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August 2017
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Zeitschriftenlese  –  August 2017
von Michael Braun | Saarländischer Rundfunk – Literatur im Gespräch


Zum Verhältnis von Poesie und Übersetzung sind schon viele schöne Spekulationen ausgebrütet worden. „Am Ende ist alle Poesie Übersetzung“, meinte etwa der Frühromantiker Friedrich von Hardenberg alias Novalis. Das genaue Gegenteil behauptet die berühmte Pointe des amerikanischen Dichters Robert Frost: Poesie sei exakt das, was in der Übersetzung verloren geht: „Poetry is what´s lost in translation.“ Ist demnach Poesie unübersetzbar, ist eine Gedicht-Übersetzung stets nur ein blasser Schatten des Originals? Dieser Pessimismus wird von den Dichtern der allerjüngsten Moderne nicht geteilt. Im Gegenteil: Das Übersetzen und das Nachdichten sind heute genuine Bestandteile jeder substantiellen poetischen Arbeit, die Nachdichtung versteht sich dabei als Wiedererschaffung und Neuinterpretation eines lyrischen Urtextes. „Ich übersetze, seit ich schreibe“, konstatiert denn auch der Erzähler und Dichter Mirko Bonné, „Übersetzungen ermöglichen innigste Lektüren, sie legitimieren die Lust auf poetische Anverwandlung, und sie lassen Zweifel zu.“ Und diese Lust auf poetische Anverwandlung wird nun in der jüngsten Ausgabe der Literaturzeitschrift „Akzente“, dem Heft 2/2017, auf virtuose Weise ausagiert. Als Herausgeber dieses äußerst lesenswerten „Akzente“-Heftes zum Thema „Nachdichten“ fungiert neben dem Hanser-Verleger Jo Lendle diesmal der designierte Büchnerpreisträger Jan Wagner. Hier sind die Versuche von 14 deutschsprachigen Dichterinnen und Dichtern dokumentiert, sich in einer Rohübersetzung, einer Nachdichtung und einem Kommentar jeweils einem Gedicht aus einer fremden Sprache zu nähern. Das Ergebnis ist eine ebenso spannende wie lehrreiche Auseinandersetzung mit den klanglichen, semantischen und rhythmischen Möglichkeiten poetischer Sprache und ein stetiges Ausloten der Proportionen zwischen der eigenen und der fremden Stimme. „Es gilt“, so noch einmal Mirko Bonné, „ein stetig neues Maß zu bestimmen und ein flexibles Gleichgewicht zu finden zwischen..der fremden Zunge, die da spricht, und ..der – inwiefern eigentlich? – eigenen.“ Aber wo ist die eigene Stimme beim Übersetzen situiert? Studiert man die „Akzente“-Beiträge von Ulf Stolterfoht, Dagmara Kraus, Hendrik Jackson oder Uljana Wolf, so wird man überrascht und bereichert von den so extrem gegensätzlichen Positionierungen bei der Auseinandersetzung mit einem fremdsprachigen Text. Ulf Stolterfoht berichtet zum Beispiel von dem Entstehungsprozess seines Langgedichts „neu-jerusalem“, einer unglaublich wörterreichen und witzigen Expedition in die Geschichte des schwäbischen Pietismus und seines Exports nach Amerika. Die Begegnung mit einem Gedicht des amerikanischen Lyrikers Edward Dorn hätte Stolterfohts Gedichtvorhaben vor einigen Jahren beinahe zum Einsturz gebracht, denn Stolterfoht sah in einem Text des Kollegen Dorn sein eigenes Gedicht vorweggenommen. Erst durch die Übersetzung und produktive Neuschöpfung des Edward Dorn-Gedichts konnte sein eigenes Projekt wieder in Gang gesetzt werden. Der Dichter Hendrik Jackson wiederum betreibt an einem Gedicht der russischen Weltpoetin Marina Zwetajewa eine sogenannte „Äquivalenzübertragung“. Zwetajewas Gedicht „Der Zeitungsleser“ mit seiner scharfen Kritik an den Bewusstseinsdeformationen durch die Zeitungslektüre trägt in Jacksons Übersetzung den Titel „Smartfonglotzer“ – und wird so in die unmittelbare Gegenwart der Aufmerksamkeitszerstreuung übertragen. Dagmara Kraus führt eine äußerst strenge Lektion der Übersetzung an einer sogenannten „Anagrammsestine“ des französischen Dichters Frédéric Forte vor, wobei ihre Überlegungen zu dieser Gedichtform in einem leicht geistesaristokratischen Hochmut daherkommen. Uljana Wolf schließlich entwickelt im Blick auf ein Gedicht der kanadischen Autorin NourbeSe Philip die paradoxe These, dass man das Gedicht zwar sichtbar machen, aber nicht in traditioneller Manier übersetzen könne. Denn der Text handelt von einem Massaker auf einem Sklavenschiff: „260 Menschen“, so Uljana Wolf – wurden unübersetzt, unbeortet, unbestattet, unsagbar gemacht, umgebracht.“ Einen solchen Text könne man nicht durch schlichte Wiedergabe der Wörter übertragen, sondern nur durch den Nachvollzug des poetischen Verfahrens samt begleitendem Essay.
  Wer sich angesichts solcher Fundamentalzweifel an den Möglichkeiten poetischer Übersetzung nach der Erhellung und Übertragung wirklich großer poetischer Texte sehnt, sei auf die aktuelle Ausgabe, die Nummer 89 der Literaturzeitschrift „Schreibheft“ verwiesen. Sie enthält ein herrliches Dossier über die Dichtung der Troubadore, der südfranzösischen Dichter und Sänger des 12. Jahrhunderts, die zum Vorbild der mittelalterlichen deutschen Minnesänger wurden. Es sind großartige „Lieder aus Wörtern, die süß sind und leicht“, wie es in einer Übersetzung von Mara Genschel heißt, Lieder, in denen „das Feuer der Liebe“ brennt. Ein bislang unbekanntes Lied über einen Dichterwettstreit am Hof von Richard Löwenherz, verfasst vom Troubadour Arnaut Daniel, wird im „Schreibheft“ überhaupt zum ersten Mal veröffentlicht. Dreizehn Dichterinnen und Dichter, unter ihnen Konstantin Ames, Norbert Lange, Hans Thill und Uljana Wolf, präsentieren zudem wunderbare Übertragungen dieser in alt-okzitanischer Sprache verfassten Troubadour-Lieder. Zum Beispiel dieses: „Die Hybris des Liebens ist nicht von Belang./ Sie schleudert vielmehr den Edelmann/ vom höchsten Stand/ zum Boden nieder,/ quält noch perfider.,/ so daß seine Freude verrottet. / Klar, daß der weint/ und brennt und schreit, / den die Liebe so übel verspottet.“

 

Akzente, Heft 2/2017  externer Link
Carl Hanser Verlag, Vilshofener Str. 10 81679 München, 128 S., 9,60 Euro

 

Schreibheft 89 (2017)   externer Link
Rigodon Verlag, Nieberdingstr. 18, 45147 Essen, ca. 190 S., 13 Euro

 

 
Michael Braun
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