben in unseren Häusern bis eure Fahne über dem Schloß steht Punkt Abführung Die Bauern sehen von den Feuern und sehen in die Stadt Punkt In der ersten Stunde
Seht, dort wird er gebrochen
Um zwei, als die Sonne den Stall
Seht, dort kommt er gekrochen
Um vier Uhr hat ihm eine Frau
Dort wird ihm der Star gestochen
Um sechs Uhr wird er nackt
Seht, nur Haut und Knochen
Um neun schrie Jesus mit Galle im Mund
Seht, jetzt ist er gebrochen »Alle wern gleich sein morgen und niks wird mehr richtig genannt.« »Ich werd hingehn, wo ich hergekomm bin, wenn morgen vorbei is.« »Keiner n guter Mensch, sondern alle gleich und die Akten wern Asche sein morgen und der See ne Fischsuppe.« »nSieg macht aus keim n andern und jeder is wo er is.« »Jeder kann gehn, wohin er will und das Blut wird denen ausn Adern springen, wasse uns ausgesaugt habn.« »Wasn hier los. Aufstehn jetz.« Am Morgen stürmten sie die Tore der Stadt Punkt Trieben die Fürsten Durch eine Straße aus Spießen Punkt Am Abend stritten sie sich Punkt Nachts gingen sie In drei Richtungen auseinander Doppelpunkt Gegen das Heer der Fürsten im Süden Punkt Über die Grenze Punkt In ihre Dörfer Punkt Aus drei Richtungen kommend Punkt Zerschlug die Fürstenarmee Zwei Wochen später Punkt Was vom Bauernheer übriggeblieben war Und fing DOPPELPUNKT Was geflohn war Und köpfte Punkt Was sich Punkt In den Scheunen Punkt Versteckt hatte Punkt Punkt Punkt Im Frühjahr als der Regenbogen
Wir danken dem Suhrkamp Verlag für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Gedichtes von Thomas Brasch im Kontext dieses Beitrags von Elke Erb. Ebenso danken wir Martina Hanf (Literaturarchiv der Akademie der Künste) für die Vermittlung.
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Elke Erb
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