|
Antje Rávic Strubel
Kältere Schichten der Luft
Roman
S. Fischer2007
|
Vergangenen Donnerstag stellte Ursula März im Feuilleton der ZEIT die Sexfrage: Wo liegt die Peinlichkeitsschwelle bei Sex und Literatur? Recht weit unten, lautete ihre wenig aufschlussreiche, doch amüsante Antwort. Diese Tatsache stellt Antje Rávic Strubels neuer Roman
Kältere Schichten der Luft leider unter Beweis. Ein sexueller Akt wird in diesem Buch nur ein einziges Mal beschrieben (sieht man von einer versuchten Vergewaltigung ab), aber die Atmosphäre des Romans ist von der ersten Seite an unterschwellig erotisch. Und diese verkappte Erotik wirkt bieder und kleinmädchenhaft. Peinlich eben.
Aber nicht nur die erotische Grundspannung ist ein Missgriff. Es ist dies auch die Charaktere des Romans: Anja verbringt ihren Sommer in einem Camp in Schweden, denn sie ist arbeitslos, und das Leben in Halberstadt hat ihr nur vergebene Frauen zu bieten. Gemeinsam mit anderen ungewollten Aussteigern nimmt sie Urlaubsgruppen in Empfang, leitet Kanufahrten oder zählt Paddel und Schlauchboote. Ein Team, das aus plakativen Verlierern besteht: „Marco war von Osteuropäern auf dem Bau ersetzt worden, Sabine wurde als Landschaftsökonomin nicht mehr gebraucht, das Schweinefutter berechnete jetzt eine Maschine. Und nur bei Svenja und Winfried, dem mit Abstand Ältesten, hätte man sagen können, daß der Abstieg nicht eine Folge der Wende war; Svenja hatte über ihren Demos gegen BAföG-Kürzungen und Studiengebühren irgendwann den Anschluß verpaßt, und Wilfried war von einer Computerfirma, die Personal sparen wollte, in die Frührente entlassen worden.“ Himmel hilf! Wendeverlierer, Langzeitstudenten, Bauarbeiter aus Osteuropa und die Technisierung von früheren Kopfarbeiten: mehr Klischees hat Strubel wohl nicht finden können! Bei diesen Aufzählungen möchte man den Glauben an die junge deutsche Literatur verlieren. Und bei den fehlenden Charakterzeichnungen der lediglich oberflächlich beschriebenen, wenig dynamischen Figuren übrigens auch.
Anja dagegen hat den Glauben an die Zukunft im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen verloren. Dann aber taucht eine junge Frau im Camp auf, die Anja vom ersten Moment an fasziniert. Nun entsteht eine flirrende Spannung, eine Spannung jedoch, die sich nicht entlädt, die keine Ursache zu haben scheint und die kaum in der Lage ist, einen ansonsten handlungsarmen Roman (sieht man von einer versuchten Vergewaltigung ab) über fast zweihundert Seiten zu tragen. Die junge Frau verrät ihren Namen nicht, so dass Anja sich einen ausdenken muss (sie denkt sich Siri aus, glaubt aber einen Moment, dass Siri doch Iris bedeuten sollte), und nennt Anja aus unerfindlichen Gründen Schmoll. Später kauft Anja sich zum ersten Mal in ihrem Leben ein Männerhemd und eine Männerunterhose. Dann fahren Anja und die junge Frau auf eine Insel und vollziehen dort den eingangs erwähnten sexuellen Akt, mit Männerunterhose und Männerhemd. Es schleichen sich Zweifel ein, ob die junge Frau wirklich existiert. Und es schleichen sich Zweifel ein, worum es hier eigentlich geht: um sexuelle Befreiung? Um einen transsexuellen Grenzgang? Oder lediglich um ungenaue Fantasien?
In den Dialogen (nicht nur in denen zwischen Anja und der jungen Frau) versucht man vergeblich, den während der Lektüre verlorenen Glauben an die junge deutsche Literatur wiederzufinden. „Aber wo wir schon Beckenkontakt hatten, können wir uns wenigstens duzen“, sagt Anja (Schmoll) zu der jungen Frau (Siri), die sich dem Duzen übrigens dem ganzen Roman entzieht, ein Element, das eine ungeheure Künstlichkeit vermittelt. „Es gibt kein Entrinnen, nur dramatisch anschwellende Hintergrundmusik“, erklärt Anja (Schmoll) der jungen Frau (Siri) die Welt der lesbischen Beziehungen. „Und wissen Sie, Schmoll, […] es ist wahr. Ich war noch nie so glücklich. So glücklich wie mit Ihnen bin ich das erste Mal“, sagt die junge Frau (Siri) zu Anja (Schmoll), und weiter hinten ergänzt sie: „Sie haben recht, Schmoll […], Sie haben schon immer recht gehabt.“ Welch Pathos in völlig lapidaren Sätzen! Welch traurig verlorene Natürlichkeit! (Oder redet man in schwedischen Camps so, weil die Natur schon natürlich genug ist?)
Der Roman erzählt eine spannungsarme Geschichte, bei der die spannungsreiche, weil erotisch aufgeladene Stimmung offensichtlich die fehlende Handlung kompensieren soll. Sie ist aber peinlich, weil sie fehl am Platz ist. Sie ist peinlich, weil sie ihr Versprechen nicht einlöst und deshalb verklemmt wirkt. Sie ist peinlich, weil sie von Statistiken über die lesbischen Fantasien von Heterofrauen untermauert werden muss. Kältere Schichten der Luft ist ein enttäuschender Roman, und Kältere Schichten der Luft ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Antje Rávic Strubel ist offensichtlich die Quoten-
junge-bereits-mehr-oder-weniger-arrivierte-aber- doch-noch-als-Geheimtipp-geltende-und-deshalb-Sachkenntnis-der-Jury-vermittelnde-Autorin in der Auswahl (oder die Nominierung hat einen ganz anderen Grund, den nur der Literaturbetrieb kennt). Hätte man nicht Silke Scheuermann nominieren können? Die wird doch ohnehin gerade überall gefeiert. Oder ein tatsächlich erfolgsversprechendes, weil Versprechen haltendes Buch: den neuen Erzählband von Franziska Gerstenberg?