Wolfgang Herrndorf
Diesseits des Van-Allen-Gürtels
Heimliche Textproduktion
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Wolfgang Herrndorf
Diesseits des
Van-Allen-Gürtels
Erzählungen
Eichborn 2007
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Hintergeht die Zentrale Intelligenz Agentur den Literaturbetrieb? Werden dort heimlich gute Texte produziert und auf einen langweiligen Markt geworfen? Es scheint so. ZIA- Gründungsmitglied Kathrin Passig gewann 2006 den Ingeborg-Bachmann-Preis mit dem einzigen literarischen Text, den die Öffentlichkeit von ihr kennt. Kalkuliert und geplant sei das gewesen, warf man ihr vor. Oder, nachdem die Vorwürfe genau wie der Markt, nämlich langweilig wurden, gab man zu: Das war eben einfach gut. Genauso gut ist der Erzählungsband Diesseits des Van-Allen-Gürtels von Passigs Kollegen Wolfgang Herrndorf.
Herrndorf las 2004 in Klagenfurt und erhielt dort den Publikumspreis für die titelgebende Erzählung. Bereits 2002 war sein Romandebüt In Plüschgewittern erschienen. Trotzdem ist Herrndorf im Literaturbetrieb bisher relativ unbekannt. Wahrscheinlich profitiert er nun als inoffizieller Mitarbeiter der ZIA von Passigs Ruf. Verdientermaßen, denn Diesseits des Van-Allen-Gürtels enthält sechs ungewöhnliche, lebendige und absurde Erzählungen, die so große Welten eröffnen wie die Erzählungen von Richard Ford, aber wesentlich amüsanter und bissiger sind.
In Der Weg des Soldaten beschreibt Herrndorf die Freundschaft zwischen zwei Kunststudenten und nebenbei die Nürnberger Kunstakademie: »Unsere Professorin erschien genau einmal die Woche, ließ sich Bilder zeigen und redete mit uns, als wären wir Fünfjährige. Für jeden Studenten hatte sie einen eigenen Satz. … Mein Satz lautete: Sie sind innerlich unbeteiligt. Jedesmal, wenn ich Arbeiten zeigte: Sie sind innerlich unbeteiligt.« Der erste Kunststudent lässt seine Freundin einen Zinnsoldaten verschlucken, macht davon Röntgenaufnahmen und bekommt dafür einen Preis. Der zweite lackiert kunstvoll Autos, statt in die Akademie zu gehen. Gemeinsam versenken sie Einkaufswagen in der Pegnitz. Der Klagenfurt-Siegertext Diesseits des Van-Allen-Gürtels handelt von einem Mann, der sich mit dem Nachbarsjungen über die Raumfahrt und den Van-Allen-Gürtel unterhält, statt zu der Party seiner Freundin zu gehen.
Die Plots von Herrndorfs Erzählungen sind nicht nur vordergründig unkompliziert, sie sind es einfach. Da ist nichts zu deuteln, nichts bleibt in der Schwebe, nichts ist bedeutungsschwanger oder stimmungsgeladen. Subtil dagegen ist der lakonische Sprachstil, den Herrndorf verwendet und der die Tiefe der Figuren auslotet, und ebenso subtil sind die absurden Elemente, die sich durch die Erzählungen ziehen und die Einfachheit der Wirklichkeit dann doch wieder in Frage stellen. Herrndorf erzählt unangestrengt intellektuell und extrem witzig von den fast banalen Alltäglichkeiten seiner Protagonisten, und er treibt sie in ihrem Alltag immer auf einen Punkt zu, an dem sie scheitern müssen.
In der letzten Erzählung Zentrale Intelligenz Agentur schließlich nährt Herrndorf den Mythos um diese Organisation, indem er ihre Gründungsfeier immer mehr in Surrealistische abgleiten lässt. Im Schloss Beesenstedt in Brandenburg treffen sich die geladenen Gäste: Holm und Cornelius tauchen auf, der pöbelnde Joachim Lottmann und der betrunkene Wiglaf Droste – beide nicht geladen – und ein paar Autorinnen vom Literaturinstitut aus Leipzig, von denen es heißt: »Eigentlich waren sie als Deko gedacht, aber es stellte sich schnell heraus, daß es eine gute Entscheidung war, die Fräuleinwunder gleich im halben Dutzend zu nehmen. Erst in dieser Menge wurden sie richtig wirksam.«
Die eigentliche Gründungszeremonie geht in einem gemeinschaftlichen Besäufnis mitten in Brandenburg unter und mit ihr die Erklärung, was die ZIA eigentlich sein soll. Am Ende der Erzählung geht die Sonne auf, ein Hund bellt. Überhaupt glänzen die Enden von Herrndorfs Erzählungen durch eine Pointenlosigkeit, die an sich schon wieder pointiert ist: Immer schwenkt der erzählerische Fokus zur Natur, zu Zypressen, zu Recht von Schopenhauer als die »dämlichsten aller Bäume« bezeichnet, zum Mond, zu einem Baumstumpf, zur explodierenden Erde. Herrndorfs Protagonisten, an einem aussichtslosen Punkt angekommen, werden allein gelassen.
Die Figuren in Herrndorfs Erzählungen sind miteinander verbunden, tauchen auf verschiedene Weisen in den Texten auf und verschwinden wieder. In der komplett unübersichtlichen Erzählung mit dem programmatischen Titel Herrlich, diese Übersicht erscheinen sie alle auf einer Geburtstagsparty, der Party, die der Mann in Diesseits des Van-Allen-Gürtels verpasst. Auf dieser Party lässt Herrndorf eine der Protagonisten sagen: »Die ZIA oder was? … Da können wir ja gleich Bankrott anmelden, wenn wir auf die hören.« Wenn wir auf die nicht hören, aber auch.
Wolfgang Herrndorf, geboren 1965 in Hamburg, studierte Malerei in Nürnberg und lebt in Berlin. Er schrieb den Roman In Plüschgewittern, malte die Cover zu Frank Schulz' Hagener Trilogie und ist IM der Zentralen Intelligenz Agentur. Er bekam 2004 beim Ingeborg- Bachmann-Wettbewerb den Publikumspreis für eine Vorform der Geschichte Diesseits des Van-Allen-Gürtels.
Zentrale Intelligenz Agentur
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Katharina Bendixen 17.05.2007
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Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch
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