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Elke Erbs Poetics 36
Antrittsbesuch FALL * Anna Dann sah ich unterwegs vom Zug aus in den Schlund einer schwingenden Glocke, ohne den leisesten Ton zu vernehmen. Ich sah einen Klöppel, ein schwingendes Zäpfchen im Kelch, im Glockenkelch, im Innenmantel einer Glocke. Ein Schwengel, zwischen den Innenwänden hin- und hertaumelnd, von einer zur anderen Seite hin- und hergeschlagen, auf jeden Schlag folgte das Fallen, erst abwärts, dann seitwärts hinauf. Ein gefangenes Zäpfchen oder ein Schwengel wurde plangemäß verhauen und taumelte laut, auch wenn ich im Zug nichts hörte, und dem Klöppel wurde bei jedem Hieb ein winziges Stück vom Leibe weggekloppt. S.56 Haben Sie wohl etwas so Seltsames schon einmal gelesen? Ich nicht. Ich staune. Das ist so angenehm, daß man, ohne Übertreibung – also staunt. Beim ersten Mal habe ich diesen Text eher trocken reagiert, unter ihm steht (Bleistift): „erschöpfend behandelt“ Da waren schon auch andere Sätze. Ich freute mich. Seite 47: STAND * KARL Die indigenen Einwohner winken einander auf der Straße zu, oft umarmen sie einander, während die Zugezogenen auf die Umgebung nicht neugierig sind. Sie gehen einkaufen, und dabei telefonieren sie mit ihrem eigenen Bekanntenkreis. Indigene Einwohner sind jene, die seit zwanzig Jahren hier leben. Na? Während des Abschreibens kam zueinander: umarmen einander und neugierig sind – wie zart gekoppelt (und zwar zwanglos! als Möglichkeit) – : wer ist heute herzlich zu mir. Sonst, insgesamt, sehe ich da ein sprachliches Gebilde ein Stilleben zur Welt bringen, überraschend (ungewohnter Art). Wieder noch ein Stück davor, S. 31 – : der kleinste Satz in einem Text, überschrieben mit Freitag, nach der zweiten Blindzeile: Den ganzen Tag habe ich gehinkt. Das linke Knie ist kaputt. Tausendfältiges Ich. Mit Brille. Wahrhaftig: einmalig! Und dabei unauffällig, nicht wahr? – – Was ist das, was das ist? Ein längerer Text (vom Donnerstag), Seite 30: Leute mit siebzig, achtzig, neunzig lernen Chinesisch, werden Elefantenwärterinnen, entdecken den richtigen Mann, die richtige Frau und schweigen gelassen. Daneben die Abgewürgten. Eine hier in der Gegend hat schlohweiße Haare und einen ledernen, bleichen Blick. Aber in Moskau sah ich vor Jahren in einem riesigen Restaurant eine etwa Achtzigjährige auf dem Tisch tanzen. Sie tanzte gut, für sich oder für die Musik. In Spanien habe ich die Rumba Gitana mit einem klapperdürren alten, beinahe zahnlosen Mann kennengelernt. Hut ab vor diese Rumba. Und ein Blues wäre jetzt gut. Die Bemerkung (Bleistift): Wie abgewogen – die Textteile ... (mehr kann ich darüber noch nicht vertonen). aber unter Mittwoch vielleicht eine Hilfe in der ersten Zeile nach der letzten Blindzeile: Ich habe ein entspanntes Zwerchfell, Lungelflügel, Stimmbänder, Muskelstränge. Daneben das linke kaputte Knie. (über „entspanntes Zwerchfell“ – Bleistift: ich entspanne sofort.) (Sie schreibt also auch so, daß man unmittelbar reagiert!) Da war doch weiter hinten – ach da, S. 49: GARN * JANKA Bei einem kleinen Rundgang zwischen den Westbauten am Hang habe ich eine Schneiderin entdeckt, die Näharbeiten und kleinere Reparaturen übernimmt. Eine gute Nachricht, und vielleicht kann man bald auf eine Wäscherei mit Bügeldiensten hoffen und auf einen Schuhmacher, Ich träume ein Leben lang von einem guten Schuster und von butterweichen, gut angepassten Schuhen, nicht nur für meine, sondern auch für Karls Füße. Träume nur, meint er. Bleistift: Sowas von einem Lächeln! Zwei Drittel vom Buch sind noch übrig, Vorrat! Zsuzsanna Gahse: JAN, JANKA, SARA und ich. Edition Korrespondenzen, Reto Ziegler, Wien 2015
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Elke Erb
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