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Himmelsleitern zur Poesie

Das 14. Internationale Literaturfestival in Leukerbad



Bericht
  15. Internationales
Literaturfestival Leukerbad
2. bis 4. Juli 2010

Literaturfestival Leukerbad | Website



Himmelsleitern, die an die Pforte des Paradieses führen, sind für gewöhnlich nicht aus Metall. Beim alpin umrahmten Literaturfestival im Walliser Bäderort Leukerbad konnte man freilich beim rituellen Gang durch die Dalaschlucht und die schwankenden Metall-Treppen des Thermal­quellenstegs einen lang Augenblick davon träumen, Himmels­leitern emporzusteigen. Der Universal­gelehrte Iso Camartin las eine kleine Meditation über eine Ikone des Johannes Klimacus, die eine Himmelsleiter mit ihren 30 Stufen zum Portal zeigt. Camartin versuchte das in seiner begütigenden Art als Königsweg des Lesens zu dechiffrieren. Für die nicht schwindelfreien Wanderer war das ein guter Wegweiser zu den weniger heilsgewissen Büchern und Autoren, die bei der 14. Auflage des diesmal von rund 500 Gästen besuchten Festivals vorgestellt wurden.

Gleich drei literarische Weltpremieren fesselten die Aufmerk­samkeit der Literatur-Freunde, die in die schroffe Bergwelt des Wallis gepilgert waren. Peter Stamm stellte seinen im August erscheinenden Roman „Sieben Jahre“ vor, eine auf den ersten Blick triviale Geschichte eines Architektur­studenten, der mit seinen Kommilitonen die Abenteuer der Liebe einübt und dabei die so sicher geglaubte Kontrolle über seine Gefühle und die von ihm erwählten Frauen verliert. Zunächst wähnt man sich hier in die Primitivität einer trieb­gesteuerten Männer­seele versetzt, bis der Text dank seiner subilen Psycho­logie der Figurenzeichnung doch einen eigentümlichen Sog ent­wickelt.

Terézia Mora präsentierte erste Ausschnitte aus ihrem neuen Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und dazu eine wunderbare Introduktion zu diesem Buch, den Essay „Über das Liebesleben in der Natur“, der exemplarisch vorführte, was Literatur leisten kann: nämlich Fragen zu stellen, um die schnellfertigen Antworten unserer Medienwelt aus den Angeln zu heben. Mit seiner fragenden Suchbewegung hebt der Essay alle unsere Gewissheiten über unseren Standort in der Welt aus den Angeln.

Den verstö­rendsten Auftritt hatte Herta Müller, die Proben aus ihrer poe­ti­schen Erzählung „Atemschaukel“ vorstellte, die von den trauma­ti­sie­renden Folgen der Ver­schleppung eines ganzen Volkes handelt. Auf Geheiss Josef Stalins wurde im Januar 1945 die gesamte deutsche Minderheit in Rumänien für fünf Jahre in Arbeits­lager in der Ukraine deportiert – zu den Verschleppten gehörten damals auch die Mutter Herta Müllers und der 17jährige Dichter Oskar Pastior. Im Gespräch mit Hubert Winkels beschrieb Herta Müller die Zusammenarbeit mit Oskar Pastior, der die Jahre im Lager als Initia­tions­szene seines Schreibens begriffen hat: „Mir ist damals die Sprache abgestürzt.“

Neben diesen Roman imponierten auch der weltkluge slowenische Dichter Ales Steger und sein litauischer Kollege Eugenijus Alianka mit ihren unauf­geregten Diskursen über die Aufgaben, die sich zeitgenössische Lyrik nach dem Verlust ihrer Zentral­position innerhalb der Literatur noch stellen kann. Ein Nachhall literarischen Größen­wahns war dann leider bei dem renom­mierten Zürcher Fotografen Daniel Schwartz spürbar, der im Gespräch mit Joachim Sartorius die Geheim­nisse seiner irrtierend-schönen Fotografien mit arro­gan­ten Belehrungen über die Weltlage selbst entzauberte. In einer der obli­gato­rischen Small-Talks in Leukerbader Hotelbars, ausgedehnt bis weit nach Mitternacht, impro­visierte schließlich der Festival-Gründer du Berufs­optimist Ricco Bilger, der bis 2005 über die Leukerbader Himmels­leitern Regie führte, eine enthusias­tische Lobrede auf seinen Nachfolger, den Berner Kultur-Manager Hans Ruprecht. Dem war kurz vor seiner ersten Festivalleitung 2006 eine schwere Marmorplatte auf den Fuß gefallen. Den Erfolgs­kurs des zwischen Bäder-Wellness und Welt­literatur oszillierenden Festivals hat das nicht bremsen können.
Michael Braun     08.07.2009   
Michael Braun
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