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Fingierte Autobiografie

Bret Easton Ellis – Lunar Park. Roman

Bret Easton Ellis | Lunar Park (Roman 2006) Bret Easton Ellis war früher ein böser Schriftsteller, der seine Hauptfiguren Menschen grausam vergewaltigen und schlachten ließ, sie in Drogenexzesse trieb, mit sinnentbehrenden Oberflächlichkeiten ausstattete und sich selbst mit Hilfe dieser Dinge inszenierte – zumindest mit den Drogen und Oberflächlichkeiten. Nun aber ist er endlich zur Ruhe gekommen, hat eine Frau und zwei Kinder, auch wenn eines davon nicht von ihm ist, lebt in einer Vorstadtidylle irgendwo in Amerika und arbeitet an seinem neuen Roman Teenage Pussy. Wenn da nur nicht dieses Stofftier seiner 6-jährigen Tochter wäre, das ein Eigenleben zu entwickeln scheint, die merkwürdigen Emails, die er jeden Abend genau zum Todeszeitpunkt seines Vaters bekommt, und die verschwundenen Jungen in der Nachbarschaft, von denen in allen Zeitungen berichtet wird und mit denen sein 12-jähriger Sohn gemeinsam mit seinen Freunden Kontakt aufzunehmen scheint ... All die guten Vorsätze von Bret Easton Ellis werden nach und nach aufgegeben, er nimmt wieder Drogen und betrinkt sich regelmäßig, stößt mit seinem absurden, beinahe von Verfolgungswahn geprägten Verhalten die Nachbarn vor den Kopf, enttäuscht regelmäßig seine Ehefrau und hat zunehmend Probleme, sich überzeugende Träume für seine Psychoanalytikerin einfallen zu lassen.

Gekonnt entwirft Bret Easton Ellis in seinem neuen Roman Lunar Park ein Szenario zwischen Fiktion und Wahrheit. Mit einem alten, aber immer wieder überzeugenden Kunstgriff erklärt er im Vorwort, dass er diese Geschichte genau so aufschreiben muss, wie sie passiert ist, auch wenn einiges unglaubwürdig erscheint. Er berichtet von den rechtlichen Problemen und den deshalb nötigen Namensänderungen im Roman. Aber „alles beruht auf Tatsachen, jedes einzelne Wort ist wahr“, versichert Ellis im ersten Kapitel des Romans. Die Titel der bisher veröffentlichten Bücher des fiktiven Autors stimmen mit der Realität genauso überein wie sein Geburtstag, die Namen seiner Lektoren und der seines Vaters. So entwickelt sich der Roman von Anfang an zu einem fesselnden Spiel, dem man an manchen Stellen den autobiografischen Bezug gerne glaubt, in einigen Passagen aber erleichtert ist, sich auf die Fiktionalität des Buchs verlassen zu können.

Bret Easton Ellis schreibt mit Lunar Park zwei Geschichten: einerseits eine zynische Gesellschaftsstudie einer verwöhnten und dekadenten Vorstadtwelt, in der alle Schulkinder bereits Antidepressiva einnehmen, zur Entspannung in die Jogaschule und zum Stressabbau in eine Psychotherapie gehen, und andererseits einen harten und detailgenauen Psychothriller, in dem Dämonen und Geister sich bekämpfen und sogar ein Parapsychologe zu Rat gezogen werden muss. Immer mehr versinkt Bret Easton Ellis als Protagonist in einem verwirrenden Sumpf von zerstörerischen Träumen und Drogentrips, scheinbar übernatürlichen Phänomenen und unlösbaren Familienproblemen, während Bret Easton Ellis als Autor die Entwicklung der komplexen Geschichte konsequent und extrem durchdacht vorantreibt und die Realität des Erzählten in keiner Weise in Frage stellt. Aus dieser Spannung zwischen den beiden zum Teil identischen Schriftstellern schöpft Lunar Park seine unheimliche und beängstigende Kraft.

Bret Easton Ellis      Bret Easton Ellis
Lunar Park. Roman
Aus dem Englischen von
Clara Drechsler u. Harald Hellmann
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006

Bret Easton Ellis, 1964 in Los Angeles geboren, schrieb als Student den Erfolgsroman Unter Null. Mit American Psycho avancierte er zu einem der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller und zum Star der Generation X. Lebt in Los Angeles und New York City.

© 27.01.2006  Katharina Bendixen            Print

Katharina Bendixen
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