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Richard Yates
Verliebte Lügner
Aus dem Amerikanischen
von Anette Grube
München: DVA 2007
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Richard Yates katapultiert den Leser in seine Texte: „Nachdem Franklin D. Roosevelt die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, muß es in ganz Amerika Bildhauer gegeben haben, die sich die Chance wünschten, er würde ihnen für eine Büste Modell sitzen, meine Mutter jedoch hatte Verbindungen.“ Ein erster Satz wie ein Knall: Ort, Zeit, Erzähler, Konflikt – alles ist sofort klar. So sind sie, die Amerikaner: So ist Richard Ford, so ist John Cheever, und so ist Ernest Hemingway, den Yates in einer der sieben Short Storys, die in seinem neuen Erzählband
Verliebte Lügner versammelt sind, grüßt: „Weil er in der Highschool Fiesta gelesen hatte, wußte Colby, daß es am linken Ufer der Seine am wahrscheinlichsten sein würde, daß irgendetwas Nettes passierte.“ Ebenso wenig zurückhaltend wie seine ersten Sätze ist sein Stil: Glasklar sind die Sätze, knallhart die Beobachtungen, genau die Details. Yates baut seine Erzählwelten, als stünden sie plastisch vor ihm.
Richard Yates, hierzulande lange unbekannt, wird seit zwei Jahren im beinahe halbjährlichen Rhythmus neu übersetzt und publiziert, so dass er längst über den Status eines Geheimtipps hinaus ist. Yates betreibt die Analyse der amerikanischen Gesellschaft zwischen der Weltwirtschaftskrise und den sechziger Jahren auf das Akribischste, und seine Spezialität ist dabei die Beschreibung, wie der amerikanische Mittelstand am Traum vom Glück im Kleinen scheitert. In den sieben Kurzgeschichten von
Verliebte Lügner finden sich drei geschiedene und vier unglückliche Ehen, zählt man nur die Beziehungen der Hauptfiguren. Die Figuren scheitern aber nicht nur im häuslichen Glück, sondern auch im Beruf: als „stellvertretender Regionalverkaufsleiter in der damals so genannten Mazda-Lampen-Abteilun“ zum Beispiel oder als „der einzige Soldat in ganz Europa, der drei Tage in Paris verbracht hatte, ohne Sex zu haben“.
Die titelgebende Erzählung
Verliebte Lügner ist symptomatisch für Yates' Erzählmuster: Sie handelt von dem amerikanischen Pärchen Carol und Warren, das für zwei Jahre in London in einer Souterrainwohnung im Haus der Tante leben soll. Als Carol sich von Warren trennt und nach Amerika zurückkehrt, belügt sie nicht nur die Tante, sondern Warren fängt auch eine Affaire mit einer Prostituierten an, die ihrerseits ihn belügt. Wie in fast allen Short Storys sind auch hier die Frauen die aktiven Protagonisten, während die Männer sich eher abwartend verhalten und nicht eben wenig Whisky trinken. Und ebenfalls in allen Geschichten begleitet Yates seine Figuren in einer außergewöhnlichen Situation – dem Auswandern nach England, dem Fronturlaub in Paris oder dem Auftrag, eine Büste von Roosevelt anzufertigen –, um seine Figuren schließlich in einen neuen Lebensabschnitt zu entlassen. Dabei geht es trotz der Schicksalsschläge, die er für seine Figuren erfindet, äußerst liebevoll mit ihnen um: „Wenn man jemandem nahe steht, wenn man jemanden liebt, macht man sich nur zu einem gottverdammten Narren, wenn man versucht, es zu erkläre“, lässt er einen seiner Protagonisten sagen. Yates allerdings macht sich nicht zum Narren.
Der Erfolg von Yates' posthum publiziertem Werk zeigt, wie wenig literarische Moden zählen und wie aktuell Texte auch Jahrzehnte nach ihrer Erstveröffentlichung noch sein können. Nach sieben Short Storys, sieben Knallen, weiß man über die amerikanische Seele der dreißiger bis sechziger Jahre Bescheid. Über Yates' Art, Geschichten zu bauen, allerdings auch. Nicht dass man nicht noch weitere Texte von ihm lesen könnte: Man wünscht sich sogar mehr davon, aber vielleicht doch wieder einen seiner Romane. Denn dass es ein Maximum an verträglichen Knallen gibt, steht außer Frage. Irgendwann stellt sich Taubheit ein.